VwGH 2012/23/0001

VwGH2012/23/000122.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. Carl Benkhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 26, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. November 2009, Zl. E1/164.871/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art6;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art6;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine kroatische Staatsangehörige, reiste im Oktober 2002 nach Österreich ein; sie verfügte als Studentin über eine Aufenthaltserlaubnis, zuletzt befristet bis 31. Oktober 2005.

Am 16. Juni 2005 heiratete die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsbürger. Im Hinblick darauf erhielt sie antragsgemäß eine Niederlassungsbewilligung und in der Folge Aufenthaltstitel "Familienangehöriger", die ihr mit einer Gültigkeit bis 19. Juli 2008 erteilt wurden. Am 25. Juli 2008 stellte die Beschwerdeführerin einen Verlängerungsantrag.

Im Zuge des Verlängerungsverfahrens wurden Ermittlungen wegen des Verdachtes des Vorliegens einer sogenannten "Aufenthaltsehe" ("Scheinehe") geführt, die dazu führten, dass die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 26. März 2009 gegen die Beschwerdeführerin ein auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestütztes, mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erließ.

Nachdem im Verfahren über die dagegen erhobene Berufung ein ergänzendes Ermittlungsverfahren (insbesondere durch Vernehmung der beantragten Zeugen) durchgeführt worden war, gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangten Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. November 2009 der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

Ausgehend von näher begründeten beweiswürdigenden Überlegungen kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger rechtsmissbräuchlich, somit nur deshalb geschlossen habe, um sich fremdenrechtliche Vorteile und Berechtigungen zu verschaffen. Das Eingehen einer solchen Aufenthaltsehe stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, sodass die Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG gegeben seien. In diesem Fall könne gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn dem nicht § 66 FPG entgegenstehe.

Im Rahmen der nach dieser Bestimmung vorgenommenen Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, aufgrund des siebenjährigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich und der familiären Bindungen zu ihrem Bruder und zu ihrer Tante sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin gegeben. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts sei jedoch zunächst nur auf Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Ausbildung gegründet gewesen, danach habe die Beschwerdeführerin nur durch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten Aufenthaltstitel erlangt. Insofern sei die Aufenthaltsdauer von etwa sieben Jahren relativiert. Von daher sei auch die inländische Beschäftigung der Beschwerdeführerin in ihrer Bedeutung gemindert. Das Privatleben der Beschwerdeführerin erweise sich "solcherart als nicht besonders schutzwürdig". Im Heimatstaat befänden sich im Übrigen noch ihre Eltern, die sie schon jetzt regelmäßig besuche. Zusammenfassend ging die belangte Behörde unter Abwägung der wechselseitigen Interessen daher davon aus, dass das Aufenthaltsverbot auch im Grunde des § 66 FPG zulässig sei. Die belangte Behörde sah auch keinen Grund, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im November 2009 geltende Fassung.

Die Beschwerdeführerin ist im Hinblick auf die aufrechte Ehe Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) eines Österreichers. Für diese Personengruppe gelten jedenfalls - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige sein (unionsrechtlich begründetes) Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG. Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn der Fremde - im Sinne des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG - eine sogenannte Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf diese Ehe berufen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0263, mit weiteren Hinweisen).

In der Beschwerde wird in Bezug auf die behördliche Annahme, die genannten Voraussetzungen seien erfüllt, in erster Linie die Beweiswürdigung bemängelt. In diesem Zusammenhang wird vorgebracht, Art. 6 Abs. 3 EMRK enthalte Mindestgarantien des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, wozu die hinreichende und wirksame Gelegenheit gehöre, bei der Anhörung von Zeugen Fragen zu stellen. Die Befragung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes sowie der Zeugen habe jedoch ohne Beisein eines Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin oder von ihr selbst stattgefunden. Deshalb hätten keine Fragen, welche die von der belangten Behörde aufgezeigten Widersprüche aufgeklärt hätten, gestellt werden können. Demnach habe die belangte Behörde sowohl der Beschwerdeführerin als auch ihrem Rechtsvertreter eine "aufklärende konkrete Befragung" der Zeugen und des Ehemannes "abgeschnitten".

Entgegen der diesen Ausführungen offenbar zugrundeliegenden Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei einem Aufenthaltsverbot um keine Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme. Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unterliegen nicht dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2007/21/0447; siehe beispielsweise auch das hg. Erkenntnis vom 3. November 2010, Zl. 2007/18/0748, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR). Schon von daher gehen die wiedergegebenen Ausführungen der Beschwerdeführerin ins Leere.

Im Übrigen wurde der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde abschließend die Gelegenheit gegeben, zu den Beweisergebnissen Stellung zu nehmen. Davon hat sie auch Gebrauch gemacht. In dieser Äußerung wurde aber zugestanden, dass die Aussagen der einvernommenen Zeugen "durchaus divergierend" seien, und daraus abgeleitet, dass sie sich nicht abgesprochen hätten. Ein Einwand, die Fragen an die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann bei der niederschriftlichen Vernehmung am 3. November 2008, wann das Ehepaar zuletzt gemeinsam an der Meldeadresse geschlafen habe und was sie am letzten Sonntag unternommen hätten, seien jeweils anders verstanden worden, wurde weder in der Berufung noch in der besagten abschließenden Stellungnahme erhoben. Diese in der Beschwerde (erstmals) vorgetragene Behauptung widerspricht daher dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Es muss daher nicht näher dargelegt werden, dass dieser Einwand bei einer Gesamtbetrachtung des Inhalts der protokollierten Fragen und Antworten, die keinen Anhaltspunkt für diesbezügliche Missverständnisse geben, inhaltlich auch nicht berechtigt gewesen wäre. Im Übrigen widerspricht die in diesem Zusammenhang in der Beschwerde auch noch vorgetragene Behauptung, die Hochzeitsfeier habe am folgenden Wochenende stattgefunden, den Aussagen des Ehepaares, eine solche Feier sei nicht zustande gekommen.

