VwGH 2009/05/0121

VwGH2009/05/012111.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer, Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über den Antrag des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 7. Mai 2009, GZ 25 Cg 61/ 07d, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide des Bürgermeisters der Marktgemeinde M vom 18. März 1971, Zl. 4695/ 70 sowie vom 23. April 1991, Zl. 688/ 91 (Parteien gemäß § 64 VwGG 1. Bürgermeister der Marktgemeinde M,

2. Ing. B M in M, vertreten durch Dr. Johannes Jarolim, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3/1. OG,

3. Marktgemeinde M, vertreten durch DDr. Christian F. Schneider, Rechtsanwalt in 1220 Wien, ARES Tower, Donau-City-Straße 11), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
AVG §59 Abs1;
BauO NÖ 1969 §56 Abs1;
BauO NÖ 1969 §56 Abs3;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs1;
VwRallg;
AVG §52;
AVG §59 Abs1;
BauO NÖ 1969 §56 Abs1;
BauO NÖ 1969 §56 Abs3;
BauRallg;
B-VG Art18 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass die Bescheide des Bürgermeisters der Marktgemeinde M vom 18. März 1971, Zl. 4695/ 70, sowie vom 23. April 1991, Zl. 688/ 91, rechtswidrig waren.

Begründung

A.1. Beim Landesgericht Wiener Neustadt ist zur Zl. 25 Cg 61/ 07d ein Rechtsstreit zwischen dem Kläger, Ing. B M, und der Marktgemeinde M als Beklagte anhängig, in welchem der Kläger einerseits die Zahlung von EUR 19.704,38 aus dem Titel der Amtshaftung, in eventu die Feststellung, dass die Beklagte sämtliche Kosten, welche dem Kläger im Zusammenhang mit dem von der Beklagten angeordneten "Anschluss der Ableitung der Dach- und Oberflächenwässer in das öffentliche Kanalnetz" entstehen würden, zu ersetzen hätte. Weiters solle festgestellt werden, dass die Beklagte dem Kläger für sämtliche kausale Schäden, welche in Zusammenhang mit Erdeinbrüchen infolge Gipsabbau oder Gipsauswaschungen im Untergrund an der in dessen Eigentum stehenden Liegenschaft (EZ. 2238, GB M), samt des darauf befindlichen Einfamilienhauses und des darin befindlichen Inventars entstehen würden, aus dem Titel der Amtshaftung zu haften habe.

2. Das antragstellende Landesgericht ist diesbezüglich der Ansicht, dass 1.) die Auflage Nr. 5 im Bescheid Zl. 4695/70 vom 18. März 1971, derzufolge die Niederschlagswässer nicht in die (eigene) Straßenkanalisierung eingeleitet werden dürfen, sondern auf der eigenen Liegenschaft zur Versickerung zu bringen sind, und

2.) die Auflage im Bescheid vom 23. April 1991, Zl. 688/91, derzufolge die Einleitung der Niederschlagswässer (wie bisher) in die bestehenden Sickergruben vorgeschrieben wird, rechtswidrig seien und beantragte gemäß § 11 Abs. 1 Amtshaftungsgesetz (AHG) und §§ 64 ff VwGG, der Verwaltungsgerichtshof möge dies feststellen.

Das antragstellende Gericht begründet den Antrag wie folgt:

2.1. Die beklagte Marktgemeinde habe dem Kläger mit Bescheid vom 18. März 1971, Zl. 4695/70, die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit der Auflage erteilt, er solle das Niederschlagswasser auf dem Grundstück versickern lassen. Grund dafür sei die zu geringe Dimensionierung des Kanalnetzes gewesen.

2.2. Der Kläger bringe im zivilgerichtlichen Verfahren vor, die Erfüllung dieser Auflage habe Auswaschungen und Hohlraumbildungen begünstigt, dies habe letztlich zu Erdeinbrüchen geführt.

Im Zuge der Aufstockung des auf der Liegenschaft des Klägers befindlichen Einfamilienhauses im Jahr 1991 sei ein zweiter Baubescheid am 23. April 1991, Zl. 688/91, betreffend einen Dachgeschossausbau, erlassen worden. In diesem sei gleichfalls die Versickerung des Niederschlagswassers - wie bisher - angeordnet worden. Auch anlässlich der "Endbeschau" am 7. März 1995 sei ungeachtet des bereits seit 1993 bestehenden Verdachts, dass der Gipsuntergrund im Bereich der "Mhöhe" Ursache eines damals erfolgten "Erdeinbruches" sein könnte, nicht auf die vom Gipsuntergrund ausgehende Gefahr hingewiesen worden. Die Benützungsbewilligung sei am 24. Juli 1995 erteilt worden. Nach der NÖ Bauordnung sei eine Versickerung aber nur dann zulässig, wenn die Tragfähigkeit des Untergrundes dadurch nicht beeinträchtigt würde.

