VwGH 2008/21/0571

VwGH2008/21/05715.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der E, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 22. September 2008, Zl. St 207/08, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1972 geborene Beschwerdeführerin ist brasilianische Staatsangehörige. Sie reiste erstmals am 6. August 1996 nach Österreich ein, wo ihr im Hinblick auf die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger Aufenthaltstitel - schließlich eine Niederlassungsbewilligung mit Gültigkeit vom 27. März 1998 bis 26. März 2000 - erteilt wurden. Der Ehe entstammt eine am 13. März 1997 geborene Tochter.

Nach Scheidung der Ehe heiratete die Beschwerdeführerin am 18. Dezember 1998 erneut einen österreichischen Staatsbürger. Mit diesem lebte sie ab 1999 in Brasilien, dort brachte sie am 28. April 2000 einen ehelichen Sohn zur Welt.

Ende 2001 reiste die Familie wieder nach Österreich. Hier verblieb die Beschwerdeführerin, der zuletzt eine bis 2. September 2005 befristete Niederlassungsbewilligung erteilt worden war, gemeinsam mit ihren beiden Kindern und mit ihrem Ehemann - dieser befand sich allerdings ab Juli 2002 in Haft - bis November 2004.

Am 11. Juli 2003 wurde die Beschwerdeführerin vom Landesgericht Wels wegen § 28 Abs. 2 zweiter und dritter Fall SMG rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe

"Ende Juni/Anfang Juli 2002 den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG), nämlich 192,6 g Kokain mit einer Reinsubstanz von 27 g Kokain aus Brasilien aus- und nach Österreich eingeführt, indem sie es mittels Paketsendung aus Belo Horizonte an die Adresse des … in … zur unmittelbaren Entgegennahme durch W. (das ist der Ehemann der Beschwerdeführerin) verschickt hat."

Ab November 2004 hielt sich die Beschwerdeführerin mit ihren beiden Kindern neuerlich in Brasilien auf, ihr Ehegatte reiste 2005 nach Verbüßung seiner Haftstrafe nach. Im März 2007 zog die 1997 geborene Tochter der Beschwerdeführerin jedoch zu ihrem Vater nach Österreich. Auch der Ehemann der Beschwerdeführerin kehrte 2007 wieder nach Österreich zurück, wo er in ein Beschäftigungsverhältnis eintrat. Die Beschwerdeführerin reiste ihm schließlich gemeinsam mit ihrem Sohn im April 2008 nach, wurde jedoch im Hinblick auf einen seit 21. Jänner 2005 bestehenden Haftbefehl festgenommen. Sie befand sich dann bis 4. Juli 2008 in Untersuchungshaft. An diesem Tag wurde sie mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz wegen des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten schweren Erpressung nach den §§ 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Diesem Urteil lag zugrunde, die Beschwerdeführerin habe

"im Zeitraum 10.5.2004 bis Ende Oktober 2004 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, durch Drohung mit dem Tod sowie mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz bzw der gesellschaftlichen Stellung J. zu Handlungen, nämlich der Ausfolgung von Bargeld im Gesamtausmaß von EUR 110.200,-- genötigt bzw weiterer EUR 42.000,--

zu nötigen versucht, die J. im angeführten Betrag am Vermögen schädigten bzw. schädigen sollten, indem sie einerseits behauptete, ihr Kindermädchen besitze Fotos von Sexszenen zwischen ihr und J., die das Kindermädchen an den Gatten von (Beschwerdeführerin) weitergeben werde und ihr Ehegatte werde sie beide (Beschwerdeführerin und J.) umbringen, falls die Geldforderungen nicht erfüllt werden, andererseits, dass sie die Ehegattin des J. von dem Verhältnis unterrichten werde, falls die Geldforderungen nicht erfüllt würden, wobei sie die Erpressung gewerbsmäßig beging und gegen J. längere Zeit hindurch fortsetzte."

Am 14. August 2008 wurde die Beschwerdeführerin nach Verbüßung der Hälfte des unbedingt verhängten Teils der Freiheitsstrafe bedingt entlassen.

Unter Bezugnahme auf die dargestellten Verurteilungen und das den Verurteilungen zugrunde liegende strafbare Verhalten erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 22. September 2008 gemäß §§ 86 und 87 iVm § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 sowie §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, dass von der Beschwerdeführerin - auch im Hinblick auf das Drogendelikt aus dem Jahr 2002 - eine Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG ausgehe und dass das Aufenthaltsverbot ungeachtet des mit ihm einhergehenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin im Grunde des § 66 FPG zulässig sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin ist mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Die Zulässigkeit der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbots wurde daher von der belangten Behörde zutreffend gemäß § 87 FPG am Maßstab des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG - in der Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - gemessen. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Die Ansicht der belangten Behörde, es sei bezüglich der Beschwerdeführerin eine Gefährdungsprognose im Sinn der eben dargestellten Bestimmung zu treffen, begegnet angesichts des oben wiedergegebenen Fehlverhaltens keinen Bedenken. Das ergibt sich in erster Linie aus den dargestellten Erpressungshandlungen der Beschwerdeführerin, die diese über mehrere Monate hinweg - gewerbsmäßig - gesetzt hatte und die zu einer beträchtlichen Schadenssumme führten. Zu Recht wies die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass der Genötigte mit dem Tod bedroht worden war. Die belangte Behörde durfte aber auch das begangene Suchtgiftdelikt aus dem Jahr 2002 in ihre Überlegungen miteinbeziehen, weil an der Verhinderung derartiger Straftaten ein besonders massives öffentliches Interesse besteht. Im Übrigen ist zu betonen, dass die wegen des Suchtgiftdeliktes verhängte bedingte Freiheitsstrafe die Beschwerdeführerin - obgleich sie eine rund dreiwöchige Untersuchungshaft zu erdulden hatte - nicht davon abhalten konnte, nach nicht einmal einem Jahr die beschriebenen schwerwiegenden Erpressungshandlungen durchzuführen. Schon von daher relativiert sich der Einwand, das Landesgericht Linz habe durch die Verhängung einer teilbedingten Freiheitsstrafe einerseits und die bedingte Entlassung aus dem unbedingten Strafteil andererseits eine positive Zukunftsprognose abgegeben. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführerin zu entgegnen, dass die im gegebenen Zusammenhang anzustellende Gefährdungsprognose allein aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts vorzunehmen ist und die Erwägungen des zuständigen Gerichts (sei es nun des Straf- oder des Vollzugsgerichts) insoweit nicht als ausschlaggebend angesehen werden können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. September 2010, Zl. 2010/21/0204).

