VwGH 2008/21/0070

VwGH2008/21/007019.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des K, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 12. Juli 2007, Zl. St-90/07, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 5. August 2002 nach Österreich ein und beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Mai 2006 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 rechtskräftig abgewiesen; zugleich wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei.

Mit Bescheid vom 20. März 2007 wies die Bundespolizeidirektion Linz den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus, weil er sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte.

In der dagegen erhobenen Berufung verwies er auf seinen mehrjährigen Aufenthalt in Österreich, seine Unbescholtenheit und das Familienleben mit seiner Schwester und seinem Schwager sowie - wie schon im erstinstanzlichen Verfahren - auf seine psychische Erkrankung, für die in seinem Heimatland keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und bestätigte die Ausweisung des Beschwerdeführers. Begründend führte sie nach der Wiedergabe des Sachverhaltes und der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 17. Mai 2006 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Sein mehrjähriger Aufenthalt in Österreich, der Aufenthalt seiner Schwester und seines Schwagers sowie seine Erwerbstätigkeit seien insofern "zu relativieren", als der Beschwerdeführer von vornherein nicht damit habe rechnen dürfen, nach einem etwaigen negativen Abschluss seines Asylverfahrens weiter in Österreich verbleiben zu dürfen; er habe sich daher nicht integrieren können. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sei schon seit ungefähr einem Jahr illegal; bereits ein mehrmonatiger illegaler Aufenthalt gefährde aber die öffentliche Ordnung in hohem Maße. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung oder nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen, sei die Ausweisung erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache habe auch von der Ermessensbestimmung des § 53 Abs. 1 FPG "Gebrauch gemacht" werden müssen, insbesondere weil das dem Beschwerdeführer vorwerfbare Fehlverhalten (einjähriger illegaler Aufenthalt) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration (Aufenthalt seit ca. fünf Jahren, Bindungen zu seiner Schwester und seinem Schwager, Erwerbstätigkeit) überwiege und weder aus dem Akt noch aus der Berufungsschrift besondere Umstände ersehen werden könnten, die eine Ermessensübung zu seinen Gunsten begründen würden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. Dezember 2007, B 1667/07-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof mit gesondertem Beschluss vom 24. Jänner 2008 zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerde gesteht zu, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist. Sie behauptet auch nicht, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Dafür bestehen nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte, sodass keine Bedenken gegen die behördliche Annahme bestehen, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Unter diesem Gesichtspunkt bringt der Beschwerdeführer - wie schon im Verwaltungsverfahren - insbesondere vor, dass er psychisch krank sei und in psychotherapeutischer bzw. psychiatrischer Behandlung stehe. Diese Behandlung wäre in seinem Heimatland Indien nicht möglich.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch dem Umstand Bedeutung zukommt, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land - sollte ein solches als Zielort einer allfälligen Abschiebung überhaupt in Betracht kommen - außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen an einem (unter Umständen auch nur vorübergehenden) Verbleib in Österreich darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0165, mit weiteren Nachweisen).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Erkrankung befassen und dazu Stellung nehmen müssen, wobei (allenfalls nach ergänzenden Ermittlungen) Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, zu notwendigen Behandlungen und zu den erwartbaren Auswirkungen für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien (erforderlichenfalls auch unter Einbeziehung der dort für ihn möglichen medizinischen Versorgung) angezeigt gewesen wären. Demgegenüber ist die belangte Behörde auf die Erkrankung des Beschwerdeführers und allfällige Behandlungsmöglichkeiten im Ausland im angefochtenen Bescheid mit keinem Wort eingegangen.

Da nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass die Einbeziehung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers zu einem für ihn günstigen Ergebnis geführt hätte, war der angefochtene Bescheid angesichts des aufgezeigten Begründungsmangels wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Mai 2011

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