2.3. Die Marktgemeinde führe dazu aus, es sei lediglich eine Vermutung, dass sich im Bereich der "Mhöhe" ein unterirdisches Gipsbergwerk befunden habe. Auch habe es niemals eine Bausperre in diesem Gebiet gegeben. Die Umwidmung von Grünland auf Bauland sei aufgrund eines Regulierungsplanes iSd § 5 NÖ Bauordnung erfolgt, das erste Raumordnungsgesetz sei erst 1968 erlassen worden und am 1. Januar 1969 in Kraft getreten. Es habe keine gesetzliche Bestimmung gegeben, welche der beklagten Gemeinde untersagt hätte, die Versickerung der Niederschlagswässer auf der Liegenschaft vorzuschreiben. Die Beklagte habe lediglich von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht.

2.4. Aufgrund des bisher durchgeführten Beweisverfahrens stehe fest, dass sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein Gipsbergwerk im Bereich der "Mhöhe" befunden habe. Bis 1935 habe in diesem Bereich eine Bausperre in Form einer Servitut bestanden, 1945 sei der Bereich in Grünland umgewidmet worden. Auf Luftaufnahmen aus dem 2. Weltkrieg seien auch Erdeinbrüche und Setzungen zu erkennen. Es gäbe für das Vorliegen untertägiger Hohlräume im Bereich der Liegenschaft des Klägers keinen Hinweis, die Liegenschaft des Klägers befinde sich außerhalb eines möglichen Einflussbereiches des Untertagbergwerkes, sohin außerhalb der Risikozone. In diesem Bereich sei eine Umwidmung zu Bauland nur aus naturwissenschaftlicher Sicht vertretbar gewesen. Auch wenn die Setzungen am Haus des Klägers nicht auf einen Hohlraum wegen des untertägigen Gipsabbaus, sondern vielmehr auf eine falsche Statikberechnung zurückzuführen seien, so sei doch folgendes zu beachten: Die Vorschreibung der Versickerung von Niederschlagswässern sei aus technischer Sicht im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung infolge des Gipsuntergrundes nicht vertretbar gewesen. Aus diesem Grund sei es schließlich zur Vorschreibung des Anschlusses an den Kanal gekommen. Zwar sei die Versickerung seit 2004 nicht mehr in den Boden der Liegenschaft des Klägers erfolgt, jedoch komme es beim Austrocknen wassergesättigter Schichten zu einer Volumensverringerung und damit auch zu Setzungen. Durch die Sickerung sei eine Wasserwegigkeit geschaffen worden, die zukünftig wie ein Drainagensystem für den Transport von Wasser sorgen könne, was grundsätzlich schädlich sei. Aus diesem Grund könne es langfristig zu Setzungen kommen.

2.5. Gemäß § 56 Abs. 3 NÖ Bauordnung, der in dieser Fassung vom 31. Dezember 1969 bis zum 31. Dezember 1988 in Geltung gestanden und deshalb für die Vorschreibung maßgeblich gewesen sei, hätten von Dächern abgeleitete Niederschlagswässer nicht auf Verkehrsflächen, sondern entweder in einen Kanal abgeleitet oder in entsprechender Entfernung vom Gebäude versickert werden müssen; ausnahmsweise habe eine andere Art der Ableitung vorgesehen werden können. Diese Bestimmung könne nur so verstanden werden, dass dem durch diese Alternative eingeräumten Ermessensspielraum insofern Grenzen gesetzt gewesen seien, als mit dem Versickern eine Gefährdung der Tragfähigkeit des gipshaltigen Untergrundes verbunden gewesen sei. Da die Versickerung von Niederschlagswässern auf der Liegenschaft nicht vertretbar gewesen sei, könne die im Bescheid Zl. 4695/71 vorgeschriebene Versickerung von Niederschlagswässern auf der eigenen Liegenschaft Ermessensmissbrauch gewesen sein.

Ab 1. Januar 1989 sei die Versickerung von Niederschlagswässern gemäß § 56 Abs. 4 NÖ Bauordnung 1976 idF LGBl. 8200-6 nur dann zulässig gewesen, wenn dadurch keine Gefährdung von Bauwerken durch Unterwaschung oder Vernässung eintreten könne und eine entsprechende Sickerfähigkeit des Bodens gegeben sei. Demzufolge sei die im Bescheid vom 23. April 1991 vorgesehene Auflage, das Niederschlagswasser wie bisher in die bestehende Sickergrube einzuleiten, rechtswidrig.

