VwGH 2010/21/0458

VwGH2010/21/045827.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Hans Lehofer und Mag. Bernhard Lehofer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Kalchberggasse 6/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 6. August 2008, Zl. 2F/398/2006, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Mai 1984 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste zum Zweck des Schulbesuchs im April 2001 nach Österreich ein, wo ihm - für diesen Aufenthaltszweck, zuletzt bis zum 3. April 2003 verlängert - Aufenthaltstitel erteilt wurden. Am 18. Dezember 2002 wurde er von einer österreichischen Staatsbürgerin adoptiert, worauf er - verlängert mit Gültigkeit bis zum 3. November 2005 - eine Niederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger erhielt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie § 63 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend stützte sie sich darauf, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 17. Jänner 2006 wegen des Verbrechens des Raubes als Beteiligter nach § 12, dritter Fall und § 142 Abs. 1 StGB zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden sei. Er habe am 20. März 2005 in Graz dadurch, dass er ein Wettcafe auskundschaftete und seinen zwei Komplizen, die in einem abgestellten Pkw vor dem Lokal gewartet hätten, mitteilte, es befinde sich nur mehr ein Gast im Lokal, die Gelegenheit zur Durchführung des beabsichtigten Raubüberfalls wäre daher günstig, physisch und psychisch einen Beitrag zum unmittelbar danach von diesen verübten Raubüberfall geleistet. Hiebei haben die Komplizen eine Kellnerin durch Vorhalten einer Pistolenattrappe verbunden mit der Äußerung, "Geld, Geld" sowie "mehr Geld", also durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, zur Herausgabe von EUR 10.110,-- genötigt, um sich zu bereichern.

Nach Begehung der Straftat sei er am 20. März 2005 (bevor das Landesgericht für Strafsachen Graz gegen ihn am 26. März 2005 einen Haftbefehl erlassen habe) aus eigenem Antrieb aus Österreich ausgereist, also geflüchtet, und sei insgesamt sieben Monate in seinem Heimatland Türkei geblieben, wo eine Schwester von ihm lebe. Danach habe er sich entschlossen, nach Österreich zurückzukehren und sich freiwillig der Polizei zu stellen.

Der Beschwerdeführer, dem - wie eingangs erwähnt - Aufenthaltstitel erteilt worden seien und der nach seinem Schulbesuch ca. zehn Monate lang in einer Wäscherei gearbeitet habe und danach acht Monate lang bei der Firma Mc Donalds beschäftigt gewesen sei, sei - so argumentierte die belangte Behörde auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst weiter - eine gewisse Integration zuzubilligen. Fast alle seine engen Familienangehörigen hielten sich langjährig in Österreich auf, viele von ihnen besäßen bereits die österreichische Staatsbürgerschaft. Seine Eltern lebten in Graz, ebenso sein ältester Bruder sowie dessen österreichische Ehegattin, die ihn adoptiert habe, sowie sein Cousin. Weiters habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er mit der österreichischen Staatsbürgerin D. befreundet sei und beabsichtige, diese zu ehelichen und mit ihr eine Familie zu gründen. Auf Grund der islamischen Tradition lebte er jedoch mit D. nicht im gemeinsamen Haushalt. Auch spreche der Beschwerdeführer sehr gut deutsch.

Zu seiner wirtschaftlichen Situation sei festzuhalten, dass er seit 26. November 2007 durchgehend Notstandshilfe beziehe und darüber hinaus auf private finanzielle Zuwendungen von Familienangehörigen (vor allem von seiner österreichischen Adoptivmutter) angewiesen sei. Auch davor, seit dem 16. September 2003, seien lediglich kurzfristige Beschäftigungszeiten (im Regelfall von zwei bis drei Monaten) vorgelegen; überwiegend habe der Beschwerdeführer bereits damals Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen.

Insgesamt stelle die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes einen massiven Eingriff in das in Österreich geführte Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Dennoch sei die Maßnahme auf Grund seiner Beteiligung an einem massiven Verbrechen (Raub) geboten. Die Gewährung einer teilbedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe ändere daran nichts, weil die Fremdenpolizeibehörde die gebotene Prognosebeurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts vorzunehmen habe.

