VwGH 2009/21/0038

VwGH2009/21/003821.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der D, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 26. Februar 2008, Zl. 2Fr-278/07, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §31 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist bosnische Staatsangehörige. Sie ist seit 23. August 1971 mit einem österreichischen Staatsbürger - bosnischer Herkunft - verheiratet. Bereits in den Jahren von 1976 bis 1987 hielt sich die Beschwerdeführerin rechtmäßig in Österreich auf, kehrte jedoch anschließend in ihr Heimatland zurück.

Am 31. Dezember 2006 erlitt der Ehemann der Beschwerdeführerin einen Schlaganfall. Infolge der dadurch hervorgerufenen körperlichen Folgen wurde ihm nach dem Kärntner Pflegegeldgesetz Pflegegeld der Stufe 4 zuerkannt. Darüber hinaus bezieht er infolge eingetretener Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitsmarktservice Pensionsvorschuss.

Nachdem der Beschwerdeführerin von der Österreichischen Botschaft Sarajewo am 12. Februar 2007 ein bis 12. Juni 2007 gültiges Visum ausgestellt worden war, reiste sie in das Bundesgebiet ein, um sich der Pflege ihres Ehemannes zu widmen.

Der während der Gültigkeit dieses Visums von der Beschwerdeführerin eingebrachte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 29. Juni 2007 wegen ihres seit 13. Juni 2007 bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts in Österreich, sohin wegen Fehlens der Voraussetzung des § 21 Abs. 1 letzter Satz NAG (Verpflichtung zum Abwarten der Entscheidung im Ausland) abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Im von der Bundespolizeidirektion Klagenfurt, die auf Grund der erstinstanzlichen Abweisung des Niederlassungsantrages vom Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet Kenntnis erlangte, daraufhin eingeleiteten Ausweisungsverfahren wies die Beschwerdeführerin u.a. auf den Gesundheitszustand ihres Ehemannes, der "rund um die Uhr gepflegt" werden müsse, hin und führte in diesem Zusammenhang auch aus, auf Grund der schweren Erkrankung ihres Ehemannes sei es nicht möglich, das gemeinsame Familienleben im Heimatstaat der Beschwerdeführerin fortzusetzen. Dazu wurde der Bundespolizeidirektion Klagenfurt (u.a.) eine Bestätigung der Abteilung für neurologische Rehabilitation der Gailtalklinik vorgelegt, der zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer bis auf weiteres als reiseunfähig einzustufen sei.

Mit Bescheid vom 16. August 2007 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) von der die Bundespolizeidirektion Klagenfurt ausgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26. Februar 2008 keine Folge.

Begründend führte die belangte Behörde - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - aus, die Beschwerdeführerin halte sich seit Ablauf ihres Visums unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Niederlassungsbehörde habe - wenn auch nicht rechtskräftig - ausgesprochen, dass der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel erteilt werde.

Bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin seit 15. Februar 2007 in Österreich polizeilich gemeldet sei, im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann lebe und seine intensive Pflege übernommen habe. Des Weiteren komme der Ehemann auch für den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin auf. Darüber hinaus lebten auch die Tochter und Enkel der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet. Es werde sohin durch die Ausweisung "massiv" in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin eingegriffen. Dies sei jedoch durch den "erst sehr kurzen Aufenthalt" bei ihrem pflegebedürftigen Ehegatten in Österreich "relativiert". Seit der Ausreise aus Österreich im Jahr 1987 habe die Beschwerdeführerin nicht mit ihrem Ehemann zusammengelebt.

Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet sei als "durchaus gewichtig" anzusehen. Es sei aber keineswegs so stark ausgeprägt, dass das maßgebliche gegenläufige öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten hätte. Die öffentliche Ordnung werde nämlich schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben oder sich nach Ablauf des Visums weiterhin in Österreich aufhalten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Nach ständiger Rechtsprechung komme den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.

Demzufolge habe auch vom eingeräumten Ermessen nicht zu Gunsten der Beschwerdeführerin Gebrauch gemacht werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, und nachdem die im Aussetzungsbeschluss vom 19. Juni 2008 angestellten gleichheitsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, Zl. G 244/09 ua., nicht aufrecht erhalten werden können, erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin halte sich seit Ablauf ihres Visums unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, und es sei der zur Erlassung einer Ausweisung ermächtigende Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt, sich als unbedenklich erweist. Es sind nämlich keine Hinweise dafür erkennbar, dass eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) für einen rechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet gegeben wäre.

Die Beschwerde ist aber insofern berechtigt, als sie sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung und Ermessensübung wendet.

Die belangte Behörde geht davon aus, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann - ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerin vor ihrer im Februar 2007 erfolgten Einreise in Österreich in ihrem Heimatland aufhältig war - ein aufrechtes Familienleben besteht. Wenngleich die belangte Behörde auf den zuvor fehlenden gemeinsamen Wohnsitz hingewiesen hat, hat sie der Beschwerdeführerin aber auch das Bestehen einer familiären Beziehung zu ihrem Ehemann vor dem Februar 2007 nicht abgesprochen.

Die Beschwerdeführerin reiste mit einem Visum in das Bundesgebiet ein, um ihren an den Folgen eines Schlaganfalles leidenden Ehemann, der dadurch zu einem Pflegefall wurde und eine ständige Betreuung (mit den Worten der Beschwerdeführerin: "rund um die Uhr") benötigt, die notwendige Pflege angedeihen zu lassen. Insofern räumte die belangte Behörde auch ein, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familienleben ein massiver sei. Dennoch hat sich die belangte Behörde - offenkundig infolge ihrer nicht der Rechtslage entsprechenden Ansicht, dies sei wegen der bis Februar 2007 bestandenen getrennten Wohnsitze nicht weiter notwendig - aber überhaupt nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt, dass es nicht möglich und zumutbar sei, das Familienleben in ihrem Heimatland fortzusetzen (vgl. zur Notwendigkeit, sich mit dieser Frage auseinander setzen zu müssen, etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031, mit Hinweis auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes), weil dies auf Grund des gesundheitlichen Zustandes des Beschwerdeführers ausgeschlossen sei. Insoweit hat die belangte Behörde auch die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Bestätigung über die Reiseunfähigkeit ihres Ehemannes stillschweigend übergangen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

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