3. Mit Beschluss vom 20. März 2009 unterbrach das Landesgericht Wiener Neustadt das Verfahren und stellte mit Schriftsatz vom 7. Mai 2009 beim Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Bescheide des Bürgermeisters der Marktgemeinde M vom 18. März 1971 und vom 23. April 1991.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Marktgemeinde M um Vorlage der Verwaltungsakten ersucht und den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit zur Stellungnahme zur Beschwerde eingeräumt.

B. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der II. Abschnitt, 2. Unterabschnitt des VwGG enthält besondere Bestimmungen über Beschwerden in Amts- und Organhaftungssachen sowie in Angelegenheiten der Nachprüfung im Rahmen der Vergabe von Aufträgen. Folgende Bestimmungen sind insbesondere von Bedeutung:

"Parteien

§ 64. Parteien im Verfahren nach diesem Unterabschnitt sind das antragstellende Gericht, die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, und die Parteien des Rechtsstreites vor dem antragstellenden Gericht (§ 11 des Amtshaftungsgesetzes, BGBl. Nr. 20/1949; § 9 des Organhaftpflichtgesetzes, BGBl. Nr. 181/1967; § 341 Abs. 4 des Bundesvergabegesetzes 2006 - BVergG 2006, BGBl. I Nr. 17).

Einleitung des Verfahrens

§ 65. (1) Sobald der Beschluß auf Unterbrechung des Verfahrens (§ 11 des Amtshaftungsgesetzes; § 9 des Organhaftpflichtgesetzes; § 341 Abs. 4 BVergG 2006) rechtskräftig geworden ist, hat das Gericht den Antrag auf Überprüfung des Bescheides an den Verwaltungsgerichtshof zu leiten. Den übrigen Parteien steht es frei, binnen zwei Wochen nach Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses ergänzende Ausführungen zur Frage der Rechtswidrigkeit des Bescheides zu machen.

(2) Der Antrag (Abs. 1) hat den Bescheid und allenfalls die Punkte zu bezeichnen, deren Überprüfung das Gericht verlangt. Dem Antrag sind die Akten des Rechtsstreites anzuschließen.

(3) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, aufzufordern, die Akten des Verwaltungsverfahrens, soweit sie nicht bereits dem Akt des antragstellenden Gerichtes beiliegen, binnen zwei Wochen vorzulegen. (…)

Verhandlung

§ 66. Die Durchführung einer Verhandlung bleibt dem Gerichtshof überlassen.

Erkenntnis

§ 67. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes über die Rechtswidrigkeit eines Bescheides hat lediglich feststellende Bedeutung. Je eine Ausfertigung des Erkenntnisses ist den Parteien zuzustellen.

Kosten

§ 68. Die in diesem Verfahren erwachsenden Kosten sind Kosten des Rechtsstreites vor dem antragstellenden Gericht."

1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Antrag des Zivilgerichtes gemäß § 11 AHG als Beschwerde im Sinne des Art. 131 Abs. 2 B-VG aufzufassen. Im Falle der Stattgebung des Antrages hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtswidrigkeit des Bescheides festzustellen, andernfalls ist der Antrag abzuweisen. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides hat der Verwaltungsgerichtshof die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides zu Grunde zu legen (vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa die Erkenntnisse vom 16. September 2008, Zl. 2007/11/0224, und vom 29. Oktober 2009, Zl. 2007/03/0073; vgl. ferner das Erkenntnis vom 24. August 2011, Zl. 2011/06/0122).

2. Auflagen werden wie Bedingungen, Befristungen und Widerrufsvorbehalte als Nebenbestimmungen betrachtet, die zum Hauptinhalt des Bescheides gehören. Eine Auflage besteht in der Normierung einer Verpflichtung des Adressaten neben der im Hauptinhalt des Bescheides erteilten Genehmigung (Erlaubnis) für den Fall, dass von dieser Gebrauch gemacht wird. Das Wesen von Auflagen besteht darin, dass die Verwaltungsbehörde in einem dem Hauptinhalt nach begünstigenden Bescheid belastende Gebote oder Verbote als Nebenbestimmungen aufnimmt, mit denen der Inhaber des Rechtes für den Fall der Gebrauchnahme zu einem bestimmten, im Weg der Vollstreckung erzwingbaren Tun oder Unterlassen verpflichtet wird. Das durch den Hauptinhalt des Spruches gestaltete Rechtsverhältnis bleibt auch bei Nichtbeachtung der Auflage bestehen. Nur für den Fall der Gebrauchnahme vom erteilten Recht wird ein bestimmtes Verhalten (Tun, Unterlassen, Dulden) vorgeschrieben. Wie der übrige Inhalt eines Bescheides unterliegen auch Nebenbestimmungen dem Legalitätsgebot. Eine Auflage ist wie die Beisetzung jeder anderen Nebenbestimmung eines Verwaltungsaktes nur dann zulässig, wenn dies das Gesetz bestimmt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2004/05/0325, mwH). Für die Frage, wann eine untrennbare Einheit zwischen dem Hauptinhalt des Bescheidspruches und einer Nebenbestimmung - hier:

