VwGH 2012/18/0098

VwGH2012/18/00987.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der E, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/29A, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 3. Juli 2012, Zl. Senat-AB-10-3007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs2 Z5 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
ProstG Wr 1984 §3;
ProstG Wr 1984 §6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z5 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
ProstG Wr 1984 §3;
ProstG Wr 1984 §6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine bulgarische Staatsangehörige, gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie dazu aus, die Beschwerdeführerin sei am 23. Juni 2009 um 21:25 Uhr im Zuge einer Lokalkontrolle der Bundespolizeidirektion Wien mit einem schwarzen, durchsichtigen Top, einem schwarzen, durchsichtigen Slip sowie mit hohen, schwarzen Schuhen bekleidet, in der S Bar in Wien 15. angetroffen worden. Die Beschwerdeführerin sei zusammen mit acht weiteren Frauen vor Ort gewesen und habe - ebenso wie diese - ihre Dokumente und ihre Straßenkleidung in den hinteren Räumen des Lokals aufbewahrt. Aufgrund dieser Umstände habe schlüssig angenommen werden können, dass die angetroffenen Frauen in der S Bar der Prostitution nachgegangen seien. Die Beschwerdeführerin habe keinen Nachweis über die erforderlichen gesundheitlichen Untersuchungen vorweisen können. Am 16. Oktober 2009 sei erneut eine Kontrolle in der S Bar durchgeführt und die Beschwerdeführerin in aufreizender und "milieutypischer" Kleidung angetroffen worden. Auch bei dieser Kontrolle habe sie keine Nachweise über die für die Ausübung der Prostitution erforderlichen ärztlichen Untersuchungen vorlegen können. Nach beiden Kontrollen seien Anzeigen wegen Verdachts der Geheimprostitution und fehlender Untersuchungen (gemäß § 6 Abs. 1 und § 3 Z. 3 Wiener Prostitutionsgesetz) gegen die Beschwerdeführerin erstattet und Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 200,-- verhängt worden. Die beiden Strafverfügungen seien am 25. Dezember bzw. am 30. November 2009 rechtskräftig geworden.

Nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde aus, im Beschwerdefall sei "der dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zugrundeliegende Sachverhalt durch die Ergebnisse des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens sowie durch die nach der Aktenlage getroffenen Tatsachenfeststellungen zweifelsfrei erwiesen". Aufgrund der seinerzeit erhobenen Sachverhaltslage habe die erstinstanzliche Behörde keinesfalls unzulässiger- oder denkunmöglicherweise die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auf die Annahme gestützt, die nunmehrige Beschwerdeführerin sei in der S Bar, in der sie zweimal im Rahmen polizeilicher Kontrollen in "berufstypischer Kleidung" angetroffen worden sei, der Prostitution nachgegangen. Dafür spreche auch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die Strafverfügungen nicht angefochten habe und diese in Rechtskraft erwachsen seien. Dies sei einer tatsachengeständigen Verantwortung gleichzuhalten. Die erste Instanz habe zu Recht ein Aufenthaltsverbot gegen die Beschwerdeführerin verhängt, allerdings habe sich die Rechtslage geändert und das Aufenthaltsverbot sei nunmehr gemäß § 67 FPG zu erlassen. "Im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes" habe das "persönliche Verhalten der BW (Ausübung der Prostitution ohne Erbringung des erforderlichen Gesundheitsnachweises) durchaus eine nicht unmaßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dargestellt." Allerdings sei nunmehr zu berücksichtigen, dass der Regelung des § 67 Abs. 2 FPG zufolge ein derartiges Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden könne. Die vollständige Ausschöpfung der möglichen Dauer einer solchen aufenthaltsbeendenden Maßnahme erscheine im vorliegenden Fall "nicht zuletzt aufgrund der Beziehungskonstellation der BW (Lebensgemeinschaft mit einem Arzt, welcher für den Lebensunterhalt der BW offenbar zur Gänze aufzukommen bereit ist) nicht geboten, sodass die Gültigkeitsdauer des verhängten Aufenthaltsverbotes sach- und rechtslagenadäquat anzupassen" gewesen sei.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gegen die Beschwerdeführerin als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürgerin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei Verstößen gegen § 6 Abs. 1 und § 3 Wiener Prostitutionsgesetz handelt es sich um solche iSd § 53 Abs. 2 Z. 5 FPG. Das Unterlassen der geforderten regelmäßigen ärztlichen Untersuchung stellt eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet der die Prostitution regelnden Vorschriften sowie auf dem Gebiet des Gesundheitswesens dar. Unterlässt es eine Fremde, die der Prostitution nachgeht, sich den erforderlichen ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen, so wird damit ein Grundinteresse der Gesellschaft an der Bekämpfung ansteckender und zum Tod führender Krankheiten verletzt, sofern sich aus dem gesamten Fehlverhalten der Fremden ableiten lässt, dass sie weiterhin die Prostitution ausüben wird, ohne ihrer Verpflichtung zu einer amtsärztlichen Untersuchung nachzukommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0632, ergangen zu der insofern vergleichbaren Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG idF vor dem FrÄG 2011), was grundsätzlich die Annahme einer Gefährdung iSd § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG rechtfertigt.

Die Beschwerdeführerin bestreitet, der Prostitution nachgegangen zu sein und bringt weiter vor, sie sei nicht darüber belehrt worden, dass sie mit der Bezahlung der Geldstrafen ein Schuldeingeständnis leiste; sie habe aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse der Amtshandlung nicht folgen können und die Strafverfügung nicht verstanden. Sie wendet sich auch gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG. Der angefochtene Bescheid sei nahezu zweieinhalb Jahre nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ergangen. Die ihr zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen stammten vom 23. Juni bzw. 16. Oktober 2009 und lägen somit bereits drei bzw. zwei Jahre und neun Monate zurück.

Das Vorbringen zur Gefährdungsprognose führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde stützt die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auf die beiden, im Juni und im Oktober 2009 gegen die Beschwerdeführerin erlassenen Strafverfügungen und führt selbst in der Vergangenheitsform aus, "(i)m Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes" (gemeint offenbar: durch die Behörde erster Instanz) habe das persönliche Verhalten der Beschwerdeführerin eine "nicht unmaßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dargestellt". Dabei verkennt die belangte Behörde jedoch, dass bei der in § 67 Abs. 1 FPG vorgesehenen Gefährdungsprognose nicht auf den Zeitpunkt der strafbaren Handlung oder der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung abzustellen ist, sondern im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - mit Blick auf die Gegenwart und die Zukunft - beurteilt werden soll, ob das persönliche Verhalten (nach wie vor) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Inwieweit das Verhalten der Beschwerdeführerin nach wie vor eine solche Gefahr darstellt bzw. in der Zukunft darstellen könnte, ist insofern nicht nachvollziehbar, als sich in den Verwaltungsakten keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Beschwerdeführerin weiterhin als Prostituierte arbeiten werde, ohne sich den dafür vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen.

Der angefochtene Bescheid war daher bereits deshalb - ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien,am 7. November 2012

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