VwGH 2011/08/0029

VwGH2011/08/002916.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über den Antrag 1. des H S und 2. der T GmbH, beide in Wien, beide vertreten durch Lambert Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der Mängel der Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. Juni 2010, Zl. UVS-06/48/3522/2009- 57, UVS-06/V/48/3580/2009, betreffend Übertretungen des § 111 ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

Der Verwaltungsgerichtshof stellte das Beschwerdeverfahren zur Zl. 2010/08/0214 mit Beschluss vom 19. Jänner 2011 (welcher dem Beschwerdeführervertreter am 2. Februar 2011 zugestellt wurde) wegen nicht vollständiger Mängelbehebung gemäß § 34 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 VwGG ein, weil die Antragsteller dem Verbesserungsauftrag nicht fristgerecht nachgekommen waren, indem sie keine Zweit- und Drittausfertigung des (nach Ablehnung der Behandlung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. September 2010, B 1056/10-3, und deren Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof) ergänzten Schriftsatzes vom 20. Dezember 2010 für die belangte Behörde und die weitere Partei vorgelegt haben.

Mit dem am 15. Februar 2011 zur Post gegebenen Antrag - dem eidesstättige Erklärungen des Beschwerdeführervertreters und seines Kanzleimitarbeiters PF sowie die fehlenden Ausfertigungen des Schriftsatzes vom 20. Dezember 2010 angeschlossen sind - begehrt die beschwerdeführende Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der Mängel der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 25. Juni 2010. Dazu wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführervertreter die um die Mängelbehebung ergänzte Beschwerde (Verbesserungsschriftsatz) am 20. Dezember 2010 fertiggestellt und in dreifacher Ausfertigung unterfertigt sowie eine Kopie des bekämpften Bescheides und eine Bestätigung der Überweisung der vorgeschriebenen Gebühr zum Versand bereitgelegt und seinen Mitarbeiter PF mit der postalischen Übersendung an den Verwaltungsgerichtshof beauftragt habe. Auf Grund der kurz vor Weihnachten erhöhten Arbeitsbelastung, die noch durch die damals bestehende krankheitsbedingte Personalknappheit verstärkt worden sei, habe dieser Mitarbeiter aber offensichtlich versehentlich die Beschwerde nur einfach kuvertiert und "wahrscheinlich die zwei Gleichschriften der Beschwerde irrtümlich mit einem anderen Poststück versandt". Dieser Mitarbeiter sei schon lange Zeit für die selbständige Erfassung und Überprüfung sowie die selbständige Versendung von - durch die Kanzleipartner freigegebene - Post verantwortlich und sowohl in der Kanzlei als auch im Rahmen eines sogenannten "BU-Kurses" der Anwaltskammer entsprechend geschult; er habe die ihm übertragenen Aufgaben stets ordnungsgemäß erfüllt und bis dato weder jemals eine Frist versäumt noch eine Postsendung unrichtig bzw. unvollständig versandt.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Das Verschulden eines Vertreters ist der Partei zuzurechnen. Hingegen trifft das Verschulden eines Kanzleibediensteten des Parteivertreters nicht schlechthin die Partei. Allerdings vermag ein Versehen eines Kanzleibediensteten für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darzustellen, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist (vgl. den Beschluss vom 17. Juli 2008, Zl. 2008/20/0305).

Im Interesse vernünftiger Rechtsschutzwahrung ist es aber nicht angezeigt, jedes in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters unterlaufenes Missgeschick dem Parteienvertreter mit Wirkung für die Partei als ein dem Grad minderen Versehens übersteigendes Verschulden zuzurechnen, weil sich gerade aus der Vorschrift des zweiten Satzes der Bestimmung des § 46 Abs. 1 VwGG deutlich das gesetzgeberische Anliegen entnehmen lässt, den Rechtsschutz nicht aus formellen Gründen an Ereignissen scheitern zu lassen, die im Drange der Geschäfte auch eines ordnungsgemäßen Kanzleibetriebes eines berufsmäßigen Parteienvertreters fallweise vorkommen können und verstehbar sind (vgl. auch dazu den zitierten hg. Beschluss vom 17. Juli 2008).

Überlässt ein Rechtsanwalt nach Unterfertigung eines Schriftsatzes dessen Postaufgabe einer verlässlichen Kanzleikraft und unterläuft dieser hiebei ein Versehen, so liegt dem Rechtsanwalt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich keine Verletzung der Sorgfaltspflicht zur Last (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 19. März 2001, Zl. 2001/20/0052).

Da im vorliegenden Fall die Versäumung der Frist zur Einbringung des dem Mängelbehebungsauftrag entsprechenden Schriftsatzes auf ein Versehen des mit der Postaufgabe betrauten Kanzleimitarbeiters des Rechtsvertreters der beschwerdeführenden Parteien zurückzuführen ist und die Abfertigung eines - wenn auch fristgebundenen - Schriftstückes einem verlässlichen Kanzleimitarbeiter ohne weitere Kontrolle überlassen werden darf, lag ein den Parteien nicht zuzurechnendes unvorhergesehenes Hindernis für die Einhaltung der Frist vor. Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher gemäß § 46 VwGG stattzugeben.

Wien, am 16. März 2011

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