VwGH 2008/16/0053

VwGH2008/16/005324.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des C in B, vertreten durch Dr. Robert Mayer, Rechtsanwalt in 6840 Götzis, Vorarlberger Wirtschaftspark, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 31. März 2008, Zl. IIIa-230.438, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens i.A. über Getränkesteuer sowie Festsetzung und Rückzahlung der Getränkesteuer (mitbeteiligte Partei: Landeshauptstadt B), zu Recht erkannt:

Normen

11997E234 EG Art234;
12010E267 AEUV Art267;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs1 litb;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs1 litc;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs3;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs3;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs1 litc;
BAO §303 Abs4;
11997E234 EG Art234;
12010E267 AEUV Art267;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs1 litb;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs1 litc;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs3;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs3;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs1 litc;
BAO §303 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird soweit er die Wiederaufnahme der Verfahren und die Neufestsetzung der Getränkesteuer betrifft wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Vorarlberg hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Partei betrieb im Abgabenzeitraum einen Gastgewerbebetrieb auf dem Gebiete der mitbeteiligten Landeshauptstadt.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 18. Juli 2000 setzte der Bürgermeister der mitbeteiligten Landeshauptstadt für diesen Gastgewerbebetrieb die Getränkesteuer der Jahre 1996 bis 1998 mit insgesamt S 64.689,-- fest, wobei er der Abgabenberechnung eine Getränkesteuer für alkoholfreie Getränke und für Speiseeis, nicht aber für alkoholische Getränke zu Grunde legte.

Mit Bescheid vom 19. Juli 2006 verfügte der Bürgermeister der Mitbeteiligten im Spruchpunkt 1. die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 127 Abgabenverfahrensgesetz (AbgVG) "zur Festsetzung der Getränkesteuer für die Jahre 1996, 1997 und 1998 von Amts wegen" und hob seinen Bescheid vom 18. Juli 2000 auf. In Spruchpunkt 2. setzte der Bürgermeister die Getränkesteuer für 1996 mit EUR 14.849,90, für 1997 mit EUR 13.270,30 und für 1998 mit EUR 13.537,10 fest. Mit Spruchpunkt 3. wies der Bürgermeister gemäß § 106 des Abgabenverfahrensgesetzes die Anträge auf Rückzahlung der Getränkesteuer für die Jahre 1996, 1997 und 1998 ab. Weiters sprach er aus, dass der Abgabenbetrag bereits zur Zahlung fällig geworden und der Restbetrag von EUR 330,01 daher umgehend einzuzahlen sei.

Begründend führte der Bürgermeister - zusammengefasst - aus, die entscheidende Vorfrage einer allfälligen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit von Getränkesteuern auf die Veräußerung von alkoholischen Getränken in Gastronomiebetrieben sei erst mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 10. März 2005, Rs C-491/03 ("Hermann"), geklärt worden. Nach diesem Urteil seien Getränkesteuern auf die Veräußerung von alkoholischen Getränken in Gastronomiebetrieben gemeinschaftsrechtlich zulässig. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher im Beschwerdefall zulässig.

Da die Vorschreibung der Getränkesteuer auch auf alkoholische Getränke, die im Rahmen eines Gastronomiebetriebes abgegeben würden, rechtmäßig sei, sei der Antrag auf Rückzahlung der Getränkesteuer abzuweisen.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt die beschwerdeführende Partei, dass eine geänderte Rechtsprechung eines Gerichtshofes zur Wiederaufnahme berechtige.

Mit Bescheid vom 21. November 2007 wies die Abgabenkommission der mitbeteiligten Landeshauptstadt die Berufung als unbegründet ab. Dabei schloss sich die Berufungsbehörde der Begründung im erstinstanzlich Bescheid "vollinhaltlich" an und führte ergänzend aus, mit dem genannten Urteil des EuGH 10. März 2005, Rs C-491/03 , liege zudem eine neue Tatsache, die eine Wiederaufnahme auch nach dem Neuerungstatbestand rechtfertige, vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Vorstellung keine Folge und führte nach Wiedergabe der Verfahrensvorschriften - soweit entscheidungswesentlich - aus, auf Grund des Umstandes, dass nur das Urteil des EuGH vom 10. März 2005, Rs C-491/03 , für die Deutung der Rechtslage in Bezug auf Getränkesteuer maßgebend sei, sei der Vorfragentatbestand erfüllt. Durch die ausdrückliche Bezugnahme in dem Urteil "Hermann" auf das Urteil des EuGH vom 9. März 2000, Rs C-437/97 , ergebe sich, dass die beiden Urteile einander ergänzten und daher die Getränkesteuer auf Restaurationsumsätze schon ursprünglich EU-konform gewesen seien. Dieser Umstand sei erst durch das Urteil "Hermann" hervorgekommen. Daher seien die Voraussetzungen für die Erlassung der "Nullbescheide" nachträglich und rückwirkend weggefallen. Da der Grund für diese Ungültigkeit bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide bestanden habe, sei die Wiederaufnahme auch wegen Hervorkommens neuer Tatsachen (Neuerungstatbestand) als zulässig zu betrachten.

Da die Vorschreibung der Getränkesteuer auch auf alkoholische Getränke, die im Rahmen eines Gastronomiebetriebes abgegeben würden, rechtmäßig sei, sei die Vorgehensweise, den Antrag auf Rückzahlung der Getränkesteuer abzuweisen, korrekt gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem Recht darauf, dass die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ohne Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes nicht verfügt werden dürfe, sowie im Recht, dass im wiederaufgenommenen Verfahren keine höhere als die in der Berufungsvorentscheidung vom 18. Juli 2000 festgesetzte Getränkesteuer vorgeschrieben werden dürfe, verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 127 Abs. 1 und 3 des (im Beschwerdefall noch anzuwendenden) Vorarlberger Abgabenverfahrensgesetzes (AbgVG) lautet:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 127. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines

durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig

ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde,

falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat

herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die

im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht

geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und

nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

...

(3) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. September 2009, 2008/16/0148, zur insofern gleich lautenden Wiener Abgabenordnung (vgl. § 235 WAO) näher ausgeführt hat, dient die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht dazu, die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offen gelegten Sachverhaltes zu beseitigen. Das Hervorkommen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vermittelt keine Berechtigung zur Wiederaufnahme von (rechtskräftig abgeschlossenen) Verfahren nach dem Neuerungstatbestand. Bezugnehmend auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 22. Juni 2009, G 5/09, hat der Verwaltungsgerichtshof weiter ausgeführt, dass das Hervorkommen eines Urteils des EuGH zur Auslegung von Gemeinschaftsrecht auch nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund des Vorfragentatbestandes berechtigt. Im Urteil des EuGH vom 10. März 2005 (Hermann) kann daher kein Wiederaufnahmegrund nach § 127 Abs. 3 AbgVG erblickt werden.

Dies hat die belangte Behörde verkannt und daher ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen zur Wiederaufnahme des Verfahrens und zur Abgabenvorschreibung einzugehen.

Soweit der angefochtene Bescheid den Antrag auf Rückzahlung der Getränkesteuer betrifft, wird die beschwerdeführende Partei in den geltend gemachten Rechten nicht verletzt. Die Beschwerde war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der angefochtene Bescheid war daher bereits aus den angeführten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 24. November 2011

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