VwGH 2012/18/0143

VwGH2012/18/014322.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des A A R (alias R A) in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 2. August 2012, Zl. UVS-FRG/31/1744/2012-9, betreffend Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistansicher Staatsangehöriger, war am 26. März 2002 illegal in das Bundesgebiet eingereist, wo er am 28. März 2002 unter Angabe einer falschen Identität einen "Antrag auf internationalen Schutz" gestellt hatte. Dieser wurde in erster Instanz mit Bescheid vom 24. April 2002 und in zweiter Instanz mit Bescheid vom 6. Juni 2007 abgewiesen, wobei unter einem gemäß § 8 Asylgesetz 1997 (AsylG) festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Einer dagegen an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde wurde zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt; die Behandlung der Beschwerde wurde jedoch mit Beschluss vom 12. Mai 2010, Zl. 2007/20/1121, abgelehnt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer halte sich seit 2. Juni 2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und sei mit Straferkenntnis vom 8. August 2011 wegen seines unrechtmäßigen Aufenthaltes bereits rechtskräftig bestraft worden; zwei weitere Male sei er diesbezüglich zur Anzeige gebracht worden. Durch den über zwei Jahre währenden illegalen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet werde das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, dem nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein sehr hoher Stellenwert zukomme, erheblich beeinträchtigt. Darüber hinaus weise der Beschwerdeführer seit 2006 insgesamt 19 rechtskräftige Bestrafungen wegen diverser Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung 1960 und das Kraftfahrgesetz 1967 auf. Mit zwei näher genannten Straferkenntnissen des Magistratischen Bezirksamtes 13 seien gegen den Beschwerdeführer am 21. Juli 2011 wegen Verstößen gegen das Güterbeförderungsgesetz 1995 Geldstrafen in Höhe von jeweils EUR 420,-- verhängt worden.

Die Bestrafungen gegen die Straßenverkehrsordnung 1960 und das Kraftfahrgesetz 1967 gäben einen Rückschluss darauf, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich - trotz seines unrechtmäßigen Aufenthaltes und der Tatsache, dass ihn sein Asylverfahren nur zum vorübergehenden Aufenthalt berechtigt habe - an die österreichischen Rechtsvorschriften zu halten. Da ihm aber sonst kein Verhalten anzulasten sei, das im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG für eine nach dieser Bestimmung maximal zulässige Dauer des Einreiseverbotes von fünf Jahren ins Treffen geführt werden könnte, sei das von der Behörde erster Instanz noch auf fünf Jahre verhängte Einreiseverbot auf drei Jahre herabzusetzen gewesen.

Abschließend gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Erlassung der Rückkehrentscheidung sowie des Einreiseverbotes auch aus dem Blickwinkel des § 61 FPG in Verbindung mit Art. 8 EMRK zulässig sei. Dabei berücksichtigte sie sowohl die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers seit März 2002, seine guten Grundkenntnisse der deutschen Sprache, seine strafgerichtliche Unbescholtenheit sowie seine selbständige Tätigkeit seit 2008 im Rahmen eines Kleintransportunternehmens ("Ein-Mann-Unternehmen"). Als das Ausmaß der Integration relativierend beurteilte die belangte Behörde im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen im Bundesgebiet habe, als selbständig Erwerbstätiger in die betrieblichen und sozialen Abläufe nicht in dem Ausmaß eingebunden sei wie dies bei unselbständig Erwerbstätigen der Fall sei und sich seit der erstinstanzlichen Abweisung seines Antrages nach dem AsylG im April 2002 bereits bewusst habe sein müssen, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet begrenzt sein werde. Das gewichtige öffentliche Interesse an der Einhaltung eines geordneten Fremdenwesens überwiege die privaten Interessen des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sein Verfahren nach dem AsylG rechtskräftig negativ beendet ist. Der Beschwerde ist auch nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer aus anderen Gründen zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt wäre. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Beschwerdeführer halte sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf und es sei daher der Tatbestand des § 52 Abs. 1 FPG erfüllt.

Der Beschwerdeführer bringt jedoch unter anderem vor, für die Annahme der belangten Behörde, der Verbleib des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, bleibe kein Raum. Der Beschwerdeführer sei strafrechtlich unbescholten. Bei den von der belangten Behörde angeführten Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung handle es sich um geringfügige Delikte, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers stünden. Die Erstbehörde habe keinerlei Feststellungen getroffen, aufgrund welchen persönlichen Verhaltens der Beschwerdeführer die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet habe bzw. künftig gefährden werde.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 53 Abs. 2 FPG hat die Behörde bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige unter anderem wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung in Verbindung mit § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes, gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 der Straßenverkehrsordnung oder gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 des Führerscheingesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.

Beim Erstellen der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2011, Zl. 2011/23/0256, mwN, ergangen zu der - soweit es die gegenständlich relevante Rechtsfrage betrifft - vergleichbaren Rechtslage vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011).

Diesbezüglich ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie nicht einmal festgestellt hat, welche Verwaltungsübertretungen den von ihr pauschal angeführten 19 rechtskräftigen Verwaltungsstrafen zugrunde gelegen sind und somit auch nicht ausgeführt hat, welches Fehlverhalten dem Beschwerdeführer angelastet wird, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und welches Persönlichkeitsbild sich daraus ergibt. Auch zu den beiden - im Übrigen für die Gefährdungsprognose nicht herangezogenen - Bestrafungen nach dem Güterbeförderungsgesetz hat die belangte Behörde keine näheren Feststellungen - etwa zum Gegenstand, der Art und der Schwere des Fehlverhaltens - getroffen.

Da - wie bereits ausgeführt - auf das den Verwaltungsübertretungen zugrunde liegende Fehlverhalten und ein sich daraus ergebendes Persönlichkeitsbild abzustellen ist, wären nähere Feststellungen erforderlich gewesen, um die Ansicht der belangten Behörde, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit werde durch einen weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährdet und das öffentliche Interesse sei zumindest gleich hoch zu bewerten wie das sich aus dem zehneinhalbjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers, seiner beruflichen Tätigkeit, seinen privaten Bindungen zu einem - laut Beschwerdevorbringen - großen Freundeskreis und seiner sprachlichen Integration ergebende private Interesse, überprüfen zu können.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien,am 22. Jänner 2013

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