VwGH 2009/05/0027

VwGH2009/05/00273.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. der Mag. BT und 2. der MT, beide in W, beide vertreten durch Dr. Karl Schön, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 3. Dezember 2008, Zl. BOB - 126/08, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. HM und

2. Dr. SM, beide in W, beide vertreten durch Schwartz Huber-Medek Rechtsanwälte OEG in 1010 Wien, Stubenring 2; weitere Partei:

Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Wr §134a Abs1 litc;
BauO Wr §134a Abs1 litd;
BauO Wr §4;
BauO Wr §5 Abs4 litp;
BauO Wr §5 Abs4;
BauO Wr §69 Abs1 lita;
BauO Wr §69 Abs1 litf;
BauO Wr §69 Abs1 litm;
BauO Wr §69 Abs1;
BauO Wr §69 Abs2;
BauO Wr §69;
BauO Wr §81 Abs6;
BauO Wr §81;
BauO Wr ArtV Abs4;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BauO Wr §134a Abs1 litc;
BauO Wr §134a Abs1 litd;
BauO Wr §4;
BauO Wr §5 Abs4 litp;
BauO Wr §5 Abs4;
BauO Wr §69 Abs1 lita;
BauO Wr §69 Abs1 litf;
BauO Wr §69 Abs1 litm;
BauO Wr §69 Abs1;
BauO Wr §69 Abs2;
BauO Wr §69;
BauO Wr §81 Abs6;
BauO Wr §81;
BauO Wr ArtV Abs4;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 5. Februar 2007 beantragten die mitbeteiligten Parteien die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Aufzugsschachtes samt Verbindungsgang an der Nordfassade des Gassentraktes auf der Liegenschaft E.-Gasse 7. Die Beschwerdeführerinnen sind Eigentümerinnen der Nachbarliegenschaft E.-Gasse 5 und damit Nachbarinnen im Sinne des § 134 Abs. 3 der Bauordnung für Wien (BO).

Bei der mündlichen Bauverhandlung am 16. Mai 2007 erhoben die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen Einwendungen betreffend Lärmbelästigungen, Beeinträchtigungen des Lichteinfalles und des Ausblickes, der "Umwidmung" einer gärtnerisch auszugestaltenden Fläche sowie betreffend Wind und Sonneneinstrahlung, und schließlich schlossen sich die Beschwerdeführerinnen den Einwendungen des Miteigentümers der Bauliegenschaft Dr. S. ausdrücklich an, die sie auch "unterfertigt" hätten.

Im Akt befindet sich ein Schreiben (u.a.) des Dr. S. vom 15. Mai 2007, unterfertigt auch von den Beschwerdeführerinnen, und zwar am 16. Mai 2007. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass auf einer gärtnerisch auszugestaltenden Fläche auf Grund des § 79 Abs. 6 BO keine Gebäude errichtet werden dürften. Auch Art. V Abs. 4 BO sehe keine Ausnahme für Aufzugsbauten von der Bestimmung der gärtnerischen Ausgestaltung vor. Eine Ausnahmebewilligung gemäß § 69 BO sei nicht zulässig. Vorgesehen sei ein Stahlbetonturm im Ausmaß von 2,55 m x 2,61 m. Dadurch werde ein wesentlicher Teil des Gartenhofes verbaut. Dieses neue Bauwerk reiche 4 m über die Dachkante des hinteren Hauses und noch mehr über jene des vorderen Hauses. Nach dem Bebauungsplan sei die Gebäudehöhe für das Vordergebäude aber auf 10,5 m beschränkt. Das Ziel der Erhaltung von Grünflächen und von Hofentkernungen stehe im Gegensatz zur Errichtung des Aufzugsgebäudes, das mit einer Höhe von 16,27 m die übrigen Gebäude bei weitem überrage und damit auch der Schutzzonenbestimmung diametral entgegenstünde. Durch die Errichtung des geplanten Aufzugsgebäudes würde es zu wesentlichen unzulässigen Lärmbelästigungen kommen.

Mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den

18. Bezirk vom 31. Jänner 2008 wurde für das Bauvorhaben gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und f BO die Bewilligung zur Abweichung von Bauvorschriften erteilt, und zwar dafür, dass der Aufzugsschacht samt Zugangssteg an der Nordfassade des Gartentraktes in einer gärtnerisch auszugestaltenden Fläche errichtet werden und die festgesetzte innere Baufluchtlinie auf einer Breite von 2,75 m bis zu 6,61 m überschreiten dürfe.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 6. Februar 2008 wurde die beantragte Baubewilligung iVm § 68 Abs. 7 BO und § 69 Abs. 8 BO und auf Grund der mit Bescheid vom 31. Jänner 2008 erteilten Bewilligung für Abweichungen von den Bebauungsvorschriften erteilt.

Gegen die Bescheide vom 31. Jänner 2008 und vom 6. Februar 2008 erhoben (u.a.) die Beschwerdeführerinnen eine Berufung. Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurden von der belangten Behörde vier Stellungnahmen der bautechnischen Amtssachverständigen der Baupolizei eingeholt und dazu Parteiengehör gewährt.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde unter Spruchpunkt I. der Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 18. Bezirk vom 31. Jänner 2008 behoben. Unter Spruchpunkt II. wurde die Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 6. Februar 2008 als unbegründet abgewiesen und dieser Bescheid mit der Abänderung bestätigt, dass anstelle der Bezugnahme auf § 69 Abs. 8 BO und auf die Abweichungsbewilligung vom 31. Jänner 2008 im Spruch die Wortfolge "und in Anwendung des Art. V Abs. 4 BO" zu treten habe.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften legte die belangte Behörde in der Bescheidbegründung, soweit hier noch von Relevanz, im Wesentlichen dar, dass die Bestimmungen des § 78 BO über den Mindestlichteinfall keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte begründeten. Jeder Grundeigentümer habe auf seinem Grundstück für eine ausreichende Belüftung und Belichtung seiner Bauten Sorge zu tragen. Der Nachbar habe lediglich einen Rechtsanspruch, dass Abstands- und Höhenbestimmungen eingehalten würden. Das Gebäude, an welches der Aufzugsschacht samt Zugangssteg angrenze, weise eine Gebäudehöhe von ca. 13,55 m auf und überschreite somit bereits in seinem Bestand die höchstzulässige Gebäudehöhe von 10,50 m um 3,05 m. Der Aufzugssacht diene auch der Erschließung der konsensgemäß bestehenden beiden Dachgeschoßwohnungen und sei daher in der projektierten Höhe von 16,27 m erforderlich. Der nach § 81 Abs. 1 bis 5 BO zulässige Gebäudeumriss dürfe gemäß § 81 Abs. 6 BO durch einzelne, nicht raumbildende Gebäudeteile untergeordneten Ausmaßes überschritten werden. Mit raumbildenden Dachaufbauten dürfe der Gebäudeumriss nur durch einzelne Dachgauben sowie im unbedingt notwendigen Ausmaß durch Aufzugstriebwerksräume und durch Stiegenhäuser überschritten werden. Da durch das Projekt die für die Bemessung der Gebäudehöhe maßgebliche vorhandene Bausubstanz nicht verändert werde und die Höhe des Aufzugsschachtes in etwa an die Höhe des bestehenden Stiegenhauses und der Hoffront angeglichen sei, werde das Ausmaß der zulässigen Überschreitung des Gebäudeumrisses im Sinne des § 81 Abs. 6 BO (einschließlich der zulässigen Gebäudehöhe) nicht überschritten. Die bestehenden Gebäude auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft seien mit Bescheid vom 24. Juni 1903 bewilligt worden. Die Dachgeschoßausbauten des Straßen- und Hoftraktes seien laut Fertigstellungsanzeige vom 18. Juni 2003 fertiggestellt worden. Die beiden Gebäude auf der Bauliegenschaft seien somit vor dem Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 33/2004 errichtet worden, weshalb der Aufzugssacht unter Einhaltung der Vorschriften der Übergangsbestimmung des Art. V Abs. 4 BO zulässig sei. Der projektierte Zubau weise einen Abstand zur Grundgrenze von ca. 4,44 m auf. Nach den Stellungnahmen der bautechnischen Amtssachverständigen und den Nachweisen des Planverfassers werde der erforderliche Lichteinfall gemäß § 78 BO für Hauptfenster auf der eigenen Liegenschaft und auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerinnen nicht vermindert. Eine Zustimmung der Beschwerdeführerinnen zur Errichtung des Aufzugsschachtes sei im Hinblick auf den Abstand von mehr als 3 m nicht erforderlich. Den Aussagen der bautechnischen Amtssachverständigen über den Lichteinfall seien die Beschwerdeführerinnen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Der erforderliche Lichteinfall auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerinnen und die Bebaubarkeit dieser Liegenschaft werde demgemäß durch den Zubau nicht beeinträchtigt. Im Hinblick auf die genannten Voraussetzungen sei Art. V Abs. 4 BO anwendbar. Demnach sei es auch zulässig, dass der Aufzugsschacht die Baufluchtlinie überschreite und auf einer gärtnerisch auszugestaltenden Fläche errichtet werde, sodass die Ausnahmebewilligung gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und f BO nicht erforderlich sei. Nach der Intention des Art. V Abs. 4 BO solle die Errichtung von Aufzügen für ältere, bestehende Gebäude im Sinne einer zeitgemäßen Ausstattung auch dann ermöglicht werden, wenn sie mit den nunmehrigen Bestimmungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes nicht gänzlich im Einklang stehe, jedoch unter der Voraussetzung, dass jedenfalls ein Mindestabstand von 3 m zu den Nachbargrenzen eingehalten und der gesetzliche Lichteinfall auf die Nachbarliegenschaft nicht beeinträchtigt werde. Soweit die Beschwerdeführerinnen vorbrächten, dass der Bauausschuss der Bezirksvertretung für den

