Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 1. März 2010 zog das Finanzamt Grieskirchen Wels den Beschwerdeführer zur Haftung für Abgabenschulden der S. GmbH, nämlich für Umsatzsteuer für den Zeitraum "08/2002", für "09/2002" und für "10/2002" in einer auf diese Zeiträume näher aufgeschlüsselten Höhe von insgesamt 3,297.357,41 EUR, heran. Der Beschwerdeführer sei bis 11. Februar 2003 Geschäftsführer der S. GesmbH und für die Entrichtung der Abgaben aus deren Mitteln verantwortlich gewesen. Über das Vermögen der Primärschuldnerin sei mit Beschluss des Landesgerichtes Wels vom 22. Dezember 2009 ein Konkursverfahren eröffnet worden. Die Abgabenschulden seien bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Auf Grund der Aktenlage sei davon auszugehen, dass allein auf Grund der rückerstatteten Vorsteuerbeträge Gesellschaftsmittel vorhanden gewesen seien, die aber nicht zur anteiligen Entrichtung der Abgabenschulden verwendet worden seien.
Dagegen berief der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 1. April 2010 u.a. mit der Begründung, dass die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig sei und im Beschwerdefall der Abgabenanspruch betreffend die Umsatzsteuer für August, September und Oktober 2010 mit dem bekämpften Haftungsbescheid erstmalig geltend gemacht worden sei. Der Haftungsbescheid vom 1. März 2010 sei nach Eintritt der Verjährung erlassen worden.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 7. April 2010 wies das Finanzamt Grieskirchen Wels die Berufung als unbegründet ab und verwies darauf, dass die Abgaben "mit BVE vom 14.05.2009 bescheidmäßig festgesetzt und ordnungsgemäß zugestellt" worden seien.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 5. Mai 2010 einen Vorlageantrag.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. § 224 Abs. 3 BAO komme im Beschwerdefall nicht zum Tragen, weil über die strittigen Abgabenansprüche Abgabenbescheide gegenüber der Primärschuldnerin vom 15. Dezember 2003 erlassen worden seien.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht verletzt erachtet, nicht zur Haftung für Umsatzsteuer der S. GesmbH herangezogen zu werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Beschwerdeführer replizierte mit Schriftsatz vom 16. Juni 2011, worauf die belangte Behörde eine Duplik vom 7. Juli 2011 einbrachte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - durch einen gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
§ 248 BAO lautet:
"§ 248. Der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige kann unbeschadet der Einbringung einer Berufung gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224, Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch berufen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2 und 4 sinngemäß."
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 24. Februar 2010, 2005/13/0145, auf dessen Gründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass dann, wenn der zur Haftung Herangezogene nicht rechtzeitig darüber aufgeklärt wird, dass die Abgaben schon bescheidmäßig festgesetzt worden sind, infolge unvollständiger Information ein Mangel des Verfahrens vorliegt, der im Verfahren über die Berufung gegen den Haftungsbescheid nicht sanierbar ist.
Im Beschwerdefall enthält der Haftungsbescheid des Finanzamtes Grieskirchen Wels vom 1. März 2010 keinerlei Hinweis, dass die Umsatzsteuer für August, September und Oktober 2002 bereits bescheidmäßig festgesetzt worden wäre.
Auch die Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes Grieskirchen Wels vom 7. April 2010 enthält lediglich einen Hinweis auf Berufungsvorentscheidungen betreffend die Umsatzsteuer vom 14. Mai 2009 und ebenfalls keinen Hinweis auf Umsatzsteuerbescheide, welche der Beschwerdeführer hätte bekämpfen können.
Erst im angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer darüber in Kenntnis gesetzt, dass die in Rede stehende Umsatzsteuer mit - in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthaltenen - Bescheiden vom 15. Dezember 2003 festgesetzt worden sei.
Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift die Bestimmung des § 248 zweiter Satz BAO und das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1998, 97/14/0080, ins Treffen führt, kann sie damit nichts für sich gewinnen. Erst wenn der Beschwerdeführer überhaupt die Kenntnis von der Tatsache erlangt hat, dass gegenüber der Primärschuldnerin ein Abgabenbescheid erlassen wurde, den er bekämpfen könnte - was bei den selbst zu berechnenden Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für bestimmte Voranmeldungszeiträume nicht notwendig gegeben sein muss (vgl. § 21 Abs. 3 UStG) -, kommt die dazu dienende Bestimmung des § 248 zweiter Satz BAO in Betracht (vgl. auch Stoll, BAO, Band 3, 2552) und stellt sich die im erwähnten Erkenntnis vom 26. Mai 1998 verneinte Frage, ob zur Bekämpfung des Abgabenbescheides dessen Zustellung an den Haftungspflichtigen erforderlich sei.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 28. Februar 2013
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