VwGH 2011/23/0151

VwGH2011/23/015119.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Raoul Hoffer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Sterngasse 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. November 2007, Zl. E1/312.501/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art3;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art3;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im September 2000 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 20. September 2000 einen Asylantrag. Der diesen Asylantrag im Instanzenzug abweisende Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Juni 2001 wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Juli 2004, Zl. 2001/20/0564, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. In weiterer Folge wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 21. September 2004 erneut abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof am 29. September 2005 abgelehnt.

Laut Akteninhalt stellte der Beschwerdeführer am 3. November 2005 einen "Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 10 Abs. 4" des Fremdengesetzes 1997. Der Bundesminister für Inneres teilte mit Schreiben vom 26. März 2007 mit, dass der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 72 in Verbindung mit § 75 NAG für den Beschwerdeführer nicht zugestimmt werden könne.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 13. November 2007 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfüge und deshalb kein Zweifel daran bestehen könne, dass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich des § 66 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien. Der Beschwerdeführer sei ledig, habe keine Sorgepflichten und es bestünden keine familiären Bindungen zu Österreich. Er bringe vor, durch die Caritas grundversorgt und krankenversichert zu sein. Er könne keiner Beschäftigung nachgehen, da er schwer krank sei. Die belangte Behörde ging zwar von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers aus. Allerdings sei dieser Eingriff zulässig, da er zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse verstoße der mittlerweile zweijährige unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers jedoch gravierend.

Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren persönlichen Interessen des Beschwerdeführers würden - so die belangte Behörde in ihrer Begründung weiter - zudem in ihrem Gewicht dadurch gemindert, dass der Aufenthalt nur bis Oktober 2005 lediglich auf Grund eines nicht erfolgreichen Asylantrages berechtigt gewesen sei.

Bezüglich der Erkrankung des Beschwerdeführers holte die belangte Behörde eine polizeichefärztliche Stellungnahme ein. In Zusammenhalt mit einer Mitteilung des Vertrauensarztes der österreichischen Botschaft New Delhi wurde festgestellt, dass die Erkrankungen des Beschwerdeführers in Indien durchaus mit einer ähnlichen Prognose wie in Österreich behandelt werden könnten. Lediglich in gewissen ländlichen Regionen wären die Therapiemöglichkeiten eingeschränkt.

Mangels sonstiger, besonders zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im November 2007 geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig ist, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Nach der Aktenlage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge. Somit bestehen keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Soweit der Beschwerdeführer auch darauf verweist, dass weiterhin eine Bedrohung seines Lebens auf Grund seiner politischen Aktivitäten in der Vergangenheit in Indien bestehe, ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Abschiebung im Ausweisungsverfahren keine rechtliche Bedeutung zukommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282, mwN). Aus diesem Grund ist auch der Verweis in der Beschwerde auf das Urteil des EGMR vom 2. Mai 1997 (Appl. Nr. 30240/96), in dem es um Art. 3 EMRK geht, nicht zielführend. Soweit der Beschwerdeführer einen Vergleich des hier vorliegenden Sachverhaltes mit der dem genannten Urteil des EGMR zugrunde liegenden Konstellation anstellt, ist dem außerdem entgegenzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer im genannten EGMR-Verfahren im fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren Krankheit befand und durch eine Abschiebung dem realen Risiko ausgesetzt gewesen wäre, unter äußerst schmerzlichen Umständen zu sterben. Eine derartige Situation ist im hier vorliegenden Fall nicht gegeben.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem

- auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Nach Auffassung des Beschwerdeführers verstößt der angefochtene Bescheid gegen § 66 FPG. Dies begründet er mit seiner sozialen Integration, die aus dem längeren Aufenthalt, aus dem Bestehen seines Lebensmittelpunktes und seines Freundeskreises in Österreich sowie aus seiner Unbescholtenheit resultiere. Demgegenüber habe er keinerlei Kontakte zu seinen Verwandten in Indien.

Diese Umstände stellen sich aber - selbst wenn er, wie in der Beschwerde vorgebracht, seinen Asylantrag als "durchaus aussichtsreich" angesehen hat - nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass eine Ausweisung auf Grund seines Gesundheitszustandes eine nicht zumutbare Härte darstelle. Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich auf eine ärztliche Bestätigung, wonach er seit 2004 u.a. wegen Diabetes Mellitus Typ II, hochgradig ausgeprägtem PNP-Syndrom mit sekundärer Demyelinisierung sowie wegen Depression in Behandlung stehe. Der Beschwerdeführer bezeichnet seinen Gesundheitszustand als äußerst problematisch, er sei auf Grund seiner schweren psychischen Probleme suizidgefährdet und auf die Unterstützung seiner in Österreich lebenden Freunde angewiesen. Im Fall einer Ausweisung würde sich seine Zuckerkrankheit über kurz oder lang zu einer lebensbedrohlichen Krankheit entwickeln, der abrupte Abbruch der Behandlung seiner Krankheit würde einen ernsthaften Eingriff in seine körperliche Integrität darstellen. Außerdem müsse die medizinische Versorgung in Indien im Vergleich zu Österreich als äußerst schlecht und mangelhaft bezeichnet werden. Schließlich wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde in diesem Zusammenhang noch vor, auf das Vorbringen betreffend seinen problematischen Gesundheitszustand nicht näher eingegangen zu sein und keine Untersuchungen dazu vorgenommen zu haben.

Diesem Vorbringen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Der Beschwerde ist zwar einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme komme auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land (sollte ein solches als Zielort in Betracht kommen) außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen an einem (unter Umständen auch nur vorübergehenden) Verbleib in Österreich darstellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang aber auch die Rechtsprechung des EGMR einbezogen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0015, mwN).

Nicht entscheidend ins Gewicht fällt, dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. das bereits genannte Erkenntnis Zl. 2009/21/0015). Vor diesem Hintergrund geht das Beschwerdevorbringen, wonach die medizinische Versorgung in Indien im Vergleich zu Österreich als äußerst schlecht und mangelhaft bezeichnet werden müsse, aber ins Leere. Das Fehlen jeglicher Behandlungsmöglichkeiten in Indien für den Beschwerdeführer wird auch in der Beschwerde nicht behauptet.

Die belangte Behörde hat auf Basis der seitens des Beschwerdeführers vorgelegten ärztlichen Bestätigung die Anfrage an die Österreichische Botschaft New Delhi gerichtet, über einen Vertrauensarzt feststellen zu lassen, ob eine Behandlung der Erkrankung des Beschwerdeführers in Indien möglich sei. Basierend auf der Antwort der Österreichischen Botschaft und unter Einbeziehung einer dazu ergangenen polizeichefärztlichen Stellungnahme hat die belangte Behörde festgestellt, dass die Erkrankung des Beschwerdeführers in Indien - abgesehen von ländlichen Regionen - behandelt werden könne. Dem ist der Beschwerdeführer nicht konkret entgegengetreten.

Es ist daher trotz der festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Auffassung der belangten Behörde, die Ausweisung des Beschwerdeführers sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen und auch die Ermessensübung sei nicht zu seinen Gunsten vorzunehmen, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.

Die Beschwerde erweist sich daher als unberechtigt und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Jänner 2012

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