Auch der Einwand, von der Beschwerdeführerin gehe im Hinblick auf ihr Wohlverhalten seit 2004 keine aktuelle Gefahr mehr aus, vernachlässigt den raschen Rückfall. Dazu kommt, dass sich die Beschwerdeführerin ihrer Strafverfolgung wegen der zuletzt begangenen Erpressungshandlungen entzogen hat und dass seit der bedingten Entlassung aus der Strafhaft mit 14. August 2008 bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht einmal zwei Monate vergangen waren. Jedenfalls von daher ist der Zeitraum des behaupteten Wohlverhaltens in Anbetracht der mehrfachen deliktischen Verhaltensweisen der Beschwerdeführerin und des längeren Tatzeitraumes bezüglich der Erpressungshandlungen zu kurz, um (zumindest bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt) das Vorliegen einer aktuellen Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG verneinen zu können. Im Hinblick auf die Folgeverurteilung vom 4. Juli 2008 kann im Übrigen nicht davon die Rede sein, dass die seinerzeitige Verurteilung vom 11. Juli 2003 bereits getilgt sei.

Wenn die Beschwerdeführerin weiter damit argumentiert, bereits 2004 hätte maximal ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen werden können, welches nunmehr (im September 2008) bereits wieder auslaufen würde, was die im Bescheid getroffene Gefährlichkeitsprognose nicht nachvollziehbar mache, so ist schon die Prämisse (auch 2004 wäre nur ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot in Frage gekommen) falsch. Dass die getroffene Gefährlichkeitsprognose, wie weiter vorgebracht wird, nicht dem "Jetztzustand" entspreche, lässt sich dem bekämpften Bescheid nicht entnehmen.

Unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG (in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 29/2009) beruft sich die Beschwerdeführerin auf das Zusammenleben mit ihrem Ehegatten und ihrem 2000 geborenen Sohn, die beide österreichische Staatsbürger sind. Sie führt außerdem ins Treffen, dass ihre 1997 geborene Tochter - gleichfalls österreichische Staatsbürgerin - bei ihr mit Nebenwohnsitz gemeldet sei und "wöchentlich ihr Besuchsrecht" ausübe. Mit den genannten Angehörigen werde daher ein entsprechendes Familienleben gepflegt, außerdem decke der Ehemann der Beschwerdeführerin mit seinem Einkommen deren finanzielle Bedürfnisse. Die gebotene Interessenabwägung hätte daher dazu führen müssen, dass von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand genommen werde.

Diesem Standpunkt kann nicht beigepflichtet werden. Einerseits ist nochmals auf die aus ihrer bisherigen Delinquenz erschließbare große Gefährlichkeit der Beschwerdeführerin hinzuweisen, die in Anbetracht der oben aufgezeigten Umstände nach wie vor - bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt - als aktuell zu beurteilen ist. Andererseits fällt wesentlich ins Gewicht, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie schon in der Vergangenheit über Jahre hindurch in Brasilien gelebt hat, was eine gemeinsame Rückkehr dorthin zulässig (Gegenteiliges wurde nicht behauptet) und nicht unzumutbar erscheinen lässt. Das gilt jedenfalls für den Ehemann der Beschwerdeführerin und den im Jahr 2000 in Brasilien geborenen Sohn. Was die 1997 geborene Tochter anlangt, so räumt die Beschwerdeführerin selbst ein, dass kein gemeinsamer Haushalt (mehr) besteht.

Vor dem dargestellten Hintergrund kann die Auffassung der belangten Behörde, dass die nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführerin auszugehen habe, nicht als rechtswidrig angesehen werden. Der mit der Effektuierung des Aufenthaltsverbotes einhergehende Abbruch der Besuchskontakte zur Tochter muss - ebenso wie eine allfällige Trennung von Ehemann und Sohn, wenn diese nicht nach Brasilien mitreisen wollen - zur Abwehr der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Gefahren im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden.

Dass die belangte Behörde im Rahmen der ihr obliegenden Ermessensübung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen, vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen. Ihr Vorwurf schließlich, die belangte Behörde hätte sich von der Beschwerdeführerin einen persönlichen Eindruck verschaffen müssen, geht schon deshalb fehl, weil im fremdenrechtlichen Administrativverfahren ein Recht des Fremden, von der Berufungsbehörde mündlich gehört zu werden, nicht besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2007/21/0528).

Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 5. Juli 2011

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