Normen
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin wurde am 9. Dezember 1972 in Nigeria geboren. Sie lebt seit März 2001 in Österreich und heiratete am 28. September 2001 in Wien den österreichischen Staatsbürger G.L. Am 4. Juni 2004 beantragte sie bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. Jänner 2005 wurde der Beschwerdeführerin mit Wirkung vom selben Tag gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. November 2010 hat die belangte Behörde wie folgt entschieden (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):
"I. Das mit rechtskräftigem Bescheid vom 11. Jänner 2005 zur Zahl MA 61/IV - L 283/04 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren, in welchem Frau S.L. (jetzt: O.) geb. E, geboren am 9. Dezember 1972 in Agbor, Nigeria, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung von Amts wegen zum Zeitpunkt vor Verleihung der Staatsbürgerschaft wieder aufgenommen.
II. Das Ansuchen der Frau S.O., vertreten durch (…) Rechtsanwalt Dr. W. (…), vom 4. Juni 2004 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 1 ff StbG 1985, BGBl. Nr. 311/1985 in der geltenden Fassung abgewiesen."
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Ehe der Beschwerdeführerin mit G.L. sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 25. Mai 2005 (richtig: mit Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 31. März 2005) rechtskräftig geschieden worden. Die Beschwerdeführerin habe am 18. Jänner 2005, also eine Woche nach Verleihung der Staatsbürgerschaft, eine Scheidungsklage gegen ihren Ehegatten G.L. eingebracht. In dem in diesem Zusammenhang aufgenommenen Protokoll habe sie angegeben, dass ihr Ehegatte bereits im Dezember 2002 nach Afrika gefahren und seit diesem Zeitpunkt nicht wieder zurückgekehrt sei. Auch im Scheidungsurteil sei angeführt, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann seit dem Jahr 2002 getrennt lebe. Im Gerichtsverfahren sei für G.L. eine Prozesskuratorin bestellt worden, da dieser unbekannten Aufenthalts gewesen sei. Am 25. Februar 2005 habe die Beschwerdeführerin vor Gericht angegeben, dass sie einen neuen Lebenspartner habe und von diesem auch schwanger sei, und dass die Probleme in ihrer Ehe etwa ein Jahr nach der Eheschließung begonnen hätten. Damals sei G.L. für vier Monate verreist, dann für ca. zwei Wochen zurückgekommen und dann wieder verreist. Danach sei er nicht mehr zurückgekehrt und habe erklärt, an der Aufrechterhaltung der Ehe nicht mehr interessiert zu sein.
Am 6. Dezember 2005 habe die Beschwerdeführerin (den nigerianischen Staatsangehörigen) D.O. geheiratet, mit dem sie auch zwei am 16. Jänner 2002 und am 28. Februar 2005 geborene Kinder habe. Dies sei der belangten Behörde während des Einbürgerungsverfahrens nicht bekannt gewesen, da die Vaterschaftsanerkennung durch D.O. erst im Jahr 2008 erfolgt sei.
