VwGH 2010/22/0168

VwGH2010/22/016813.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag.Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Maga. Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/7, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 16. August 2010, Zl. 156.543/2-III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG", zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6;
AVG §13 Abs3;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §43;
NAG 2005 §44;
NAG 2005 §45;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ARB1/80 Art6;
AVG §13 Abs3;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §43;
NAG 2005 §44;
NAG 2005 §45;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 16. März 2010 eingelangten Antrag begehrte der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsanghöriger, die Verlängerung seiner bis 17. März 2010 gültigen Aufenthaltsbewilligung als Student.

Mit dem in der Folge am 7. Mai 2010 eingelangten Antrag begehrte er die Zweckänderung seiner Aufenthaltsberechtigung in Richtung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG". Mit Begleitschreiben ersuchte er um Bewilligung des Zweckänderungsantrages auf Erteilung

  1. "1. eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt - EG', in eventu
  2. 2. einer Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt, in eventu
  3. 3. einer Niederlassungsbewilligung - beschränkt, bzw.
  4. 4. meine Rechtstellung als die eines türkischen Arbeitnehmers, welcher sich auf die Bestimmungen des ARB 1/1980 beruft, mittels eines deklarativen Feststellungsbescheides zu dokumentieren."

    Inhaltlich führte er aus, dass er die "Wartefrist" für die Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" jedenfalls erfülle. Weiters sei er seit März 2006 durchgehend in Österreich erwerbstätig, woraufhin ihm auf Grundlage des Art. 6 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr. 1/80 (im Folgenden: ARB 1/80) am 22. März 2010 ein Befreiungsschein ausgestellt worden sei. Im NAG habe der Gesetzgeber nicht auf die türkischen Arbeitnehmer Bedacht genommen, die sich auf die Bestimmungen des ARB 1/80 berufen könnten. Es stehe fest, dass der zu erteilende Aufenthaltstitel von seinem Zweckumfang her die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zulassen müsse. Das System des NAG kenne zwei Arten von Niederlassungsbewilligungen, die dies ermöglichten, nämlich die "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" und die "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt", und weiters den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG". Sollte in rechtsirriger Weise die Auffassung vertreten werden, dass der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" nicht ausgestellt werden könne, käme die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" bzw. "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" in Frage.

    Die Behörde erster Instanz forderte den Beschwerdeführer am 10. Mai 2010 auf, sich gemäß § 13 Abs. 3 AVG "auf einen Aufenthaltszweck zu beschränken".

    In der Stellungnahme vom 21. Mai 2010 wiederholte der Beschwerdeführer seine Eventualanträge mit dem Hinweis auf den Besitz eines Befreiungsscheines. Er habe nicht mehrere Aufenthaltszwecke angegeben. Der angestrebte Aufenthaltszweck sei die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Österreich auf der Grundlage des Art. 6 dritter Gedankenstrich ARB 1/80.

    Dies wiederholte er im Wesentlichen in der weiteren Stellungnahme vom 2. Juni 2010, die unter Bezug auf ein Telefonat vom 1. Juni 2010 eingebracht wurde.

    Mit Bescheid vom 16. Juni 2010 wies der Landeshauptmann von Wien als Behörde erster Instanz den Antrag vom 7. Mai 2010 gemäß § 19 Abs. 2 NAG zurück, "da Sie unzulässigerweise mehrere verschiedene Aufenthaltszwecke in Ihrem Antrag angegeben haben".

    Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. August 2010 gab die belangte Behörde der gegen den erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid erhobenen Berufung nicht Folge und begründete dies im Wesentlichen mit einem Hinweis auf § 19 Abs. 2 NAG und dem Nichtentsprechen der Aufforderung der erstinstanzlichen Behörde durch den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer habe entgegen den Bestimmungen des § 19 Abs. 2 NAG keinen eindeutigen Aufenthaltszweck bekannt gegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 19 Abs. 1 NAG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder auf Ausstellung einer Dokumentation des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts persönlich bei der Behörde zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

§ 19 Abs. 2 NAG normiert in der Stammfassung:

"Im Antrag ist der Grund des Aufenthalts bekanntzugeben; dieser ist genau zu bezeichnen. Nicht zulässig sind Anträge, aus denen sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz. …"

Die belangte Behörde meint, dass der Beschwerdeführer verschiedene Aufenthaltszwecke angegeben hätte. Diese Ansicht ist nicht nachvollziehbar, hat sich der Beschwerdeführer doch immer ausdrücklich auf den ihm erteilten Befreiungsschein als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger berufen und geltend gemacht, dass der ihm zu erteilende Aufenthaltstitel von seinem Zweckumfang her die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zulassen müsse. Darauf aufbauend beantragte er primär die Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" und in eventu eine unbeschränkte oder beschränkte Niederlassungsbewilligung, die ebenfalls die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zulässt.

Sollte die belangte Behörde aber über den ausdrücklichen Zurückweisungsgrund ("mehrere Aufenthaltszwecke") hinaus der Ansicht sein, dass Eventualanträge grundsätzlich nicht gestellt werden dürfen, sieht sich der Gerichtshof zu folgenden Ausführungen veranlasst:

Unzulässig ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 19 Abs. 2 NAG (neben einem Antrag, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben) das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (952 BlgNR 22. GP , 128) halten dazu fest: "Darüber hinaus wird normiert, dass immer nur ein eindeutiger, laufender Antrag gestellt werden soll; hier gilt § 13 Abs. 3 AVG uneingeschränkt. Dies soll verhindern, dass Fremde versuchen, auf irgendeinem Weg nach Österreich zu kommen und hiezu mehrere Anträge oder Eventualanträge stellen."

Das Wesen eines Eventualantrages liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Erst nach rechtskräftiger negativer Erledigung über den Hauptantrag ist über den Eventualantrag zu erkennen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2005/21/0041).

Aus diesem Verhältnis von Hauptantrag und Eventualantrag lässt sich aus § 19 Abs. 2 NAG nicht die Unzulässigkeit eines Eventualantrages ableiten. Das erklärte Ziel, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge zu verhindern, wird nämlich durch das Stellen eines Eventualantrages nicht beeinträchtigt, weil ein Eventualantrag - wie dargelegt - erst nach rechtskräftiger Erledigung des Hauptantrages zu behandeln ist. Von mehreren Anträgen in einem laufenden Verfahren kann daher in einer solchen Konstellation keine Rede sein. Es liegt immer nur ein "eindeutiger, laufender Antrag" im Sinn der zitierten Erläuterungen vor. Da ein Fremder grundsätzlich auch nicht gehindert ist, nach rechtskräftiger Erledigung seines Antrages einen neuen Antrag zu stellen, geht die Gleichsetzung eines Eventualantrags mit einem Parallelantrag, wie sie in den angeführten Erläuterungen vertreten wird, ins Leere. Bei einem Verfahren über einen Eventualantrag handelt es sich eben nicht um einen "gleichzeitig laufenden weiteren Antrag", den es zu verhindern gilt.

Da die belangte Behörde somit mit der Bestätigung der Zurückweisung des Zweckänderungsantrages die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG schon deshalb wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht - im angesprochenen Ausmaß - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. Dezember 2011

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