einer Auflage - anzunehmen sein wird, ist insbesondere zu prüfen, ob der Hauptinhalt des Bescheides ohne Nebenbestimmung rechtmäßig bestehen dürfte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1998, Zl. 97/07/0204, mwH).

3. Zum Bescheid vom 18. März 1971, Zl. 4695/70:

3.1. Die im vorliegenden Fall anzuwendende Vorschrift des § 56 Abs. 3 der NÖ Bauordnung 1969, LGBl. Nr. 166, lautet auszugsweise:

"§ 56

Abwässerbeseitigung

(1) Für jedes Gebäude ist Vorsorge zur Beseitigung der Abwässer, Niederschlags-, Schmutz- und Fäkalwässer zu treffen.

(…)

(3) Von Dächern abgeleitete Niederschlagswässer dürfen nicht auf Verkehrsflächen, sondern müssen entweder in einen Kanal abgeleitet oder in entsprechender Entfernung von Gebäuden versickert werden; ausnahmsweise kann eine andere Art der Ableitung vorgesehen werden.

(…)".

Zum Wort "ausnahmsweise" findet sich bei Neuwirth/Strasser,

Das Baurecht in Niederösterreich, Wien, 1969, 122, der Hinweis, dass dies insbesondere dann der Fall sein wird, wenn kein Kanal vorhanden ist und der Boden für die Versickerung nicht geeignet ist.

3.2. Zunächst ergibt sich aus § 56 NÖ Bauordnung 1969, dass sich aus einem Baubewilligungsbescheid die Abwässerbeseitigung ergeben muss (vgl. Abs. 1 dieser Bestimmung).

Für von Dächern abgeleitete Niederschlagswässer eröffnet § 56 leg. cit. drei Beseitigungsmöglichkeiten: die Ableitung in einen Kanal, die Versickerung in entsprechender Entfernung von Gebäuden, und schließlich - ausnahmsweise - eine andere Art der Ableitung.

Vor Erteilung einer Auflage wie der gegenständlichen hat die Behörde somit für den jeweils konkreten Fall zu prüfen, welcher dieser Möglichkeiten gefolgt werden soll. Eine die Ableitung tatsächlich nicht ermöglichende Variante muss dabei ausgeschieden werden, zumal diese nicht zur Beseitigung der Abwässer führen kann. Ob eine Variante die Ableitung ermöglicht, kann ferner nur anhand der konkreten Gegebenheiten des Falles beurteilt werden. Erfordert die Beantwortung dabei maßgeblicher Tatfragen ein besonderes Fachwissen, über das die Behörde nicht selbst verfügt, ist diesbezüglich die Beiziehung eines Sachverständigen erforderlich (vgl. § 52 AVG).

Im vorliegenden Fall ist die Behörde der Variante der Versickerung in entsprechender Entfernung vom Gebäude gefolgt, und zwar im Wege der Erteilung einer Auflage. Bei dieser Beseitigungsmöglichkeit stellt die Frage der Eignung der Grundfläche (insbesondere nach ihrer Art und näheren Beschaffenheit) zur Versickerung jedenfalls eine Fachfrage dar, die die Behörde nicht selbständig, sondern nur unter Beiziehung eines Sachverständigen beurteilen kann. Gleiches gilt für die bei dieser Variante weiters maßgebliche Frage der Entfernung vom Gebäude, zumal damit offensichtlich auch die Frage schädlicher Auswirkungen der Versickerung für das Gebäude erfasst wird.

Im genannten Bescheid finden sich jedoch keine Feststellungen zur Einholung einer solchen sachverständigen Beurteilung im Verwaltungsverfahren (auch in den vorgelegten Verwaltungsakten findet sich kein einschlägiges Sachverständigengutachten). Eine solche sachverständige Äußerung wäre somit sowohl zur Frage der Versickerung als auch zur Frage der Entfernung erforderlich gewesen.

