Normen
AsylG 2005 §2 Abs1 Z14;
AVG §67a Abs1;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §120;
FrPolG 2005 §39 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §39 Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z14;
AVG §67a Abs1;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §120;
FrPolG 2005 §39 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §39 Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, reiste am 8. Dezember 2008 gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem damals vierjährigen Sohn von Polen kommend nach Österreich ein, wo sie noch am selben Tag in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Sie wurden in die Grundversorgung des Bundes aufgenommen und in der Betreuungsstelle Traiskirchen untergebracht.
Nach Einlangen der Zustimmungserklärung Polens wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Februar 2009 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, für die Prüfung des Antrages sei gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen zuständig. Unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und seine Abschiebung dorthin gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 für zulässig erklärt. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 6. Februar 2009 zugestellt.
Am 9. Februar 2009 wurde der Beschwerdeführer in Wien im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle von einem Organ der Bundespolizeidirektion Wien um 18.30 Uhr festgenommen und bis (zur anschließenden Verhängung der Schubhaft) um 20.45 Uhr angehalten.
Gegen die Festnahme und die Anhaltung im angeführten Zeitraum brachte der Beschwerdeführer am 23. März 2009 beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (der belangten Behörde) eine Administrativbeschwerde ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. April 2009 wies die belangte Behörde diese Beschwerde als unbegründet ab und stellte fest, dass die genannten Maßnahmen rechtmäßig gewesen seien.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:
In der Begründung des angefochtenen Bescheides gab die belangte Behörde (unter anderem) wörtlich den Inhalt der Anzeige gegen den Beschwerdeführer wieder, in deren "Betreff" an erster Stelle "Unbefugter Aufenthalt im Bundesgebiet gem. § 120 FPG" angeführt ist. Unter "Sachverhalt" wurde in dieser Anzeige Folgendes festgehalten:
"Der Genannte wurde am 09.02.2009 um 18.25 Uhr in Wien 12, …, einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen. Dabei wies sich der Genannte mit einer Verfahrenskarte gem. § 50 AsylG aus. Eine Priorierung im EKIS ergab, dass gegen den Asylwerber eine Ausweisung besteht. Der Bescheid über das Ausweisungsverfahren wurde ihm am 06.02.2009 übergeben. Da er nicht im Besitz eines gültigen Einreise bzw. Aufenthaltstitel(s) ist und sich somit unrechtmäßig im BG aufhält und auf frischer Tat betreten wurde, wurde er zum Zwecke der unerlässlichen Vorführung vor die Fremdenrechtsbehörde am 09.02.2009, um 18.30 Uhr gem. § 39 iVm § 120 FPG festgenommen.
…
Unmittelbar danach wurde er gem. § 40/1 FPG über die Gründe der Festnahme und über den Vorwurf der Verwaltungsübertretung informiert. …"
Unter Hinweis auf den wiedergegebenen Inhalt der Anzeige ging die belangte Behörde in der Begründung ihrer Entscheidung davon aus, dass die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers gemäß "§ 39 iVm § 120 FPG" erfolgt sei. In den weiteren Überlegungen wies sie dann darauf hin, dass die gegen den Beschwerdeführer erlassene Ausweisung nach Polen "trotz fehlender Rechtskraft bereits durchsetzbar" gewesen sei, weil einer allfälligen Beschwerde gemäß § 36 Abs. 1 AsylG 2005 keine aufschiebende Wirkung zukomme. Die Festnahme des Beschwerdeführers finde daher ihre gesetzliche Deckung in § 39 Abs. 3 Z 1 FPG, weil zu diesem Zeitpunkt eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 bereits erlassen worden sei. Die "Behörde" habe daher rechtsrichtig die Festnahme des Beschwerdeführers gestützt auf § 39 FPG "verfügt". Die Anführung dieser Bestimmung als Rechtsgrundlage sei durchaus ausreichend und es bedürfe "diesbezüglich keiner näheren Spezifizierung", weshalb im gegenständlichen Fall "die zusätzliche Anführung des § 120 FPG nicht zur Rechtswidrigkeit der Festnahme führt". Die "gegenständlich zu überprüfende Festnahme" erweise sich somit gemäß § 39 Abs. 3 Z 1 FPG als gerechtfertigt.
Der mit "Festnahme" überschriebene § 39 FPG lautet in den hier maßgeblichen Teilen:
"§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerlässlichen Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn
1. sie ihn bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 auf frischer Tat betreten oder
2. …
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden festzunehmen, wenn
…
(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Asylwerber und Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, zum Zwecke der Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn
1. gegen diesen eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;
…"
Der in § 39 Abs. 1 Z 1 FPG angesprochene § 120 FPG (in der hier noch maßgeblichen Stammfassung) enthält Strafbestimmungen. Nach dessem (hier allein in Betracht kommenden) Abs. 1 Z 2 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 2.180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist der belangten Behörde angesichts des wiedergegebenen Inhalts der Anzeige, die sich zur Begründung der Festnahme und anschließenden Anhaltung evident am Wortlaut des § 39 Abs. 1 Z 1 FPG und des § 120 Abs. 1 Z 2 FPG orientiert, darin zu folgen, dass die genannten Maßnahmen vom einschreitenden Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf diese Bestimmungen ("§ 39 iVm § 120 FPG") gegründet wurden. Es kann somit - anders als die Bundespolizeidirektion Wien in ihrer Stellungnahme vom 27. März 2009 im Verfahren vor der belangten Behörde meint - keine Rede davon sein, dass sich "der Meldungsleger in seiner Begründung in der Wahl des Absatzes" (gemeint: § 39 Abs. 1 Z 1 statt § 39 Abs. 3 Z 1 FPG) "geirrt" habe.
Der auf das Betreten bei einer Verwaltungsübertretung nach § 120 FPG auf frischer Tat abstellende § 39 Abs. 1 Z 1 FPG konnte jedoch keine tragfähige Rechtsgrundlage für die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers am 9. Februar 2009 darstellen, weil dieser Tatbestand auf Asylwerber - diese Eigenschaft kam dem Beschwerdeführer während der offenen Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Februar 2009 weiter zu (siehe § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005) - nicht anwendbar ist (vgl. dazu die ErlRV 952 BlgNR 22. GP 91 f). Davon gingen erkennbar auch die Bundespolizeidirektion Wien in der erwähnten Stellungnahme vom 27. März 2009 und die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus.
Ungeachtet dessen kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die bekämpften Maßnahmen gerechtfertigt gewesen seien, weil sie in § 39 Abs. 3 Z 1 FPG ihre gesetzliche Deckung fänden. Allerdings wird die auf eine untaugliche Grundlage gestützte Festnahme und Anhaltung nicht dadurch zu einer rechtmäßigen Maßnahme, dass eine andere (aber nicht herangezogene) Rechtsgrundlage zur Verfügung gestanden wäre (vgl. idS zu einem Festnahmeauftrag das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zlen. 2009/21/0214, 0224). Demzufolge hätte die belangte Behörde die bekämpften Maßnahmen für rechtswidrig erklären müssen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf den gesonderten Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren findet darin keine Deckung und war daher abzuweisen.
Wien, am 20. Oktober 2011
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