Die Beschwerdeführerin habe sich somit in ihrem Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 4. Juni 2004 auf die Ehe mit G.L. bezogen, obwohl dieser seit Dezember 2002 nicht mehr bei ihr wohnhaft gewesen sei. Am Tag der Verleihung der Staatsbürgerschaft habe sie zudem eine Erklärung unterschrieben, wonach der gemeinsame Haushalt mit G.L. aufrecht sei. Dass die Ehe und der gemeinsame Haushalt mit G.L. für das Staatsbürgerschaftsverfahren entscheidend gewesen seien, habe ihr bewusst sein müssen, da sie sowohl bei der Antragsniederschrift am 9. Juni 2004 als auch bei der Abschlussniederschrift am 11. Jänner 2005 diesbezüglich befragt sowie belehrt worden sei, jede Änderung ihrer persönlichen Lebensverhältnisse unaufgefordert der Behörde zu melden.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Wiederaufnahmeverfahren, wonach sich ihr ehemaliger Ehegatte G.L. niemals von der gemeinsamen Adresse abgemeldet habe, die (im Verleihungsverfahren durchgeführte) Hauserhebung vom November 2004 ergeben habe, dass ein gemeinsames Eheleben bestanden habe, G.L. im September 2002 eine Ummeldung unterschrieben habe und im November 2003 bei der Verlängerung des Aufenthaltstitels der Beschwerdeführerin anwesend gewesen sei, und die Angaben der Beschwerdeführerin im Scheidungsverfahren darauf zurückzuführen gewesen seien, dass sie im Hinblick auf das erwartete uneheliche Kind eine rasche Scheidung angestrebt habe, erachtete die belangte Behörde (mit näherer Begründung) als nicht glaubwürdig. So sei es nicht schlüssig und äußerst lebensfremd, dass die Beschwerdeführerin noch bis eine Woche vor Einbringung der Scheidungsklage ein intaktes Eheleben und einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem österreichischen Ehegatten geführt haben solle, zumal sie nach ihren eigenen Angaben (in ihrer Stellungnahme vom 30. April 2009) gleichzeitig (an derselben Adresse) mit ihrem nunmehrigen Ehemann zusammengelebt und von diesem ein zweites Kind erwartet habe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darlegung der maßgeblichen Rechtslage aus, die Beschwerdeführerin habe die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen, da entgegen ihren Angaben gegenüber der belangten Behörde ein gemeinsamer Haushalt mit ihrem österreichischen Ehemann im Sinn des § 11a StbG zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht mehr vorgelegen habe. Das Verfahren sei daher zum Zeitpunkt vor der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft mit Bescheid wiederaufzunehmen.
Der Verleihungsantrag sei abzuweisen, da die Beschwerdeführerin erst seit März 2001 in Österreich lebe. Ein zumindest zehnjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet liege somit nicht vor. Besondere Gründe im Sinn des § 11a Abs. 4 StbG seien nicht hervorgekommen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die verfügte Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens der Beschwerdeführerin (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) ist - letztlich - aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 3. März 2010 in der Rechtssache C-135/08 , Rottmann, ist, wenn eine Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung zur Folge hat, dass der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates der Einbürgerung die Unionsbürgerschaft verliert "zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt" (Randnummern 54, 55 und 59). Bei der Prüfung einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung sind - so der EuGH weiter - "die möglichen Folgen zu berücksichtigen, die diese Entscheidung für den Betroffenen und gegebenenfalls für seine Familienangehörigen in Bezug auf den Verlust der Rechte, die jeder Unionsbürger genießt, mit sich bringt. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob dieser Verlust gerechtfertigt ist im Verhältnis zur Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zur Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmeentscheidung vergangen ist, und zur Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen" (Randnummer 56). "Ein Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde", kann "nicht nach Art. 17 EG verpflichtet sein, von der Rücknahme der Einbürgerung allein deshalb abzusehen, weil der Betroffene die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsstaats nicht wieder erlangt hat" (Randnummer 57). Jedoch ist zu beurteilen, "ob die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände verlangt, dass dem Betroffenen vor Wirksamwerden einer derartigen Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung eine angemessene Frist eingeräumt wird, damit er versuchen kann, die Staatsangehörigkeit seines Herkunftsmitgliedstaats wieder zu erlangen" (Randnummer 58).
Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (9. Dezember 2010) dies bereits bedenken können. Sie hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens jedoch allein auf das Fehlen des gemeinsamen Haushalts gestützt. Auf Grund der dazu getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die zum rückwirkenden Verlust der Staatsbürgerschaft führende Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ausnahmsweise unverhältnismäßig war.
Ob nach der angeführten Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist, hat die belangte Behörde im Beschwerdefall nicht geprüft (vgl. hiezu auch das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz. 23 bis 25).
Aus den genannten Gründen war Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 15. März 2012, Zl. 2010/01/0050, mwN).
Schon infolge Aufhebung der mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens erweist sich die darauf aufbauende Abweisung des Verleihungsantrages als inhaltlich rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher (in seinem gesamten Umfang) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Der Schriftsatzaufwand beträgt gemäß § 1 Z. 1 lit. a der genannten Verordnung EUR 1.106,40, sodass das diesbezüglich in der Beschwerde verzeichnete Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 31. Mai 2012
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