Der Beschwerdeführer habe seinen langjährigen Aufenthalt in Österreich nach Begehung der beschriebenen Straftat freiwillig selbst beendet und sich insgesamt sieben Monate lang im Heimatstaat (Türkei) aufgehalten, woraus zu schließen sei, dass er dort entsprechende Lebensbedingungen vorgefunden habe. Aus diesem Grund sei ihm auch eine neuerliche Rückkehr in die Türkei zuzumuten, zumal er im Verfahren keine nachhaltigen Gründe aufgezeigt habe, die für eine nunmehrige Unzumutbarkeit seiner Rückkehr in die Heimat sprächen. Nach der Wiedereinreise (am 28. Oktober 2005) sei es zu keiner umfassenden sozialen Integration in Österreich gekommen.

Weitere Kontakte zur österreichischen Freundin D. könnten auch vom Ausland aus aufrechterhalten werden. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer volljährig sowie "im Vollbesitz seiner geistigen und physischen Kräfte", sodass es ihm auch in der Türkei möglich wäre, eine Beschäftigung aufzunehmen.

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei somit erforderlich, weil ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde, "weiteren im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Grundinteressen" in hohem Maß zuwiderlaufe und zudem "eine aktuelle Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft" darstelle. Eine günstige Zukunftsprognose sei im Hinblick auf den Umstand, dass es dem Beschwerdeführer seit seiner Wiedereinreise nach Österreich nicht gelungen sei, sich wirtschaftlich entsprechend zu integrieren, sowie unter Berücksichtigung der ihm seit November 2007 fast durchgehend gewährten Notstandshilfe - trotz von ihm ins Treffen geführten Einstellungszusagen von Unternehmern - ausgeschlossen. Es sei vielmehr von einer weiteren Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen auszugehen. Auch sei der Zeitraum des Wohlverhaltens zu kurz, um einen Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes (unter anderem Verhinderung von Straftaten und Schutz der Rechte Anderer) wögen schwerer als der durch das Aufenthaltsverbot bewirkte relevante Eingriff in das in Österreich geführte Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Es seien auch keine ausreichenden Gründe für eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers ersichtlich.

Die Dauer des Aufenthaltsverbotes ergebe sich daraus, dass mit einem Gesinnungswandel nicht vor Ablauf von fünf Jahren gerechnet werden könne. Die Begehungsform der Straftat, die persönliche Motivation sowie das Gesamtfehlverhalten ließen keine günstigere Zukunftsprognose zu.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass gemäß § 87 FPG die Privilegierung des § 86 FPG für Kinder als Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) von Österreichern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht haben, nur bis zum Erreichen ihrer Volljährigkeit gilt. In der Schlechterstellung Fremder, die ihr Aufenthaltsrecht - wie der Beschwerdeführer - von einem österreichischen Staatsbürger ableiten, im Verhältnis zu solchen, die sich auf unionsrechtlich begünstigte Ankerpersonen beziehen, hat der Verfassungsgerichtshof keine Unsachlichkeit erblickt (vgl. das - u.a. - gegenüber dem Beschwerdeführer ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 2010, G 18/10 u.a., insbesondere Punkte 2.4.4. und 2.8.).

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Als bestimmte Tatsache iSd § 60 Abs. 1 FPG hat gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FPG zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.

Im Hinblick auf das beschriebene, zu der erwähnten strafgerichtlichen Verurteilung vom 17. Jänner 2006 führende Fehlverhalten kann der Auffassung der belangten Behörde, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Wenn der Beschwerdeführer zwar - was die Beschwerde zutreffend hervorhebt - nur eine einzige Straftat begangen hat, so handelte es sich dabei doch um ein besonders gravierendes Verbrechen. Ebenso verhilft der Hinweis auf die im Strafurteil herangezogenen Milderungsgründe (nämlich die Unbescholtenheit, das umfassende und reumütige Geständnis, die Rückkehr aus der Türkei und Stellung bei der Polizei sowie die untergeordnete Rolle bei der vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Straftat) der Beschwerde nicht zum Erfolg: Auch die belangte Behörde ist nämlich vom Vorliegen lediglich einer Straftat ausgegangen, die jedoch auf Grund ihrer Schwere erheblich zu Lasten des Beschwerdeführers ins Gewicht fällt. Die angeführten mildernden Umstände haben bereits in der Ausmittlung der Strafhöhe Einfluss gefunden, für die Notwendigkeit einer zusätzlichen Berücksichtigung im vorliegenden Zusammenhang fehlt ihnen jedoch ausreichendes Gewicht. Dies gilt umso mehr, weil die dargestellten Umstände zur Befristung des Aufenthaltsverbotes auf eine Dauer von lediglich fünf Jahren geführt haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0073, mwN).

