VwGH 2010/22/0078

VwGH2010/22/007815.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über den Antrag des S, vertreten durch Mag. Thomas Payer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Paris-Lodron-Straße 19, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde sowie über die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 1. Februar 2010, Zl. E1/3231/5/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der dem Antragsteller die Verfahrenshilfe bewilligende hg. Beschluss vom 9. März 2010 und der den Verfahrenshelfer bestellende Bescheid des Ausschusses der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 15. März 2010 wurden dem zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 24. März 2010 zugestellt. Die sechswöchige Beschwerdefrist endete daher am 5. Mai 2010. Die Beschwerde, die mit einem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden wurde, wurde vom Antragsteller am 17. Mai 2010 zur Post gegeben.

In dem mit der Beschwerde verbundenen Wiedereinsetzungsantrag bringt der Antragsteller vor, dass es in der Kanzlei seines Rechtsvertreters seit vielen Jahren üblich sei, dass Frau A.K. die Fristen in den Fristenkalender eintrage. Auch nach Erhalt des gegenständlichen Bescheides habe Frau A.K. die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof eingetragen, jedoch sei ihr dabei der Fehler unterlaufen, die Frist versehentlich mit 12. Mai 2010 - statt richtigerweise mit 5. Mai 2010 - zu vermerken.

Bei Frau A.K. handle es sich um eine langjährige, äußerst zuverlässige, gewissenhafte und erfahrene Sekretärin, der ein derartiges Versehen noch nie unterlaufen sei. Insbesondere von den Rechtsanwälten Dr. H.H. und Mag. Th.P. sei die Arbeitsweise von Frau A.K. "zuvor immer wieder regelmäßig und stichprobenartig überprüft worden", wobei jedoch bis zum nunmehrigen Versehen niemals irgendein erheblicher Fehler oder ein Versäumnis habe festgestellt werden müssen. Da Frau A.K. bereits seit mehr als 19 Jahren in dieser Rechtsanwaltskanzlei tätig sei und seit über zehn Jahren selbständig den Fristenvermerk organisiere und vornehme, ohne dass ihr jemals ein derartiges Missgeschick des Verrechnens um eine Woche unterlaufen sei, liege jedenfalls (nur) ein leichtes Versehen vor. Mit einem derartigen Versehen hätten die Rechtsanwälte aufgrund der langjährigen Verlässlichkeit ihrer Sekretärin sowie der "vorausgehenden Kontrolle" nicht rechnen müssen. Insbesondere habe der Vertreter des Beschwerdeführers keinen Grund dafür gehabt, an der Verlässlichkeit von Frau A.K. zu zweifeln, zumal diese seit vielen Jahren ihrer Arbeit gewissenhaft und ordnungsgemäß nachkomme.

Der Umstand, dass Frau A.K. entgegen der berechtigten Annahme des Rechtsvertreters des Antragstellers die gegenständliche Frist um genau eine Woche zu spät eingetragen habe, stelle somit ein unvorhergesehenes Ereignis dar, welches den Antragsteller letztlich an der fristgerechten Erhebung der Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde gehindert habe. Das bedauerliche und einmalige Versehen von Frau A.K. sei dabei als ein solches minderen Grades zu bewerten. Der bedauerliche Fehler von Frau A.K. sei dem Rechtsvertreter des Antragstellers beim Diktat der Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde am 7. Mai 2010 aufgefallen, sodass der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag auch fristgerecht sei.

Zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wurde die versäumte Handlung durch Erhebung der Beschwerde gegen den angeführten Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg nachgeholt.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht berechtigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden zuzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber den Angestellten unterlassen hat. Der Anwalt muss seinen Aufgaben auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muss der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Wiedereinsetzung schadet ein solches Versagen dann nicht, wenn dem Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden kann. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 20. Dezember 2007, 2007/21/0443).

Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgesprochen hat, ist in einer Rechtsanwaltskanzlei für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Rechtsanwalt und nicht etwa jener Kanzleiangestellte allein verantwortlich, der den Termin in den Kalender einträgt. Der Rechtsanwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht, oder unterläuft ihm dabei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumnis auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 31. Juli 2006, 2006/05/0081, mwN).

Für die richtige Beachtung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist ist somit grundsätzlich immer der Parteienvertreter selbst verantwortlich, der die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen oder die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen hat. Ein Parteienvertreter, der sich - aus welchen Gründen immer - auf die Richtigkeit der Fristvormerkungen von Angestellten verlässt, tut dies auf die Gefahr, dass das als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird. Wohl ist eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich jedoch nicht bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist. Wenn der Parteienvertreter die Beschwerdefrist damit nicht selbst kalendermäßig konkret bestimmt hat, sondern diese Bestimmung - dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag folgend - im vorliegenden Fall zur Gänze einer Kanzleiangestellten überlassen hat, so wäre es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls oblegen, die Richtigkeit der Fristvormerkung im Kalender zu kontrollieren (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 17. April 2007, 2007/06/0009, mwN).

Demgegenüber hat der Rechtsvertreter des Antragstellers im vorliegenden Fall - nach dem hier zugrunde gelegten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - die durch seine Sekretärin erfolgte Fristberechnung und Eintragung der Frist in den Kalender gerade nicht kontrolliert. Das im Antrag beschriebene Kontrollsystem in Form von regelmäßigen und stichprobenartigen Überprüfungen "zuvor", welches sowohl die Eintragung als auch den Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist vom Rechtsvertreter des Antragstellers und seiner Kanzlei unbemerkt verstreichen ließ, stellt sich jedenfalls als nicht ausreichend dar.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist war daher abzuweisen.

Da sich somit die am 17. Mai 2010 zur Post gegebene Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid als verspätet erweist, war sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 15. Juni 2010

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