VwGH 2012/17/0156

VwGH2012/17/015622.8.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Zehetner und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde der Bundesministerin für Finanzen gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Vorarlberg vom 30. März 2012, Zl. UVS-1-862/K1-2011, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (mitbeteiligte Partei: C, vertreten durch Kopp - Wittek Rechtsanwälte GmbH, 5020 Salzburg, Moosstraße 58c), zu Recht erkannt:

Normen

GSpG 1989 §52 Abs1 Z5;
GSpG 1989 §52 Abs2 idF 2010/I/054;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
StGB §168 Abs1;
StPO §78 Abs1;
VStG §30 Abs2;
VwRallg;
GSpG 1989 §52 Abs1 Z5;
GSpG 1989 §52 Abs2 idF 2010/I/054;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
StGB §168 Abs1;
StPO §78 Abs1;
VStG §30 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Partei gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 2. September 2011, mit welchem die mitbeteiligte Partei als Geschäftsführer einer näher bezeichneten HandelsgmbH gemäß § 9 VStG als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 und 4 und § 3 des Glücksspielgesetzes, BGBl. Nr. 620/1989 (in der Folge: GSpG) schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 3.600,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 54 Stunden verhängt worden war, Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.

1.2. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass nach der Aussage eines Zeugen, der als Angestellter jenes Unternehmens, dem die Glücksspielgeräte vom Unternehmen, dessen handelsrechtlicher Geschäftsführer die mitbeteiligte Partei war, vermietet worden waren, Probespiele auf den Geräten durchgeführt hatte, mit diesen Geräten Spiele mit einem Einsatz von mehr als EUR 10 durchgeführt worden seien. Nach Aussage dieses Zeugen sei beim Spiel "Party Time" beispielsweise ein Einsatz von EUR 12 möglich gewesen. Dieses Spiel sei aus diesem Grund extra eingeführt worden. Darüber hinaus sei es so, dass bei Spielen, bei denen ein Einsatz von über EUR 10 nicht möglich sei, der erzielte Gewinn mittels Tastenbetätigung einzusetzen sei und damit gegebenenfalls zu vervielfachen, wodurch sich ebenfalls ein Einsatz von über EUR 10 pro Spiel ergebe. So könne etwa beim Spiel "Hot Seven" ein Einsatz von EUR 2 getätigt werden, bekomme man auf dem Display ein Anzeige von vier Kirschen, die einen Gewinn von EUR 20 repräsentierten, so könne dieser Gewinn dann wieder gesetzt werden, um ihn zu vervielfachen. Eine Verdoppelung oder Vervierfachung sei durch Betätigen der entsprechenden Taste möglich.

Auf Grund dieser für die belangte Behörde glaubwürdig und nachvollziehbar erscheinenden Aussage stellte sie fest, dass mit den im Verwaltungsstrafverfahren gegenständlichen Glücksspielgeräten Spiele durchgeführt worden seien, für die tatsächlich Einsätze von mehr als EUR 10 pro Spiel geleistet wurden. Insofern trete eine eventuelle Strafbarkeit nach dem Glücksspielgesetz hinter eine allfällige Strafbarkeit nach § 168 StGB zurück (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2011, Zl. 2011/17/0233).

Sie hob daher den bei ihr bekämpften erstinstanzlichen Strafbescheid auf, stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein und zeigte den Sachverhalt mit Schreiben vom 28. März 2012 der Staatsanwaltschaft an.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Finanzen.

