Normen
HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;
OFG §1 Abs4 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;
OFG §1 Abs4 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahre 1943 geborene Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsangehöriger, beantragte mit Schreiben vom 7. September 2007 und vom 19. Dezember 2011 die Anerkennung als Opfer und Gewährung einer Opferrente nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG).
Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid abgewiesen, weil ein gemäß § 1 Abs. 4 lit. b OFG als Anspruchsvoraussetzung vorgesehener mehr als zehnjähriger ununterbrochener Wohnsitz der Mutter des Beschwerdeführers im Gebiet der Republik Österreich vor dem 13. März 1938 auf Grund mangelnder entsprechender Meldebestätigungen oder sonstiger Belege nicht nachgewiesen sei.
Die Behörde erster Instanz hatte folgenden Sachverhalt festgestellt:
"Sie wurden am 4. Dezember 1943 in Steyr unehelich als Angehöriger der Sinti geboren. Sie besitzen seit dem Jahr 1997 die deutsche Staatsbürgerschaft und waren bis dahin laut Aktenlage staatenlos. Ihre Mutter JK leistete lt. Angabe (des Beschwerdeführers) Zwangsarbeit bei den Steyrwerken.
Eine Grundvoraussetzung ist der Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft am 13. März 1938 oder ein ununterbrochener 10jähriger Aufenthalt im Gebiet der Republik Österreich vor dem 13. März 1938. Bei Personen, die nach dem 13. März 1938 geboren wurden, muss diese Grundvoraussetzung von den Eltern erfüllt werden.
Da (der Beschwerdeführer) unehelich nach 1938 geboren wurde, waren die Voraussetzungen (seiner) Mutter zu prüfen.
(Seine) Mutter war lediglich von 1941 bis 1946 in Steyr durchgehend gemeldet. Weitere Anfragen beim Nationalfonds Wien sowie den Meldeämtern Laimbach, Maria Neustift, Kemmelbach, Neumarkt an der Ybbs und Blindenmarkt verliefen negativ.
Auch das Heimatrecht wurde in allen bekannten Gemeinden (in denen die Mutter (des Beschwerdeführers) mit ihrer Familie gelebt haben könnte) und in Wien geprüft. Es konnte keine Eintragung in der Heimatrolle gefunden werden.
Anlässlich ihrer Eheschließung am 21. Jänner 1946 in Steyr gab die Mutter (des Beschwerdeführers) selbst zu Protokoll, in Österreich nicht heimatberechtigt zu sein. Somit galt die Mutter (des Beschwerdeführers) zum Zeitpunkt der Eheschließung als staatenlos.
Es liegt somit weder ein 10-jähriger Aufenthalt im Gebiet der Republik Österreich vor dem 13. März 1938 noch ein Heimatrecht am 13. März 1938 der Mutter (des Beschwerdeführers) vor."
Die belangte Behörde stützte sich auf diesen Sachverhalt. Sie begründete, dass "nach wie vor ein gemäß § 1 Abs. 4 lit. b OFG als Anspruchsvoraussetzung vorgesehener mehr als zehnjähriger ununterbrochener Wohnsitz der Mutter (des Beschwerdeführers) im Gebiet der Republik Österreich vor dem 13. März 1938 auf Grund mangelnder entsprechender Meldebestätigungen oder sonstiger Belege nicht nachgewiesen sei".
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 10. Juni 2013, B 318/2013-4, ihre Behandlung ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 1 des OFG lautet auszugsweise:
"(1) Als Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen anzusehen, die
…
(2) Als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen anzusehen, die
…
(3) Als Hinterbliebene im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten:
…
(4) Die im Abs. 1 bis 3 genannten Personen sind nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anspruchsberechtigt, wenn sie
a) am 13. März 1938 die österreichische Bundesbürgerschaft besessen haben und im Zeitpunkt der Anspruchsanmeldung österreichische Staatsbürger sind, oder
b) zwar erst nach dem 27. April 1945 die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben, jedoch in einem vor dem 13. März 1938 gelegenen Zeitraum durch mehr als zehn Jahre ununterbrochen ihren Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatten; das gleiche gilt für Personen, die nach dem 13. März 1928 geboren wurden und auf deren Eltern die vorangeführten Voraussetzungen zutreffen,
…"
Gemäß § 3 Abs. 2 letzter Satz OFG hat der Antragsteller die Voraussetzungen nach § 1 nachzuweisen.
§ 1 Abs. 4 lit. b OFG verlangt im vorliegenden Fall des 1943 geborenen Beschwerdeführers für einen vor dem 13. März 1938 gelegenen Zeitraum den mehr als zehn Jahre ununterbrochen andauernden Wohnsitz der ledigen Mutter des Beschwerdeführers im Gebiet der Republik Österreich.
Die belangte Behörde unterliegt einem Rechtsirrtum, indem sie bezüglich der Feststellung eines derartigen Wohnsitzes auf die Heimatberechtigung bzw. auf eine Meldung abstellte, weil die polizeiliche Meldung oder der Nachweis eines "Heimatrechts" für die Voraussetzung des zehnjährigen ununterbrochenen Wohnsitzes gemäß § 1 Abs. 4 lit. b OFG nicht erforderlich ist.
Polizeilichen An- und Abmeldungen kommt Indizfunktion zu, das Fehlen einer polizeilichen Meldung schließt aber die Existenz eines Wohnsitzes nicht aus (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2002, Zl. 2002/01/0030).
Infolge dieser Verkennung der Rechtslage hat sich die belangte Behörde mit den im Akt befindlichen Hinweisen, dass sich die Mutter des Beschwerdeführers nach ihrer Geburt am 28. März 1925 (in L, N.Ö.) bis zum Stichtag 13. März 1938 in Österreich - wenn auch möglicherweise umherziehend - aufgehalten hat (z.B. Lebenslauf der Mutter (S 34), wonach diese in L, N.Ö., geboren und ab dem 6. Lebensjahr in S gewohnt habe; Umherziehen der Großmutter des Beschwerdeführers im Bereich S (S 83); Mitteilung der Marktgemeinde L, dass die Großmutter 1936 in Z/Y geheiratet habe (S. 86)), nicht befasst.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Seite 1044 wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 12. November 2013
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