18. Bezirk keine Ausnahmegenehmigung für die Abweichung von der höchstzulässigen Gebäudehöhe bewilligt habe, sei anzumerken, dass der Aufzugsschacht samt Zugangssteg auf gärtnerisch auszugestaltenden Flächen errichtet werden solle, für welche grundsätzlich keine Regelungen über die Gebäudehöhe festgelegt seien. Da der Aufzugsschacht der Erschließung der konsensgemäß bestehenden beiden Dachgeschoßwohnungen diene und seine Gebäudehöhe an den Bestand des angrenzenden Gebäudes angepasst sei, sei seine Zulässigkeit samt Zugangssteg gegeben. Der Zugangssteg bilde mit dem Aufzugsschacht eine untrennbare Einheit. Einen Nachweis, dass durch das gegenständliche Bauvorhaben das unbedingt erforderliche Ausmaß der Benützung gärtnerisch auszugestaltender Flächen im Sinne des § 79 Abs. 6 BO überschritten werde, hätten die Beschwerdeführerinnen nicht erbracht. Da der Zugangssteg mit dem Aufzugsschacht im Übrigen eine technisch untrennbare Einheit bilde und für die Benützung des Aufzuges unerlässlich sei, sei auch seine Errichtung in Anwendung des Art. V Abs. 4 BO zulässig. Immissionen, die sich aus der Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu Wohnzwecken ergäben, könnten vom Nachbarn nicht geltend gemacht werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Beschwerdeführerinnen haben zu den Gegenschriften eine Replik erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, die Widmungskategorie "gärtnerisch zu gestaltende Fläche" gewährleiste einen Immissionsschutz. Dies folge schon daraus, dass auf solchen Flächen keine Gebäude oder Nebengebäude errichtet werden dürften. Ferner sehe § 69 Abs. 1 lit. p BO für geringfügige Abweichungen vom Bebauungsplan hinsichtlich der Vorschrift, dass eine Fläche als gärtnerisch auszugestalten sei, eine Genehmigung vor. § 69 Abs. 2 BO schreibe vor, dass durch die Abweichungen an Emissionen nicht mehr zu erwarten sein dürfe, als bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entstehe. Art. V Abs. 4 BO sehe keine Ausnahme hinsichtlich der Verpflichtung, eine Fläche gärtnerisch auszugestalten, vor. Dies wäre aber notwendig, da es sich bei der Anordnung der gärtnerischen Ausgestaltung ebenso wie bei der Festlegung von Baufluchtlinien um Vorschreibungen des Bebauungsplanes handle. Die Auffassung der belangten Behörde, dass für gärtnerisch zu gestaltende Flächen keine Regelungen über die Gebäudehöhen festgelegt seien, sei unzutreffend. Dies würde dazu führen, dass auf solchen Flächen jede beliebige Gebäudehöhe möglich wäre. § 81 Abs. 6 BO sei nicht geeignet, eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe zu rechtfertigen, der geplante Aufzugsturm sei nämlich raumbildend und außerdem kein bloßer Aufzugstriebwerksraum. Erst seit der hier noch nicht anzuwendenden Novelle LGBl. Nr. 24/2008 sehe § 81 Abs. 6 BO auch Ausnahmen für Aufzugsschächte vor.