Soweit die Beschwerde die ungünstige Prognosebeurteilung beanstandet, ist ihr zu entgegnen, dass ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu prüfen ist, innerhalb welchen Zeitraumes er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft (hier am 28. Februar 2006) in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. September 2010, Zl. 2010/21/0008, mwN). Im Hinblick auf die dargestellte Beteiligung an einem planmäßig durchgeführten schweren Verbrechen erscheint die bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 11. August 2008) verstrichene Zeit zu kurz, um auf einen Wegfall oder zumindest eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können.

Im Rahmen der im angefochtenen Bescheid erfolgten Interessenabwägung gemäß § 66 FPG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) hat die belangte Behörde vor allem den bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, seine Kenntnisse der deutschen Sprache, seine familiären Bindungen zu den in Österreich lebenden Eltern, der Adoptivmutter und den Geschwistern, weiters zur österreichischen (mit ihm jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebenden) Freundin sowie seine vorübergehende, im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch längst nicht mehr aufrechte Erwerbstätigkeit im Inland berücksichtigt und dabei einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers angenommen.

Ebenso ist der belangten Behörde jedoch darin beizupflichten, dass die während des bisherigen inländischen Aufenthaltes erworbenen Elemente der Integration durch das dargestellte strafbare Verhalten, eines mit Androhung schwerer Gewalt verbundenen Raubüberfalles, erheblich beeinträchtigt wurden. Eine - in den letzten Jahren vorliegende - berufliche Verfestigung des unverheirateten und kinderlosen Beschwerdeführers im Bundesgebiet behauptet auch die Beschwerde nicht. Dasselbe gilt für eine Änderung in der Beziehung zu seiner österreichischen Freundin. Die Kontakte zu den Eltern und Geschwistern werden zudem durch die längst eingetretene Volljährigkeit des Beschwerdeführers relativiert. Schließlich weist auch die belangte Behörde zutreffend darauf hin, dass dem Beschwerdeführer ein rund siebenmonatiger Aufenthalt in der Türkei nach seiner (durch das konkrete Drohen seiner strafgerichtlichen Verfolgung bedingten) Flucht ohne aktenkundige Schwierigkeiten möglich gewesen war, sodass - zumal im Heimatstaat seine ältere Schwester lebt - unter Berücksichtigung der dargestellten Lebenssituation des Beschwerdeführers von der Zumutbarkeit seiner Reintegration auszugehen ist.

Es sind im Beweisverfahren auch keine Umstände hervorgekommen, die eine Übung des der Behörde durch § 60 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens zu Gunsten des Beschwerdeführers gerechtfertigt hätten.

Soweit der Beschwerdeführer das Unterbleiben ergänzender Beweisaufnahmen, insbesondere einer Einvernahme seiner Adoptivmutter, rügt, legt er nicht dar, welche zusätzlichen Feststellungen ergänzende Beweisaufnahmen konkret ermöglicht hätten. Es fehlt daher die Dartuung einer Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.

Schließlich vermisst der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer mündlichen Berufungsverhandlung, in deren Rahmen er selbst sowie seine Adoptivmutter einzuvernehmen gewesen wären. Dem ist allerdings zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht auf eine Berufungsverhandlung und auch kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. März 2010, Zlen. 2009/21/0216 bis 0220, und vom 29. September 2010, Zl. 2010/21/0252). Parteiengehör ist dem Beschwerdeführer ausreichend, etwa bei seinen niederschriftlichen Befragungen oder bei Erhebung der Berufung an die belangte Behörde, zugekommen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich - im Rahmen des ziffernmäßigen Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Jänner 2011

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