VwGH 2008/02/0104

VwGH2008/02/010416.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über den Antrag des S Z in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. Jänner 2008, Zlen. UVS- 07/S/30/8871/2004-27, UVS-07/V/30/9477/2006, betreffend Übertretungen des ASchG, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Der anzufechtende Bescheid wurde dem Antragsteller laut seinen Angaben am 17. Jänner 2008 zugestellt. Die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof endete somit am 28. Februar 2008. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde zunächst bei der belangten Behörde eingebracht und von dieser am 4. März 2008 an die Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes übergeben.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 4. April 2008, Zl. VH 2008/02/0020, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe mit der Begründung abgewiesen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheine wegen Versäumung der Beschwerdefrist aussichtslos.

Am 24. April 2008 stellte der Antragsteller den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete dies damit, dass er nach Rücksprache mit der Rechtsanwaltskanzlei Dr. S. festgestellt habe, dass sein Verfahrenshilfeantrag zwar fristgerecht zur Post gegeben, jedoch irrtümlicherweise an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien adressiert worden sei. Von dort sei der Verfahrenshilfeantrag an den Verwaltungsgerichtshof erst am 28. Februar 2008, sohin am letzten Tag der Beschwerdefrist weitergeleitet worden. Erst nach Rechtsbelehrung habe er nun erfahren, dass die Einbringung bei einem unzuständigen Gericht zur Versäumung der Beschwerdefrist führen könne. Er sei im Verwaltungsverfahren durch die Rechtanwaltskanzlei Dr. M. S. vertreten worden. Die Vertretung sei im Rahmen einer bestehenden Rechtsschutzversicherung erfolgt. Nach Erhalt der Berufungsentscheidung habe sein Anwalt um Rechtsschutzdeckung für die Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde angesucht. Die Rechtsschutzdeckung sei verweigert worden. Aus diesem Grund habe er das Vollmachtsverhältnis zu seinem bisherigen Vertreter aus Kostengründen beendet. Von seinem Vertreter sei ihm geraten worden, innerhalb der Frist einen Verfahrenshilfeantrag zu stellen. Es sei ihm auch ein Verfahrenshilfeantrag übergeben worden, den er in weiterer Folge ausgefüllt habe. Aufgrund des langjährigen Kontakts zur Rechtsanwaltskanzlei des Dr. S. habe er dessen Sekretärin ersucht, seinen Verfahrenshilfeantrag an den Unabhängigen Verwaltungssenat zwecks Beigebung eines Rechtsanwaltes für die Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde weiterzuleiten. Die Sekretärin habe offensichtlich aufgrund seines Ersuchens ohne Rücksprache mit ihrem Chef den Verfahrenshilfeantrag adressiert an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien zur Post gegeben. Er habe erst aufgrund der Verfügung vom 11. März 2008, zugestellt am 20. März 2008, wieder Kenntnis vom Stand des Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe gehabt, daraufhin selbst sein Vermögensverzeichnis ergänzt und mit Schreiben vom 30. März 2008 wieder eingebracht. In der Verfügung sei ihm nicht vorgehalten worden, dass die Beschwerdefrist möglicherweise bereits versäumt sei. Erst mit Beschluss vom 4. April 2008 habe er von der Fehlleistung Kenntnis erlangt.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht. Da nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist, ist zunächst zu klären, ob in der Sphäre des (seinerzeitigen) Vertreters der Partei ein Grund für die Wiedereinsetzung im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG gegeben ist. Solches wird im Antrag deshalb nicht behauptet, weil dem Wiedereinsetzungsvorbringen eindeutig zu entnehmen ist, dass das Vollmachtsverhältnis zum bisherigen Vertreter des Antragstellers vor Einbringung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe aus Kostengründen beendet wurde. Im vorliegenden Fall hat sich der Antragsteller zwar "aufgrund des langjährigen Kontakts" der Sekretärin seines ehemaligen Rechtsvertreters als Botin (vgl. die bei Walther/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I 2. Aufl., S 1561 f, dargestellte Rechtsprechung) bedient, die zu einer Rücksprache mit ihrem Arbeitgeber mit dem Ziel einer rechtlichen Überprüfung des Antrages auf Verfahrenshilfe mangels Vorliegens eines Vertretungsverhältnisses keinen Anlass hatte und lediglich dem Ersuchen des Antragstellers entsprochen und seinen Antrag auftragsgemäß an den Unabhängigen Verwaltungssenat weitergeleitet hat.

Der Beschwerdeführer bringt ferner vor, seine Eingabe sei "irrtümlicherweise" an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien adressiert worden und macht damit inhaltlich einen Rechtsirrtum geltend. Da als "Ereignis" im Sinn der zitierten Vorschrift jegliches Geschehen, ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt, in Betracht kommt (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I 2. Aufl., E 46 ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung), kann auch ein Rechtsirrtum ein maßgebliches "Ereignis" darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2009/21/0400, sowie Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Aufl., S. 1067) und es ist, wenn ein solcher Irrtum als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wird, im Einzelfall die Verschuldensfrage zu prüfen (vgl. dazu die im hg. Beschluss vom 21. September 2000, Zl. 2000/20/0167, zitierte hg. Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist das "Ereignis", welches den Antragsteller nach seinem Vorbringen an der Einhaltung der Beschwerdefrist hinderte, in dem Irrtum gelegen, sein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei bei der Berufungsbehörde einzubringen. Im Rahmen der ihn als "ordentliche Prozesspartei" treffenden Sorgfaltspflicht (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht 7. Aufl., Rz 618) hätte ihn jedoch die Obliegenheit getroffen, sich bei geeigneten Stellen diesbezüglich zu erkundigen und sich Gewissheit über die Einbringungsstelle zu verschaffen. Dass er dies getan hätte, bringt der Antragsteller nicht vor; dass er gehindert oder ihm nicht zumutbar gewesen wäre, sich die notwendigen Kenntnisse zu verschaffen ist ebenfalls nicht erkennbar. In Anbetracht der Bedeutsamkeit der Wahrung von Rechtsmittelfristen trifft den Antragsteller sohin ein Verschulden, das den minderen Grad des Versehens übersteigt.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 VwGG nicht stattzugeben.

Bei diesem Ergebnis konnte die - keinem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers dienende - Aufforderung desselben, die dem Antrag anhaftenden formellen Mängel zu beheben, entfallen.

Wien, am 16. September 2011

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