In ihrer Gegenschrift machen die mitbeteiligten Parteien u.a. geltend, dass die Beschwerdeführerinnen keine rechtzeitigen Einwendungen hinsichtlich der Gebäudehöhe erhoben und insofern jedenfalls präkludiert seien. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass sich die Beschwerdeführerinnen im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich den von Dr. S. vorgebrachten Einwendungen angeschlossen und auch den diesbezüglichen Schriftsatz des Dr. S. unterfertigt haben. Aus den Darlegungen in diesem Schriftsatz geht aber mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass sie sich damit auch gegen die Gebäudehöhe ausgesprochen haben.

Art. V Abs. 4 BO idF LGBl. Nr. 33/2004 lautet:

"(4) Für zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Bauordnungsnovelle LGBl. für Wien Nr. 33/2004 bereits bestehende Gebäude sind im Bauland Baubewilligungen nach § 70 für Aufzugszubauten auch dann zu erteilen, wenn sie Baufluchtlinien überschreiten, durch sie die Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit nicht eingehalten werden oder sie in Abstandsflächen ragen. Dabei ist ein Abstand von 3 m von den Nachbargrenzen einzuhalten, sofern der Nachbar nicht einem geringeren Abstand zustimmt und der gesetzliche Lichteinfall für die Nachbarliegenschaft nicht beeinträchtigt wird; die bebaute Fläche des Aufzugszubaues ist in die Fläche gemäß § 79 Abs. 3 nicht einzurechnen."

Gemäß § 5 Abs. 2 lit. b BO haben die Bebauungspläne die Fluchtlinien zu enthalten.

Über die Festsetzungen nach § 5 Abs. 2 (und Abs. 3) BO hinaus können die Bebauungspläne gemäß § 5 Abs. 4 BO unter anderem Bestimmungen über die flächenmäßige bzw. volumenbezogene Ausnützbarkeit der Bauplätze und Baulose oder von Teilen davon enthalten (lit. d), ebenso Bestimmungen über die Gebäudehöhe, im Bauland bei Festsetzung einer Bauklasse nur bis zu deren Grenzen (lit. h), und ferner die Anordnung der gärtnerischen Ausgestaltung unbebauter Grundflächen (lit. p).

Baufluchtlinien sind Fluchtlinien, mit denen die Grenzen festgelegt werden, über die mit einem Gebäude oder Gebäudeteil (mit Ausnahme von hier nicht gegenständlichen Vorbauten gemäß § 84 BO) nicht vorgerückt werden darf (§ 5 Abs. 6 lit. e BO).

§ 69 BO idF vor der Novelle BGBl. Nr. 24/2008 (vgl. Art. V Abs. 2 der genannten Novelle) lautet auszugsweise:

"Unwesentliche Abweichungen von Bebauungsvorschriften

§ 69. (1) Für einzelne Bauvorhaben hat die Behörde nach Maßgabe des Abs. 2 über die Zulässigkeit folgender Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden:

a) Abweichungen von festgesetzten Fluchtlinien oder Höhenlagen für jede Art von Baulichkeiten;

f) Abweichungen von den Bestimmungen des Bebauungsplanes nach § 5 Abs. 4 lit. d, e, i, k, m, n, o, p, q, r, s, u und y für jede Art von Baulichkeiten, …;

m) das Überschreiten der gemäß § 5 Abs. 4 lit. h und gemäß § 77 Abs. 3 lit. c bestimmten sowie der bauklassenmäßigen Gebäudehöhe in allen Bauklassen, wenn das Interesse an der Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht entgegensteht;

o) das Überschreiten des Ausmaßes der gemäß § 76 Abs. 10 und 11 zulässig bebauten Fläche einzelner Gebäude, soweit dies deren bestimmungsgemäßer Verwendungszweck erfordert;

