VwGH 2009/03/0050

VwGH2009/03/005020.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des C S in W, vertreten durch Dipl. Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. März 2009, Zl E1/307.702/2008, betreffend Wiederaufnahme waffenrechtlicher Verfahren, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden der Bundespolizeidirektion Wien (BPD) vom 30. November 2006 waren dem Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs 3 in Verbindung mit § 8 Abs 1 des Waffengesetzes 1996 (WaffG) die Waffenbesitzkarte und der Waffenpass entzogen worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 10. April 2007 auf Wiederaufnahme dieser Verfahren gemäß § 69 AVG ab.

In der Begründung gab sie zunächst den Inhalt des Wiederaufnahmeantrags wieder. Danach habe der Beschwerdeführer geltend gemacht, anlässlich seiner (am 18. August 2006 erstatteten) Anzeige über den Verlust seiner Tasche, in der sich sein Revolver befunden habe, sei seitens der die Anzeige aufnehmenden Beamten - teilweise auf Grund der "bruchstückartigen Angaben" des Beschwerdeführers und teilweise aus Schlussfolgerungen - ein als "gegeben" anstatt richtig als "vermutet" bezeichneter Sachverhalt in der Anzeige beschrieben worden. Dies hätte dazu geführt, "falsche Schlüsse", insbesondere in Bezug auf seine Verlässlichkeit, zu ziehen, ohne den eigentlichen richtigen Sachverhalt zu erforschen. Er selbst habe nie davon gesprochen, von einem Telefonat abgelenkt gewesen zu sein; ebenso stamme die Erklärung, er habe die Gürteltasche auf dem Motorradsitz liegen gelassen und dort vergessen, nicht von ihm. Die "Art der gewählten Formulierung" sei von ihm nicht beachtet worden, in der Folge aber "wörtlich" zu seinen Lasten in der Begründung der Beschwerde aufgenommen worden.

Der Beschwerdeführer habe im Wiederaufnahmeantrag als neu hervorgekommene Tatsache angeführt, in einem Gespräch mit einem guten Bekannten, Dr. St., am 25. März 2007 durch dessen exakte und insistierende Fragen den Ablauf der Geschehnisse vom 17. August 2006 rekonstruiert zu haben. Demnach habe sich der Fall so zugetragen: Er wisse noch ganz genau, dass es an diesem Tag seiner Mutter sehr schlecht gegangen sei und er wie üblich Wäsche zur Reinigung mitgenommen habe, die er zu seinem Motorrad zum Verladen getragen habe. Er sei, während er nach vorne gebeugt am Motorrad die Wäsche seiner Mutter verstaut habe, von einem unachtsamen Passanten leicht angerempelt worden. Dieser "Passant" dürfte ihm den Gurt der Bauchtasche unbemerkt abgeschnitten und so die Tasche gestohlen haben. Nach dem Gespräch vom 25. März 2007 habe er sich an seine am 17. August 2006 getragene Kleidung erinnert, diese untersucht und festgestellt, dass sich am Ledergürtel eine Schnittspur und am Jeanshemd im Rückenbereich eine schnittartige Verletzung des Gewebes vorgefunden habe.

Nachdem die Erstbehörde mit Erledigung vom 20. April 2007 dem Beschwerdeführer die Stellungnahme seines früheren Rechtsvertreters übermittelt und bekannt gegeben habe, hinsichtlich der Angaben im Wiederaufnahmeantrag handle es sich ihrer Auffassung nach um Schutzbehauptungen, habe der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. Mai 2007 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Darin habe er vorgebracht, dass sein früherer Rechtsvertreter, Dr. P., zwar im Namen des Beschwerdeführers eine Stellungnahme abgegeben habe, dass diese aber ohne Wissen und ohne Rücksprache mit dem Beschwerdeführer erfolgt sei. Auch seien ihm Schriftstücke der Behörde von seinem Anwalt Dr. P. niemals zur Kenntnis gebracht worden. Ebenso sei der vom Rechtsvertreter Dr. P. im Verfahren abgegebene Rechtsmittelverzicht im Alleingang, ohne Information des Beschwerdeführers, erfolgt. Dazu habe der Beschwerdeführer eine mit 12. Mai 2007 datierte Erklärung an Eides statt vorgelegt, in der die geltend gemachten Umstände (Handeln des Rechtsvertreters Dr. P. im Alleingang, ohne Wissen des Beschwerdeführers) dokumentiert seien.

Am 6. Juli 2007 sei der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsvertreter Dr. St. bei der Erstbehörde erschienen und habe die behauptetermaßen durch den behaupteten Diebstahl in Mitleidenschaft gezogenen Kleidungsstücke vorgelegt, worüber seitens der Erstbehörde ein Aktenvermerk aufgenommen worden sei.