1.4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Auch die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift eingebracht und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

2.1.1. § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG in der Fassung BGBl. I Nr. 54/2010 lautet:

"52. (1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit Geldstrafe bis zu 22 000 Euro zu bestrafen,

1. wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt;"

§ 52 Abs. 2 GSpG in der Fassung BGBl. I Nr. 54/2010 und BGBl. I Nr. 111/2010 lautet:

"(2) Werden in Zusammenhang mit der Teilnahme an Ausspielungen vermögenswerte Leistungen für ein Spiel von über 10 Euro von Spielern oder anderen geleistet, so handelt es sich nicht mehr um geringe Beträge und tritt insoweit eine allfällige Strafbarkeit nach diesem Bundesgesetz hinter eine allfällige Strafbarkeit nach § 168 StGB zurück. Die Befugnisse der Organe der öffentlichen Aufsicht gemäß § 50 Abs. 2 sowie die Befugnisse im Rahmen der behördlichen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 53, 54 und 56a bleiben davon unberührt."

Der in § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG bezogene § 2 Abs. 2 GSpG lautet:

"(2) Unternehmer ist, wer selbstständig eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus der Durchführung von Glücksspielen ausübt, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein.

Wenn von unterschiedlichen Personen in Absprache miteinander Teilleistungen zur Durchführung von Glücksspielen mit vermögenswerten Leistungen im Sinne der Z 2 und 3 des Abs. 1 an einem Ort angeboten werden, so liegt auch dann Unternehmereigenschaft aller an der Durchführung des Glücksspiels unmittelbar beteiligten Personen vor, wenn bei einzelnen von ihnen die Einnahmenerzielungsabsicht fehlt oder sie an der Veranstaltung, Organisation oder dem Angebot des Glücksspiels nur beteiligt sind."

2.1.2. § 30 Abs. 2 VStG lautet:

"(2) Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist."

2.1.3. § 168 StGB lautet:

"§ 168. (1) Wer ein Spiel, bei dem Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen oder das ausdrücklich verboten ist, veranstaltet oder eine zur Abhaltung eines solchen Spieles veranstaltete Zusammenkunft fördert, um aus dieser Veranstaltung oder Zusammenkunft sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn, dass bloß zu gemeinnützigen Zwecken oder bloß zum Zeitvertreib und um geringe Beträge gespielt wird.

(2) Wer sich gewerbsmäßig an einem solchen Spiel beteiligt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Verwaltungsbehörde ein anhängiges Verwaltungsstrafverfahren im Fall der Subsidiarität eines Verwaltungsstraftatbestandes gegenüber einem gerichtlichen Straftatbestand, soweit ein gerichtliches Strafverfahren bereits anhängig ist, gemäß § 30 Abs. 2 VStG zu unterbrechen bzw., wenn wegen der verfolgten Tat noch kein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist, im Falle von Zweifeln, ob der Tatbestand der gerichtlich strafbaren Handlung verwirklicht worden ist, gemäß § 78 Abs. 1 StPO Anzeige an die Staatsanwaltschaft zu erstatten und das Verwaltungsstrafverfahren bis zum Abschluss des gerichtlichen Strafverfahrens auszusetzen (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2011, Zl. 2011/17/0233).

Weiters geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass nach einer derartigen Aussetzung des Verfahrens im Falle einer Verfahrenseinstellung oder eines freisprechenden Urteiles die Verwaltungsbehörde die Frage, ob ein vom Gericht zu ahndender Tatbestand vorlag, selbständig zu beurteilen habe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 1999, Zl. 98/17/0134, sowie die weiteren Nachweise der Rechtsprechung bei Stöger in Raschauer/Wessely, VStG, § 30 VStG, Rn. 8).

2.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 19. Juni 1998, Zl. G 275/96, Slg. 15.199) und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1999, Zl. 98/17/0134) standen (schon) die Tatbestände des § 52 Abs. 1 Z 5 GSpG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 54/2010 (Betreiben von Glücksspielapparaten oder Glücksspielautomaten, die dem Glücksspielmonopol unterliegen, ohne Konzession) und des § 168 Abs. 1 StGB unter den in dieser Rechtsprechung näher genannten Voraussetzungen (Nichtvorliegen der in § 168 Abs. 1 StGB normierten Ausnahmen von der Strafbarkeit nach StGB) auf Grund einer verfassungskonformen, das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPMRK berücksichtigenden Interpretation zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz. Der Verwaltungsgerichtshof ging daher insbesondere davon aus, dass aus der "unechten Idealkonkurrenz in der Erscheinungsform der stillschweigenden Subsidiarität des § 52 Abs. 1 Z 5 GlSpG gegenüber § 168 Abs. 1 StGB" folge, "dass eine Bestrafung nach der erstgenannten Norm dann zu unterbleiben hat, wenn sich der Täter nach der zweitgenannten Bestimmung strafbar gemacht hat".

Mit BGBl. I Nr. 54/2010 hat der Bundesgesetzgeber in § 52 Abs. 2 GSpG eine Vorschrift eingefügt, derzufolge dann, wenn "in Zusammenhang mit der Teilnahme an Ausspielungen vermögenswerte Leistungen für ein Spiel von über 10 Euro von Spielern oder anderen geleistet" werden, es sich "nicht mehr um geringe Beträge" handle und "insoweit eine allfällige Strafbarkeit nach diesem Bundesgesetz hinter eine allfällige Strafbarkeit nach § 168 StGB zurück"trete.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu BGBl. I Nr. 54/2010, 658 BlgNR, 24. GP, 8, wird zu dieser Neufassung des § 52 Abs. 2 GSpG ausgeführt:

"Strafzuständigkeit der Verwaltungsbehörden ist ausschließlich bei Einsätzen pro Spiel bis zu 10 Euro nach diesem Bundesgesetz gegeben. Mit Abs. 2 wird auch der unbestimmte Gesetzesbegriff der geringen Beträge im Sinne des § 168 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB legal definiert. Nur bei Vorliegen solcher geringen Beträge ist eine Strafbarkeit nach § 168 Abs. 1 letzter Halbsatz ausgeschlossen, gleichgültig ob bloß zu gemeinnützigen Zwecken oder bloß zum Zeitvertreib gespielt wird. Ab Übersteigen dieses Betrages ist die Anzeige an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln und besteht Gerichtszuständigkeit."

Der Gesetzgeber hat damit nunmehr ausdrücklich die bis zum Inkrafttreten der genannten Novelle BGBl. I Nr. 54/2010 nur im Wege verfassungskonformer Auslegung zu ermittelnde Subsidiarität "eine(r) allfällige(n) Strafbarkeit nach diesem Bundesgesetz" gegenüber einer "allfälligen Strafbarkeit" nach § 168 StGB festgelegt.

Da § 52 Abs. 2 GSpG auf die Leistung eines Einsatzes von mehr als EUR 10,-- in einem einzelnen Spiel abstellt, hat die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden nach den für die Spiele geleisteten Einsätzen zu erfolgen.

Eine Subsidiarität der verwaltungsbehördlichen Strafbarkeit gegenüber dem gerichtlichen Straftatbestand ergibt sich daher nur für die Veranstaltung von Spielen, bei denen der Einsatz EUR 10,-- überstieg. Im Übrigen verbleibt die Zuständigkeit bei den Verwaltungsstrafbehörden.

2.4. Da somit im Falle des Betreibens eines Glücksspielgeräts (unabhängig davon, ob es sich um einen Glücksspielautomaten oder um elektronische Lotterien handelt) die Zuständigkeit des Gerichts nur für jene Spiele gegeben ist, bei denen der geleistete Einsatz EUR 10,-- überstieg, im Übrigen aber die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gegeben ist, durfte die belangte Behörde aus der Feststellung, dass an den gegenständlichen Apparaten auch mit Einsätzen über EUR 10,-- gespielt worden sei, nicht ableiten, dass hinsichtlich sämtlicher, mit den Apparaten durchgeführter Spiele eine Zuständigkeit des Gerichts nach § 168 Abs. 1 StGB gegeben gewesen sei.

2.5. Die belangte Behörde war daher auf dem Boden ihrer Sachverhaltsfeststellungen schon deshalb nicht befugt, das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

2.6. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Wien, am 22. August 2012

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