(2) Durch Abweichungen nach Abs. 1 darf die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen ohne nachgewiesene Zustimmung des betroffenen Nachbarn nicht vermindert werden; an Emissionen darf nicht mehr zu erwarten sein, als bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entsteht. Im übrigen darf, abgesehen von den unter Abs. 1 näher genannten Voraussetzungen, von den Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes nur unwesentlich abgewichen werden; es dürfen das vom Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild nicht störend beeinflusst und die beabsichtigte Flächennutzung sowie Aufschließung nicht grundlegend anders werden. Die Gründe, die für die Abweichung sprechen, sind mit den Gründen, die dagegen sprechen, abzuwägen. Insbesondere ist auf den konsensgemäßen Baubestand der betroffenen Liegenschaft und der Nachbarliegenschaften sowie auf den Umstand, dass die Ausnahmebewilligung nur für die Bestanddauer des Baues gilt, Bedacht zu nehmen. Vom Bauwerber geltend gemachte Verpflichtungen aus Bundes- oder anderen Landesgesetzen sind zu berücksichtigen, desgleichen, ob die Abweichung einer zeitgemäßen Ausstattung oder der besseren barrierefreien Benützbarkeit des konsensgemäßen Baubestandes oder des geplanten Baues dienlich ist.

(8) Vor der erstinstanzlichen Bewilligung der erforderlichen unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften darf die Baubewilligung nicht erteilt werden. Gegen einen Bescheid, mit dem über den Antrag auf Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften entschieden wird, ist eine abgesonderte Berufung nicht zulässig. Die Berufung kann nur mit der Berufung gegen die Entscheidung über das Ansuchen um Baubewilligung verbunden werden, die sich auf die Entscheidung über Abweichungen von Bebauungsvorschriften stützt. Die Bewilligung unwesentlicher Abweichungen von Bebauungsvorschriften steht nachträglichen Änderungen des Bauvorhabens nicht entgegen, sofern die Abweichung nicht berührt wird.

…"

§ 76 Abs. 10 BO lautet:

"(10) Im Wohngebiet und im gemischten Baugebiet mit Ausnahme der Geschäftsviertel und Betriebsbaugebiete darf bei offener, bei offener oder gekuppelter, bei gekuppelter und bei der Gruppenbauweise das Ausmaß der bebauten Fläche nicht mehr als ein Drittel der Bauplatzfläche betragen. Außerdem darf die bebaute Fläche von Gebäuden in der Bauklasse I nicht mehr als 470 m2, in der Bauklasse II nicht mehr als 700 m2 betragen. Bei gekuppelter Bebauung ist diese Fläche auf die beiden Bauplätze nach dem Verhältnis der Bauplatzflächen aufzuteilen, wobei aber auf den kleineren Bauplatz in der Bauklasse I eine bebaubare Fläche von mindestens 100 m2, in der Bauklasse II eine bebaubare Fläche von mindestens 150 m2 entfallen muss; in beiden Bauklassen darf die bebaubare Fläche jedoch nicht mehr als ein Drittel der Fläche des Bauplatzes betragen."

§ 79 Abs. 6 BO idF vor der Novelle LGBl. Nr. 24/2008 lautet:

"(6) Vorgärten, Abstandsflächen und sonstige gärtnerisch auszugestaltende Flächen sind, soweit auf diesen Flächen zulässige Bauwerke oder Bauwerksteile nicht errichtet werden, gärtnerisch auszugestalten und in gutem Zustand zu erhalten. Befestigte Wege und Zufahrten, Stützmauern, Stufenanlagen, Rampen uä. sind nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß zulässig. Darüber hinaus sind Schwimmbecken bis zu einem Gesamtausmaß von 50 m3 Rauminhalt zulässig; diese müssen von Nachbargrenzen einen Abstand von mindestens 3 m haben, sofern der Nachbar nicht einem geringeren Abstand zustimmt."

§ 81 Abs. 1 bis 5 BO enthält Bestimmungen über die Gebäudehöhe und die Gebäudeumrisse und deren Bemessung.