Die Rechtsanwaltskammer habe über Ersuchen der Erstbehörde mitgeteilt, die seitens des Beschwerdeführers gegen seinen früheren Rechtsvertreter Dr. P. erstattete Beschwerde geschäftsordnungsgemäß behandelt zu haben, ein allfälliger Sorgfaltsverstoß des Dr. P. lasse sich aber nicht ableiten.

In der Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde (mit dem der Wiederaufnahmeantrag abgewiesen worden war) habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend gemacht, er halte seine Behauptungen, sein früherer Rechtsvertreter Dr. P. habe ohne sein Wissen und ohne seine Rücksprache Behauptungen aufgestellt, weiter aufrecht. Zum Argument der Erstbehörde, es habe nicht eruiert werden können, ob die Beschädigung seiner Kleidungsstücke tatsächlich mit einem Diebstahl seiner Waffe in Zusammenhang stünden, habe er vorgebracht, dies sei für das Wiederaufnahmeverfahren irrelevant.

Nach einer Wiedergabe des § 69 AVG führte die belangte Behörde zunächst weiter aus, Voraussetzung für eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs 1 Z 2 AVG sei das Hervorkommen neuer Tatsachen (Beweismittel), die schon vor Erlassung des abschließenden Bescheides bestanden hätten, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden seien. Erforderlich sei weiters, dass diese Tatsachen (Beweismittel) nicht früher geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden treffe. Die neu hervorgekommenen Tatsachen (Beweismittel) müssten zudem entscheidungsrelevante Umstände betreffen, und, wären sie seinerzeit berücksichtigt worden, voraussichtlich zu einer anderen Entscheidung geführt haben.

Der Beschwerdeführer habe in seiner (von ihm selbst) am 18. August 2006 auf der PI Wgasse erstatteten Anzeige sinngemäß ausgeführt, er habe am Vortag (17. August 2006) gegen 19 Uhr sein Motorrad an seiner Wohnadresse abgestellt und, weil er so viel Gepäck zu tragen gehabt hätte, sein schwarzes Bauchtascherl mit Inhalt auf den Motorradsitz gelegt. Dieses habe er einfach am Sitz liegen lassen, was ihm erst am nächsten Tag in der Früh aufgefallen sei. In dem Tascherl hätten sich sein Revolver und seine ganzen Dokumente befunden.

Dem im Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringen, auf Grund "bruchstückartigen" Vorbringens in der Anzeige könne es sich dabei nur um "spekulative Annahmen" des Beamten handeln, hielt die belangte Behörde entgegen, für die Annahme, ein Polizeibeamter füge einer mündlichen Anzeige eines Geschehens spekulative Annahmen bei, bleibe kein Raum, zumal es dafür auch keinerlei Hinweis gebe. Wie hätte nämlich etwa das aufnehmende Organ von einer in der Bauchtasche mitgeführten Waffe wissen sollen, wie weiter vom benützten Motorrad, ohne entsprechende Angaben des Beschwerdeführers. Die Angaben des Beschwerdeführers anlässlich der Anzeigenerstattung seien eindeutig und vollkommen klar gewesen. Hinzu komme, dass bereits im Schreiben der Erstbehörde vom 25. September 2006, mit dem die beabsichtigte Entziehung der waffenrechtlichen Dokumente mitgeteilt worden sei, dem Beschwerdeführer der angenommene Sachverhalt mitgeteilt worden sei; der Beschwerdeführer sei daher "spätestens" ab diesem Zeitpunkt in Kenntnis von der "spekulativen" Annahme der Behörde gewesen.

In der Folge habe der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2. Oktober 2006 seine Verantwortung inhaltlich geändert, nämlich vorgebracht, der gegenständliche Revolver sei im Zuge eines Einbruchs aus seinem Motorradkoffer gestohlen worden. Dabei habe er nicht einmal auf das frühere Vorbringen (die Bauchtasche sei am Motorradsitz abgelegt worden) Bezug genommen. Der Beschwerdeführer sei also ersichtlich bemüht gewesen, seine elementare Verletzung der Sorgfaltspflicht durch diese Behauptung zu relativieren, wenngleich auch die Verwahrung einer Schusswaffe in einem (allenfalls auch abgesperrten) Motorradkoffer alles andere als eine sorgfältige Verwahrung darstellen würde.

In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer aber seinen früheren Rechtsvertreter Dr. P. mit der Vertretung beauftragt. In dessen Stellungnahme vom 20. November 2006 sei unter anderem erneut die erste Version der abgelegten und vergessenen Bauchtasche (beinhaltend Revolver und Dokumente) am Motorradsitz vorgetragen worden, ergänzt um das Detail eines angeblich geführten Telefongesprächs.

