VwGH 2010/22/0145

VwGH2010/22/014513.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des H, vertreten durch Mag. Robert Sellemond, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Speckbacherstraße 25, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 5. Mai 2010, Zl. E1/9774/10, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung i.A. Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
ZustG §23;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
ZustG §23;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid vom 7. Juli 2009 im Instanzenzug ab und gleichzeitig die Berufung gegen den genannten Bescheid als verspätet zurück.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dem Beschwerdeführer sei am 23. Mai 2009 mittels Zustellung durch den "Wachkörper" - nachdem die entsprechende Postsendung als nicht behoben zurückgestellt worden sei - in I persönlich das Schreiben vom 17. März 2009 über die Einleitung eines Aufenthaltsverbotsverfahrens ausgehändigt worden. Eine Stellungnahme zur beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme habe der Beschwerdeführer nicht eingebracht. Mit Bescheid vom 7. Juli 2009 habe die erstinstanzliche Behörde den Beschwerdeführer mit einem unbefristeten Aufenthaltsverbot belegt. Dieses sei wieder durch den "Wachkörper" zugestellt worden. Dabei sei berichtet worden, dass der Beschwerdeführer bei der versuchten Zustellung nicht angetroffen worden sei. Von einem Bewohner des Hauses sei in Erfahrung gebracht worden, dass der Beschwerdeführer vor 14 Tagen ausgezogen wäre und seine gesamten Möbel mitgenommen hätte. Daraufhin sei er von diesem Wohnsitz amtlich abgemeldet worden. In Anwendung des § 8 Abs. 2 Zustellgesetz (ZustG) sei der Aufenthaltsverbotsbescheid vom 7. Juli 2009 bei der Behörde ohne vorausgehenden Zustellversuch hinterlegt worden. Gemäß § 23 Abs. 4 ZustG gelte der Bescheid mit 25. August 2009 als zugestellt. Seit 26. August 2009 sei der Beschwerdeführer wieder polizeilich gemeldet, und zwar in M.

Am 15. März 2010 habe der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung beantragt und dabei vorgebracht, eine wirksame Zustellung des Bescheides wäre nicht erfolgt. Er wäre im relevanten Zeitraum in I an seiner bisherigen Wohnadresse nicht aufhältig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätte er bereits in M gewohnt. Die dort um einen Monat verzögerte polizeiliche Meldung wäre auf die Ortsabwesenheit des dortigen Vermieters zurückzuführen. Dem Zusteller wäre auf Grund mündlicher Mitteilungen von Personen in I an seiner bisherigen Wohnadresse bekannt gewesen bzw. hätte durch entsprechende Mitteilung bekannt sein können, dass der Beschwerdeführer nach M übersiedelt wäre. Noch innerhalb der Rechtsmittelfrist wäre die tatsächliche Adresse in Erfahrung zu bringen gewesen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass die Zustellung durch Hinterlegung ohne Zustellversuch rechtswirksam erfolgt sei, weil der Beschwerdeführer durch Nichtbeachtung des § 8 Abs. 1 ZustG diese Art der Zustellung ermöglicht habe. Daran ändere der Umstand nichts, dass innerhalb der Rechtsmittelfrist die tatsächliche Adresse in Erfahrung zu bringen gewesen wäre. Wenn eine Partei während eines anhängigen behördlichen Verfahrens, von dem sie Kenntnis habe, die Abgabestelle ändere und das der Behörde nicht mitteile, handle es sich nicht bloß um einen minderen Grad des Versehens.

Eine Glaubhaftmachung im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG gelinge dem Beschwerdeführer somit nicht; die mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachte Berufung sei verspätet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die behördlichen Feststellungen. Diesen zufolge wurde die Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides durch die Behörde versucht, nachdem früher hinterlegte Postsendungen nicht behoben worden waren und dem Beschwerdeführer die Verständigung über die Einleitung eines Aufenthaltsverbotsverfahrens durch einen Organwalter der Behörde persönlich ausgehändigt worden war. Bei der versuchten Zustellung wurde in Erfahrung gebracht, dass der Beschwerdeführer an seiner bisherigen Unterkunft nicht mehr aufhältig sei.

Gemäß § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

§ 8 Abs. 2 leg. cit. ordnet an, dass die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch, soweit die Verfahrensvorschriften nichts anderes vorsehen, vorzunehmen ist, wenn die in Abs. 1 vorgesehene Mitteilung unterlassen wird und eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Der Beschwerdeführer hatte von der Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Kenntnis, änderte seine Abgabestelle und gab dies der Behörde nicht bekannt.

Da bei der versuchten Zustellung ohnedies mit einem Bewohner des Hauses Kontakt aufgenommen wurde und der Beschwerdeführer eine polizeiliche Meldung an seiner neuen Adresse nicht vorgenommen hat, ist die weitere Tatbestandsvoraussetzung für eine Hinterlegung ohne Zustellversuch erfüllt, weil eine Abgabestelle jedenfalls bis zur Hinterlegung nicht "ohne Schwierigkeiten" festgestellt werden konnte.

Entgegen der Beschwerdeansicht ist somit von einer wirksamen Zustellung auszugehen, die im Übrigen auch Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist.

§ 71 Abs. 1 Z 1 AVG lautet:

"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn: 1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, ..."

Die belangte Behörde hat die beantragte Wiedereinsetzung frei von Rechtsirrtum versagt. Der Beschwerdeführer hat der Behörde in Kenntnis des anhängigen Aufenthaltsverbotsverfahrens seine neue Adresse nicht mitgeteilt, obwohl er wusste, dass die polizeiliche Meldung wegen der Abwesenheit des Vermieters nicht sofort vorgenommen werden kann. Es unterliegt keinem Zweifel, dass dadurch das zumutbare Maß an Aufmerksamkeit krass unterschritten wurde.

Hat nämlich ein Fremder mit der Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme zu rechnen, handelt er auffallend sorglos, wenn er seine neue Adresse nicht bekannt gibt und allenfalls darauf vertraut, dass einem Zusteller durch entsprechende Mitteilung die neue Adresse bekannt werden könnte. Es hat sich gezeigt, dass auch durch die Befragung eines Bewohners des Hauses in I, in dem der Beschwerdeführer vorher gewohnt hat, die neue Adresse nicht in Erfahrung gebracht werden konnte. Der Beschwerdeführer durfte nicht damit rechnen, dass es gerade zu einer Befragung jener Person kommt, die möglicherweise von seiner neuen Anschrift Kenntnis hat.

Den Beschwerdeführer trifft daher an der Unkenntnis der Behörde über seinen neuen Wohnsitz, hervorgerufen durch die Unterlassung der Verständigung der Behörde bzw. einer sofortigen polizeilichen Meldung, ein grobes Verschulden (vgl. zu diesem Maßstab das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2011, 2010/21/0427; fallbezogen wurde dort eine auffallende Sorglosigkeit verneint, weil ein fremdenpolizeiliches Verfahren nicht zu erwarten war).

Die belangte Behörde hat daher das Vorliegen einer groben Sorgfaltswidrigkeit zu Recht bejaht und demzufolge den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen. Ebenso zutreffend war die verspätete Berufung zurückzuweisen.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Der belangten Behörde war jedoch nur der Vorlageaufwand zuzusprechen. Die "Gegenschrift" erschöpft sich nämlich in der bloßen Angabe, "die belangte Behörde verweist auf die Ausführungen des bekämpften Bescheides".

Wien, am 13. Dezember 2011

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