§ 81 Abs. 6 BO idF vor der Novelle LGBl. Nr. 24/2008 lautet:

"(6) Der nach den Abs. 1 bis 5 zulässige Gebäudeumriss darf durch einzelne, nicht raumbildende Gebäudeteile untergeordneten Ausmaßes überschritten werden; mit raumbildenden Dachaufbauten darf der Gebäudeumriss nur durch einzelne Dachgauben sowie im unbedingt notwendigen Ausmaß durch Aufzugstriebwerksräume und durch Stiegenhäuser überschritten werden. Die einzelnen Dachgauben müssen in ihren Ausmaßen und ihrem Abstand voneinander den Proportionen der Fenster der Hauptgeschosse sowie dem Maßstab des Gebäudes entsprechen. Die Dachgauben dürfen insgesamt höchstens ein Drittel der Länge der betreffenden Gebäudefront in Anspruch nehmen."

§ 134a Abs. 1 BO idF vor der Novelle LGBl. Nr. 24/2008 lautet:

"§ 134a. (1) Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

a) Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;

  1. b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;
  2. c) Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit von Bauplätzen, Baulosen und Kleingärten;

    d) Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien;

    e) Bestimmungen, die den Schutz vor Immissionen, die sich aus der widmungsgemäßen Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage können, zum Inhalt haben. Die Beeinträchtigung durch Immissionen, die sich aus der Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu Wohnzwecken oder für Stellplätze im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß ergibt, kann jedoch nicht geltend gemacht werden;

    f) Bestimmungen, die den Nachbarn zu Emissionen berechtigen. "

    Festzuhalten ist zunächst, dass die Bestimmung, dass eine Fläche gärtnerisch auszugestalten ist, keine Bestimmung über eine Flächenwidmung im Sinne des § 4 BO darstellt, sondern eine Festsetzung des Bebauungsplanes gemäß § 5 Abs. 4 BO. Die Flächenwidmung, die sich auch auf die diesbezügliche Hoffläche, die gärtnerisch auszugestalten ist, im vorliegenden Fall bezieht, lautet Bauland-Wohngebiet.

    Unzutreffend ist es daher, wenn die Beschwerdeführerinnen davon ausgehen, dass mit der Festlegung der gärtnerischen Ausgestaltung ein widmungsmäßiger Immissionsschutz dahingehend verbunden wäre, dass dort keinerlei Baulichkeiten errichtet werden dürften. Daran ändert es auch nichts, wenn § 69 Abs. 1 BO eine Ausnahmemöglichkeit hinsichtlich der Festlegung der gärtnerischen Ausgestaltung von Grundflächen vorsieht und § 69 Abs. 2 BO in einem solchen Fall vorschreibt, dass dadurch nicht mehr Emissionen zu erwarten sein dürfen als typischerweise bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung. Zum einen bezieht sich § 69 Abs. 2 BO nicht nur auf Ausnahmen von der Verpflichtung zur gärtnerischen Ausgestaltung, sondern auf sämtliche nach § 69 Abs. 1 BO möglichen Ausnahmen; zum anderen ist auch in diesem Fall die jeweilige Flächenwidmung (hier: Bauland-Wohngebiet) Emissionsmaßstab im Sinne des § 69 Abs. 2 BO.