Der Beschwerdeführer hätte - vermittelt seines Rechtsvertreters - "alle Zeit der Welt" gehabt, im anhängigen Verfahren ergänzend vorzutragen und auf etwaige Widersprüche hinzuweisen. Dass dies angeblich nicht geschehen sei und sich sein früherer Rechtsvertreter über allfällige Abmachungen hinweggesetzt habe, sei allein seiner Sphäre zuzurechnen, zumal sich der Beschwerdeführer allfällige Versäumnisse oder Fehlleistungen seines Vertreters zurechnen lassen müsse. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers (Alleingang seines Rechtsvertreters) sei im Übrigen auch deshalb unglaubwürdig, weil die Verständigung vom 13. Dezember 2006 an den Beschwerdeführer dokumentiere, dass "vereinbarungsgemäß kein Rechtsmittel ergriffen" werde. Unabhängig davon habe der Beschwerdeführer spätestens seit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Erstbehörde von deren Annahme gewusst, es aber unterlassen, diese zu korrigieren. Zudem habe er zusätzlich noch falsche Angaben (Behauptung eines Einbruchs in den Motorradkoffer) erstattet.

Da der Beschwerdeführer also wesentlich früher als von ihm behauptet Kenntnis von den Sachverhaltsannahmen der Erstbehörde, die zur Entziehung der waffenrechtlichen Urkunden geführt hätten, gehabt habe, sei der darauf gestützte Wiederaufnahmeantrag jedenfalls verfristet. Soweit die "insistierende Befragung" durch seinen Bekannten Dr. St. am 25. März 2007 zu "neuen Tatsachen" bzw "neuen Beweismitteln" geführt habe, nämlich der Behauptung eines Trickdiebstahls durch Anrempeln und Abschneiden der Bauchtasche, stehe dem jedenfalls ein Verschulden des Beschwerdeführers gegenüber, nämlich insofern, als er bei zumutbarer und gebotener Aufmerksamkeit verhalten gewesen wäre, sich selbst entsprechend zu bemühen, den angeblich wahren Sachverhalt zu eruieren und entsprechend vorzutragen. Auch dies sei aber unterblieben. Zudem erscheine es alles andere als lebensnah, einem Vorbringen am Tag nach dem Vorfall und einem kurze Zeit später erfolgten Versuch der Glaubhaftmachung eines "Einbruchs in den Motorradkoffer" etwa sieben Monate nach dem Verlust der Waffe den behaupteten "Trickdiebstahl" gegenüber zu stellen.

Der Wiederaufnahmeantrag sei daher abzuweisen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in dem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 69 Abs 1 Z 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

2. Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 Abs 1 Z 2 AVG setzt unter anderem voraus, dass es sich um neue Tatsachen oder Beweismittel handelt und diesen - entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens - die Eignung zukommt, einen im Hauptinhalt des Spruchs anders lautenden Bescheid herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beurteilen ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses einer Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder den den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags bildenden Bescheid oder zumindest die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl das hg Erkenntnis vom 14. Jänner 2010, Zl 2005/09/0084, mwN).

3. Der Beschwerdeführer hatte versucht, im Wiederaufnahmeverfahren die Richtigkeit der - Basis für die Beurteilung seiner Verlässlichkeit nach § 8 Abs 1 WaffG bildenden -

von der Erstbehörde im Entziehungsverfahren angenommenen Sachumstände, die zum Verlust seiner Faustfeuerwaffe geführt hatten, in Zweifel zu ziehen. Zum Verlust der Waffe sei es, anders als von der Erstbehörde angenommen, nicht durch ein Vergessen der die Waffe enthaltenden Tasche auf dem Motorrad gekommen. Vielmehr durch einen Diebstahl, wobei dem (mit dem Verstauen von Kleidung auf dem Motorrad befassten, durch Gedanken an seine Mutter abgelenkten) Beschwerdeführer die in Rede stehende Tasche von einem Dieb unbemerkt vom Gürtel geschnitten und entwendet worden sei.

4. Die belangte Behörde hat dieses Vorbringen mit näherer, oben zusammengefasst wiedergegebener Beweiswürdigung (insbesondere unter Hinweis auf die eigenen Angaben des - noch nicht vom späteren Rechtsvertreter vertretenen - Beschwerdeführers anlässlich seiner Anzeige, auf eine davon abweichende, einen Aufbruch des Motorradkoffers geltend machende Verantwortung wiederum des Beschwerdeführers selbst, und auf eine sich nach der Aktenlage ergebende Kenntnis des Beschwerdeführers vom Inhalt der durch seinen Rechtsvertreter abgegebenen Stellungnahme) als unglaubwürdig beurteilt.

Die Beschwerde zeigt keine Unschlüssigkeit dieser Beweiswürdigung auf.

Schon deshalb ist die Entscheidung der belangten Behörde, den Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers abzuweisen, nicht zu beanstanden.

5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am 20. Juni 2012

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