Demnach ist es unter dem Gesichtspunkt der vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die Beweiswürdigung vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die divergierenden Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes (insbesondere zum Ort des Hochzeitsantrages, zum Zeitpunkt des letzten gemeinsamen Aufenthalts in der Wohnung an der Meldeadresse und zum Ablauf des Tages vor der Vernehmung) sowie die von den Aussagen des Ehepaares abweichenden Zeugenangaben zu einer Feier am Abend des Hochzeitstages als Indiz für das Vorliegen einer sogenannten "Aufenthaltsehe" wertete. Weiters durfte die belangte Behörde einbeziehen, dass sich - wie eine angekündigte Nachschau ergeben hat - in den (angeblich) gemeinsam benützten Räumen (in der Wohnung des Bruders der Beschwerdeführerin ) nur zwei Hemden und keine "männlichen Toiletteartikel" befunden hätten; das ließ sich allein mit dem Hinweis, der Ehemann der Beschwerdeführerin rasiere sich "trocken", nicht entkräften.

Schließlich bemängelt die Beschwerdeführerin noch, dass die belangte Behörde ihrem Beweisantrag auf Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen mit dem Spezialfach "Ehepartnerschaft" nicht gefolgt sei. Dieser Sachverständige hätte "anhand der durchaus unterschiedlichen Persönlichkeiten der Ehepartner befunden" sollen, dass "trotz der nach der Eheschließung eingetretenen ehelichen Schwierigkeiten nach wie vor eine eheliche Partnerschaft gegeben sei".

Ausgehend von diesem - nur undeutlich umschriebenen - Beweisthema hat die belangte Behörde diese Beweisaufnahme aber zu Recht mangels Relevanz abgelehnt. In Bezug auf diesen Beweisantrag fehlt nämlich schon das Vorbringen eines entsprechenden Tatsachensubstrates, aus dem - wie es in der Beschwerde heißt - hätte abgeleitet werden können, dass "eine eheliche Beziehung vorgelegen hat und vorliegt", auch wenn sie "zuletzt durch Zerwürfnisse, die aus der verschiedenen Persönlichkeitsstruktur der Ehepartner resultierten, gestört" worden sei.

Der Beschwerde ist es somit nicht gelungen, eine Unschlüssigkeit oder Mangelhaftigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

Auf Basis der darauf gegründeten Feststellungen im angefochtenen Bescheid zur Schließung einer Aufenthaltsehe und zur Stellung eines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung unter Berufung auf diese Ehe durfte die belangte Behörde - wie erwähnt - davon ausgehen, dass die Gefährdungsannahme im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG gerechtfertigt ist.

Gemäß dem auch bei einem auf § 86 FPG gegründeten Aufenthaltsverbot anzuwendenden § 66 Abs. 1 FPG ist eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, mit der in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 2010, Zl. 2010/21/0335, mwN).

In der Beschwerde wird auch die nach dieser Bestimmung vorgenommene Interessenabwägung sowie die Ermessensübung zum Nachteil der Beschwerdeführerin bekämpft. Unter diesem Gesichtspunkt verweist die Beschwerdeführerin auf ihren weitgehend rechtmäßigen Aufenthalt (bis zur Bescheiderlassung) in der Dauer von etwa sieben Jahren und auf ihre Berufstätigkeit sowie auf die Beziehungen zu ihren Verwandten (Bruder, Tante).

Diese Umstände hat die belangte Behörde aber ohnehin berücksichtigt, dazu aber zu Recht relativierend darauf hingewiesen, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin als Studentin zunächst nicht auf Dauer angelegt war und sie danach die Bewilligung zur Niederlassung und zur Beschäftigung nur aufgrund des Eingehens einer Aufenthaltsehe erlangt hat. Soweit die Beschwerdeführerin auch noch auf ihre familiären Beziehungen zu ihrem Ehemann (und dessen Verwandten) verweist, geht sie nicht von den getroffenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid aus. Dass aber den aus einer Aufenthaltsehe abgeleiteten Beziehungen kein maßgebliches Gewicht beigemessen werden kann, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Angesichts dessen durfte die belangte Behörde trotz der in der Beschwerde noch ins Treffen geführten Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ihr Privatleben - im Verhältnis zu dem durch ihr Verhalten erheblich beeinträchtigten öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen - als "nicht besonders schutzwürdig" qualifizieren. Demzufolge kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie im Ergebnis davon ausging, die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet könnten im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten.

Es ist aber auch keine ausreichende Grundlage dafür zu erkennen, dass das der Behörde eingeräumte Ermessen zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu üben gewesen wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. November 2012

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