Damit steht aber die behördliche Beurteilung der im Antrag angesprochenen Frage, welche Auswirkung die Versickerung von Niederschlagswässern auf dem eigenen Grundstück des Zweitmitbeteiligten im Hinblick auf die Bodenbeschaffenheit bzw. das darauf befindliche Einfamilienhaus hat, mit § 56 NÖ Bauordnung 1969 nicht im Einklang. Wenn die Behörde die Auflage zur Versickerung auf dem eigenen Grund ohne sachverständige Überprüfung der Bodenbeschaffenheit vorgeschrieben hat, hat sie ihre Ermittlungspflicht verletzt. Dass die Behörde damals (wie die mitbeteiligte Marktgemeinde meint) ohnehin lediglich der Baubeschreibung folgte und die Auflage entbehrlich gewesen wäre, vermag daran schon deshalb nichts zu ändern, weil die Auflage rechtskräftig erteilt wurde. Somit stellt sich der Bescheid aus dem Jahr 1971 insgesamt als rechtswidrig dar.

4. Zum Bescheid vom 23. April 1991, Zl. 688/91:

Die relevante Bestimmung der NÖ Bauordnung 1976, in der damals geltenden Fassung LGBl. 8200-6, lautet:

"§56

Abwässerbeseitigung

(1) Für jedes Gebäude ist Vorsorge zur Beseitigung der Abwässer, (Niederschlags- und Schmutzwässer) zu treffen.

(2) In Gemeinden mit öffentlichen Kanälen zur Beseitigung der Abwässer sind die Abwässer unter Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften durch flüssigkeitsdichte, entsprechend bemessene und in frostfreier Tiefe verlegte Rohrleitungen in diese Kanäle abzuleiten, wenn jeweils

1. die Anschlussleitung (§17 Abs. 2 des NÖ Kanalgesetzes 1977, LGBl. 8230-2) nicht länger als 50 m und

2. die Ableitung in den öffentlichen Kanal ohne Pumpvorgang möglich ist.

Fehlen solche öffentlichen Kanäle, sind die Abwässer in Senkgruben zu leiten oder gemäß anderen gesetzlichen Vorschriften in unschädlicher Weise zu beseitigen. Die Jauche aus Stallgebäuden ist durch flüssigkeitsdichte Rohre in Jauchgruben zu leiten.

(3) Niederschlagswässer dürfen nicht auf Verkehrsflächen, sondern müssen entweder in einen Kanal abgeleitet, versickert oder in einer anderen Art abgeleitet oder gesammelt werden.

(4) Eine Versickerung ist nur dann zulässig, wenn dadurch keine Gefährdung von Bauwerken durch Unterwaschung oder Vernässung eintreten kann und eine entsprechende Sickerfähigkeit des Bodens gegeben ist. Die Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 werden dadurch nicht berührt.

(…)".

Aus Abs. 4 dieser Gesetzesbestimmung ergibt sich klar, dass eine Versickerung von Niederschlagswässern (auf eigenem Grund) nur dann zulässig ist, wenn eine entsprechende Sickerfähigkeit des Bodens gegeben ist und keine Gefährdung von Bauwerken durch Unterwaschung oder Vernässung eintreten kann.

Auch hinsichtlich der neuerlich erfolgten Vorschreibung der Versickerung der Niederschlagswässer "wie bisher" ist weder dem Bescheid noch den Verwaltungsakten zu entnehmen, dass der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde eine entsprechende Überprüfung der Sickerfähigkeit des Bodens bzw. der Gefährdung von Bauwerken durch einen Sachverständigen vornehmen ließ. Auf dem Boden des Gesagten wäre dies jedoch auch nach der in Rede stehenden gesetzlichen Regelung geboten gewesen. Durch die neuerliche Vorschreibung dieser Art der Versickerung ist auch dieser Bescheid aus dem Jahr 1991 mit Rechtswidrigkeit belastet.

5. Es war somit gemäß § 67 VwGG iVm § 11 Abs 1 AHG festzustellen, dass die Bescheide des Bürgermeisters der Marktgemeinde M vom 18. März 1971 und vom 23. April 1991 rechtswidrig waren. Bei dieser Sachlage ist eine Auseinandersetzung mit der Anregung des Zweitmitbeteiligten (in seinem Schriftsatz vom 4. Februar 2011) zur Anfechtung einer näher bezeichneten Verordnung in Ansehung seiner Liegenschaft beim Verfassungsgerichtshof entbehrlich.

6. Gemäß § 68 VwGG sind die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erwachsenen Kosten Kosten des Rechtsstreites vor dem antragstellenden Gericht.

Wien, am 11. Oktober 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte