VwGH 2011/23/0455

VwGH2011/23/045522.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Marxergasse 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Oktober 2009, Zl. SD 1314/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste erstmals mit einer bis 23. Dezember 2003 befristeten Aufenthaltserlaubnis in das Bundesgebiet ein. Am 17. Dezember 2003 stellte er einen Asylantrag, den er am 11. März 2004 zurückzog, nachdem er am 20. Jänner 2004 die österreichische Staatsbürgerin C.B. geheiratet hatte. Unter Berufung auf diese Ehe beantragte er die Erteilung eines Aufenthaltstitels als Angehöriger einer Österreicherin, der ihm mit Gültigkeit bis zum 1. März 2005 erteilt wurde.

Im Zuge eines Verlängerungsverfahrens führte die Bundespolizeidirektion Wien Ermittlungen zum Bestehen einer Scheinehe durch. Gestützt auf Erhebungsberichte und die niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau sah sie es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer die Ehe nur zum Zweck der Erteilung eines Aufenthaltstitels geschlossen und sich dafür auf diese berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt zu haben.

Mit Bescheid vom 3. Oktober 2006 erließ sie deshalb gegen den Beschwerdeführer gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 26. September 2006 wurde die Ehe des Beschwerdeführers geschieden.

Am 11. Juli 2007 heiratete der Beschwerdeführer K.G, eine österreichische Staatsbürgerin. Am 18. Februar 2008 wurde der gemeinsame Sohn geboren. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Ehefrau, dem gemeinsamen Sohn und zwei mj. Kindern seiner Ehefrau aus einer vorangegangenen Beziehung im gemeinsamen Haushalt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Oktober 2009 gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und sie bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass die Dauer des Aufenthaltsverbots acht Jahre betrage.

Sie begründete dies zusammengefasst nach beweiswürdigenden Ausführungen damit, dass der Beschwerdeführer (zunächst) eine Scheinehe eingegangen sei, um einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet zu erwirken. Es sei daher nicht nur der "im § 60 Abs. 2 leg. cit. normierte Sachverhalt" verwirklicht, sondern es stelle sein Gesamt(fehl)verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 66 FPG - "im Grunde des § 87 leg. cit." gegeben seien.

Im Rahmen der Interessenabwägung sah die belangte Behörde einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von Scheinehen, dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch seine Scheinehe gegen die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften verstoßen, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zukomme. Die solcherart von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung wiege daher schwer. Seine nunmehrige Ehe sei er zu einem Zeitpunkt eingegangen, als er mit einem Weiterverbleib im Bundesgebiet nicht habe rechnen dürfen.

Die belangte Behörde kam insgesamt zum Ergebnis, dass die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers zwar gewichtig, keinesfalls jedoch derart schwerwiegend seien, dass sie gegenüber den genannten hohen öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten hätten. Ein eingeschränkter Kontakt zu den Familienangehörigen könne auch vom Ausland aus aufrechterhalten werden. Die Einschränkung sei im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots begründete die belangte Behörde abschließend damit, dass vor Ablauf dieser Frist im Hinblick auf das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers und "unter Bedachtnahme auf seine aktenkundige Lebenssituation" nicht erwartet werden könne, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Oktober 2009) geltende Fassung.

Die Beschwerde, die auch das Vorliegen einer Scheinehe bestreitet, bringt vor, dass sich der Beschwerdeführer seit nunmehr sechs Jahren in Österreich befinde und am 11. Juli 2007 die österreichische Staatsbürgerin K.G. geheiratet habe. Mit ihr habe er seit beinahe zwei Jahren einen gemeinsamen Sohn. Es bestehe ein gemeinsamer glücklicher Familienverband. Er habe über fünf Jahre durchgehend gearbeitet, verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, sei bestens integriert und strafrechtlich niemals in Erscheinung getreten.

Die Beschwerde zeigt damit eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, die vorrangig aufzugreifen ist.

Der Beschwerdeführer ist infolge seiner Eheschließung mit K.G. Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Wie die belangte Behörde richtig erkannte, gelten gemäß § 87 zweiter Satz FPG für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer ist gemäß § 86 Abs. 1 FPG daher nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Beurteilung, ob die Annahme iSd § 86 Abs. 1 FPG gerechtfertigt sei, dürfen Änderungen, die gegen den Fortbestand einer Gefährdungsprognose sprechen, nicht ausgeklammert werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Oktober 2011, Zl. 2008/18/0604, mwN).

Letzteres hat die belangte Behörde verkannt. Bei Erlassung des angefochtenen Bescheides lag der Abschluss der von der belangten Behörde festgestellten Scheinehe bereits beinahe sechs Jahre zurück; diese Ehe war zudem schon seit etwa drei Jahren wieder geschieden. Vor allem aber war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mehr als zwei Jahre in zweiter Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, mit der er auch ein gemeinsames Kind hat. Nun führt der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau und ihren minderjährigen Kindern auch nach den Feststellungen der belangten Behörde ein gemeinsames Familienleben. Insbesondere im Hinblick auf die nunmehr bestehende Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin kann nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes fallbezogen nicht mehr vom Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr gesprochen werden, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. die Erkenntnisse vom 8. September 2009, Zl. 2008/21/0661, sowie vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0376).

Der angefochtene Bescheid war somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Ein weiteres Eingehen auf das Beschwerdevorbringen erübrigte sich daher.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. November 2012

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