    Der gegenständliche Aufzugsschacht ragt an der hinteren Gebäudefront vor die Baufluchtlinie und befindet sich auf einer Fläche, die nach dem Bebauungsplan gärtnerisch auszugestalten ist. Den Beschwerdeführerinnen ist Recht zu geben, dass Art. V Abs. 4 BO keine Ausnahme dahingehend vorsieht, dass auch gärtnerisch auszugestaltende Flächen, die als solche ausdrücklich im Bebauungsplan festgelegt sind, für die entsprechenden Aufzüge nach dieser Bestimmung verwendet werden dürfen. Die belangte Behörde geht offenbar davon aus, dass, da die sonstigen Voraussetzungen des Art. V Abs. 4 BO erfüllt sind, damit nicht nur eine Überschreitung der Baufluchtlinie, sondern auch eine Zulässigkeit des Aufzuges auf einer gärtnerisch auszugestaltenden Fläche nach dieser Bestimmung erlaubt ist. Dem kann allerdings nicht beigepflichtet werden, da es sich bei der Festlegung von Fluchtlinien und jener von gärtnerisch auszugestaltenden Flächen um verschiedene Festlegungen durch den Bebauungsplan handelt, die keineswegs stets Hand in Hand gehen müssen, was sich im Übrigen auch aus dem Ausnahmekatalog des § 69 Abs. 1 BO ergibt, wonach eine Ausnahme zum Überschreiten der Baufluchtlinie (§ 69 Abs. 1 lit. a BO) nicht auch die Zulässigkeit einer Inanspruchnahme einer gärtnerisch auszugestaltenden Fläche (§ 69 Abs. 1 lit. f iVm § 5 Abs. 4 lit. p BO) beinhaltet. Ferner differenziert auch § 134a Abs. 1 BO die Nachbarrechte hinsichtlich der Einhaltung der Fluchtlinien (§ 134a Abs. 1 lit. d BO) und hinsichtlich der flächenmäßigen Ausnützbarkeit von Bauplätzen (§ 134a Abs. 1 lit. c BO), wozu auch die Festlegung einer gärtnerischen Ausgestaltung zählt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2007, Zl. 2006/05/0192; dazu, dass die Festsetzung einer Baufluchtlinie kein Nachbarrecht nach § 134a Abs. 1 lit. c BO bewirkt, vgl. im Übrigen das hg. Erkenntnis vom 20. September 2005, Zl. 2003/05/0063; vgl. ferner dazu, dass eine Ausnahme nach einem Tatbestand des § 69 Abs. 1 BO nicht auch eine solche nach einem anderen Tatbestand einschließt, das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 2007, Zl. 2006/05/0147).

    Art. V Abs. 4 BO kann daher entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht herangezogen werden, um die Zulässigkeit des gegenständlichen Bauvorhabens, das auf einer nach dem Bebauungsplan gärtnerisch auszugestaltenden Fläche liegt, zu begründen.

    Die belangte Behörde hat ferner die Auffassung vertreten, dass es auf gärtnerisch auszugestaltenden Flächen keine Bestimmungen für die Gebäudehöhe gebe. Auch diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Im vorliegenden Fall ist für die Bauliegenschaft die Widmung Bauland-Wohngebiet, die Bauklasse II und eine Gebäudehöhenbeschränkung auf maximal 10,50 m festgesetzt. Ferner gibt es eine vordere und eine hintere sowie eine seitliche Baufluchtlinie. Nun ist zwar davon auszugehen, dass Gebäude entsprechend der Definition der Baufluchtlinie nur innerhalb dieser Fluchtlinien errichtet werden. Kommt es aber zur Errichtung eines Gebäudes außerhalb dieser Fluchtlinie, was etwa auf Grund von Ausnahmen nach § 69 BO möglich wäre, dann gelten die entsprechenden Festlegungen des Bebauungsplans auch für solche Gebäude bzw. Gebäudeteile. Dies bedeutet, dass auch in einem derartigen Fall nach den entsprechenden Bestimmungen des § 81 BO die zulässige Gebäudehöhe zu ermitteln ist (wobei allenfalls dann gemäß § 69 Abs. 1 lit. m BO auch diesbezüglich eine Ausnahme nötig sein kann).

    Da es sich um einen neuen Baubestand handelt, der jedenfalls auch raumbildend ist, ist auch die Auffassung der belangten Behörde, dass der für die Gebäudehöhe relevante Baubestand nicht verändert werde, unzutreffend.

    Es ist somit vielmehr die Gebäudehöhe gemäß § 81 Abs. 1 bis 5 BO zu ermitteln. Ausgehend von dieser Gebäudehöhe kommt dann gegebenenfalls auch die Anwendung des § 81 Abs. 6 BO in Frage. Ohne dass die Gebäudehöhe feststeht, kann § 81 Abs. 6 BO, anders als die belangte Behörde offenbar vermeint, jedoch nicht zur Rechtfertigung eines Bauvorhabens herangezogen werden.

    Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden. Bemerkt wird, dass im gegenständlichen Fall lediglich Rechtsfragen zu klären waren und durch die Aufhebung des in Beschwerde gezogenen Bescheides nunmehr keine Entscheidung vorliegt, die rechtskräftig in Rechte der Beschwerdeführerinnen eingreifen könnte.

    Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 3. Mai 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte