VwGH 2008/21/0106

VwGH2008/21/010619.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1/IV, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 14. Dezember 2007, Zl. St 13/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z6;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z6;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen tunesischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 6, §§ 63, 66, 86 und 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung gab die belangte Behörde zunächst die Feststellungen der Erstbehörde wieder. Demnach habe der Beschwerdeführer am 14. April 2004 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Ehefrau gestellt. Unter Punkt I des (formularmäßigen) Antrages habe er zur Frage der bisherigen strafrechtlichen Verurteilungen auf das beigelegte tunesische Führungszeugnis verwiesen. Unter Punkt L stehe die Abschlusserklärung, in der der Beschwerdeführer versichert habe, alle Angaben in den Punkten B bis K nach bestem Wissen und Gewissen und unter Anschluss aller ihm zur Verfügung stehenden Belege vollständig erstattet zu haben. Diese Erklärung habe der Beschwerdeführer am 14. April 2004 eigenhändig unterschrieben. Im Zuge einer Fremdenkontrolle am 5. Oktober 2004 durch Beamte der Bundespolizeidirektion Linz sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer den Beamten von Amtshandlungen aus dem Jahr 1997 bekannt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe sich damals unrechtmäßig in Österreich aufgehalten, sei mit einem Aufenthaltsverbot belastet gewesen und habe drei (näher bezeichnete) Aliasidentitäten verwendet. Er habe sich sowohl in Schubhaft als auch in Gerichtshaft befunden und sei von Österreich zwecks Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe nach Italien ausgeliefert worden. Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer in Italien wegen des Handels mit Suchtgift zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie zu einer Geldstrafe von EUR 26.340,-- verurteilt worden sei. Am 16. Juli 2003 sei er aus der Haftanstalt Padua nach Österreich geflohen. Weiters habe die Sichtung der Vorakten aus den Jahren 1996 und 1997 ergeben, dass gegen den Beschwerdeführer - unter einer anderen Identität - mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 27. März 1996 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot wegen illegalen Aufenthaltes in Österreich verhängt worden sei. Während des illegalen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich habe das Landesgericht Linz zweimal Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachtes der Begehung strafbarer Handlungen (Einbruchsdiebstahl, schwere Nötigung, gefährliche Drohung, Sachbeschädigung) erlassen.

Es stehe fest - so die weitere, im angefochtenen Bescheid wiedergegebene Bescheidbegründung der Erstbehörde -, dass der Beschwerdeführer bei Antragstellung die gerichtliche Vorstrafe wegen Suchtgifthandels vorsätzlich verschwiegen habe. Seine diesbezüglichen Rechtfertigungsgründe seien reine Schutzbehauptungen, denn es müsse ihm bewusst gewesen sein, dass er mit einer derartigen gerichtlichen Verurteilung keinen Aufenthaltstitel erlangt hätte. Er habe weiters verschwiegen, dass er sich bereits unter anderen Identitäten in Österreich aufgehalten habe, von den damaligen "Straftaten, Schubhaften, Strafhaften etc." ganz abgesehen.

In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde sodann aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 1 Z 6 FPG schon insofern erfüllt sei, als der Beschwerdeführer "zweifelsohne maßgebliche Umstände verschwiegen" habe. Diesbezüglich habe bereits die Erstbehörde in treffender Weise ausführliche "Angaben" gemacht, auf die verwiesen werde. Auch sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, da das Verschweigen "derartiger Tatsachen (noch dazu aus dem Suchtgiftbereich)" sehr hoch zu gewichten sei.

Schon im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden dringend geboten, weil das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer wiege als das gegenläufige private Interesse des Fremden. Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte sei schon deshalb dringend geboten, weil der immer größer werdende Konsum von Suchtgiften zu verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft und hier wieder vor allem bei Jugendlichen führe. Außerdem nehme die mit dem Genuss von Suchtgiften einhergehende Suchtgiftkriminalität bereits Dimensionen an, die zu einer eklatanten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führten. Nicht zuletzt deshalb bezeichne auch der EuGH Suchtgifte als Geißel der Menschheit, und der Oberste Gerichtshof schlage "in die gleiche Kerbe" (wird näher ausgeführt).

Im Anschluss legte die belangte Behörde dar, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ungeachtet der persönlichen und privaten Bindungen des Beschwerdeführers zu Österreich insbesondere im Hinblick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose im Grunde des § 66 FPG zulässig sei und führte abschließend aus, dass auch "von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen" gewesen sei, da "eine Abstandnahme diesbezüglich die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

§ 60 Abs. 1 und 2 Z 6 FPG lautet unter der Überschrift "Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot":

"§ 60. (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

  1. 1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
  2. 2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. ...

...

6. gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen;

..."

Für den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer Österreicherin gelten - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist -

gemäß § 87 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG. Demnach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Verurteilung durch ein italienisches Gericht. Er rügt aber, dass die belangte Behörde keine Feststellungen zu den dieser Verurteilung zugrundeliegenden Taten getroffen habe. Hätte sie dies getan, so wäre hervorgekommen, so der Beschwerdeführer, dass das kriminelle Unrecht der - beinahe 16 Jahre zurückliegenden - Taten nicht derart gravierend sei, dass dies die Verhängung eines auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes rechtfertige. Die in der Bescheidbegründung ebenfalls herangezogenen Haftbefehle des Landesgerichtes Linz hätten nicht zu Verurteilungen geführt.

Was die von der belangten Behörde angenommenen falschen Angaben im Sinne des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG betreffe, sei festzuhalten, dass sich das Antragsformular "auf den örtlichen Geltungsbereich Österreichs" beziehe, sodass für den Beschwerdeführer nicht erkennbar gewesen sei, inwieweit "außerhalb des (von ihm) aus Tunesien vorgelegten Führungszeugnisses" Strafregisterbescheinigungen anderer Länder beizubringen gewesen wären. Er habe die italienische Verurteilung nicht vorsätzlich verschwiegen; es sei (im Antragsformular) nicht verlangt worden, europa- bzw. weltweite Verurteilungen bekanntzugeben. Die Angabe, dass er keine strafgerichtliche Verurteilung (weder in Österreich noch in Tunesien) habe, sei jedenfalls nicht "per se" unrichtig. Schon gar nicht könne daraus geschlossen werden, dass der Beschwerdeführer maßgebliche Umstände verschwiegen habe. Diesen Vorsatz habe die belangte Behörde dem Beschwerdeführer lediglich unterstellt, hiezu jedoch begründend nichts ausgeführt. Die belangte Behörde hätte, so der Beschwerdeführer, auf Grund einer Beweiswürdigung auch eine Beurteilung zu seinen Motiven vornehmen müssen, um die Annahme einer Gefährdung auf Grund der Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG begründen zu können.

Die Beschwerde erweist sich als berechtigt:

Die belangte Behörde hat das Aufenthaltsverbot ausschließlich auf den Gefährdungstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG gestützt. Dazu hat sie - unter Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid - festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Jahr 1997 verschiedene Aliasidentitäten verwendet und bei Beantragung eines Aufenthaltstitels im Jahr 2004 nicht nur seinen Voraufenthalt in Österreich, sondern auch seine italienische Verurteilung wegen Suchtgifthandels verschwiegen habe. Hinsichtlich der Verwendung von Aliasidentitäten wurde nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer damit bezweckt hätte, sich eine Einreise- oder Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen. Hinsichtlich des Verschweigens der Verurteilung durch ein italienisches Gericht teilt der Verwaltungsgerichtshof im Ergebnis aber die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt sei. Der diesbezüglich vom Beschwerdeführer auszufüllende Punkt im Antragsformular lautete "Bisherige strafrechtliche Verurteilungen (Beim Erstantrag Vorlage eines behördlichen Führungszeugnisses, nicht älter als drei Monate)". Es kann entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinem Zweifel unterliegen, dass im gegebenen Kontext unter "bisherigen strafrechtlichen Verurteilungen" nicht nur solche im Herkunftsland oder in Österreich zu verstehen sind, sondern grundsätzlich alle noch nicht getilgten in- und ausländischen Verurteilungen (die auch nicht der beschränkten Auskunft unterliegen - vgl. dazu das zu § 36 Abs. 2 Z 6 Fremdengesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 14. April 2000, Zl. 99/18/0358). Wenn daher der Beschwerdeführer unter dieser Rubrik ausschließlich auf sein tunesisches Leumundszeugnis (in dem lediglich eine Bestrafung wegen Fahrens ohne Führerschein ausgewiesen war) verwiesen und damit klar zum Ausdruck gebracht hat, dass darüber hinaus keine Verurteilungen vorlägen, so ist dies eine unrichtige Angabe im Sinn des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG.

Schon im Bereich des § 60 FPG wäre aber in einem weiteren Schritt eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen gewesen, ob dieser Tatbestand in concreto die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme rechtfertige. Das hat die belangte Behörde unterlassen; stattdessen finden sich im angefochtenen Bescheid nur allgemeine Ausführungen zur Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, was aber im Rahmen des von der belangten Behörde ausschließlich herangezogenen Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG von vornherein nicht relevant war. Noch weniger hat sie fallbezogen erforderliche Überlegungen in die Richtung angestellt, ob beim kraft seiner Angehörigenschaft mit einer Österreicherin insoweit privilegierten Beschwerdeführer die oben erwähnten Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 86 Abs. 1 FPG vorliegen. Die bloße Zitierung der §§ 86 und 87 FPG im Spruch des bekämpften Bescheides kann die nach dem Gesagten erforderlichen Überlegungen ebenso wenig ersetzen wie der schlichte Hinweis auf eine negative Zukunftsprognose im Rahmen der Ausführungen zu § 66 FPG sowie die Bemerkung, eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Ermessenswege komme infolge damit einhergehender schwerer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung nicht in Betracht (vgl. zum Ganzen das ebenfalls einen Bescheid der belangten Behörde betreffende hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2008, Zl. 2007/21/0438, mwN).

Demnach hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Von der beantragen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Mai 2011

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