Normen
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 7. August 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen ägyptischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer mit einem vom 7. August 2001 bis 6. September 2001 gültigen deutschen Visum C nach Österreich eingereist sei.
Nachdem der Beschwerdeführer am 15. Dezember 2003 die österreichische Staatsbürgerin J.S. geheiratet habe, habe er am 29. Jänner 2004 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers, § 49 Abs. 1 FrG" eingebracht. Die Bundespolizeidirektion Wien (die Erstbehörde) habe dem Beschwerdeführer daraufhin Niederlassungsbewilligungen bis 2. November 2006 erteilt; anschließend habe der Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel für den Aufenthaltszweck "unbeschränkt" bis 4. Mai 2010 erhalten.
Der Beschwerdeführer habe die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Die Ehe sei bereits am 24. April 2006 rechtskräftig geschieden worden.
Der Beschwerdeführer halte sich seit etwa acht Jahren in Österreich auf und gehe regelmäßig einer Beschäftigung nach.
Am 13. September 2006 sei bei der Erstbehörde ein anonymes Schreiben eingelangt, in welchem der Beschwerdeführer beschuldigt worden sei, nie mit J.S. zusammengelebt zu haben. J.S. habe für das Eingehen der Scheinehe Geld bekommen; der Beschwerdeführer besuche jedes Jahr seine Frau und seine beiden Kinder in Ägypten.
Bei einer Vernehmung am 17. August 2007 habe J.S. unter anderem angegeben, dass sie den Beschwerdeführer ein Jahr vor der Eheschließung kennen gelernt habe. Sie habe - außer, dass er irgendeiner Arbeit nachgehe - nicht viel von ihm gewusst. Etwa nach einem Jahr habe der Beschwerdeführer ihr einen Heiratsantrag gemacht, welchen J.S. sofort angenommen habe. Eine Freundin von J.S. und ein Freund des Beschwerdeführers seien bei der Hochzeit die Trauzeugen gewesen. Nach der Eheschließung habe J.S. weiterhin bei ihrer Mutter gewohnt. Wo der Beschwerdeführer vor der Eheschließung gewohnt habe, habe J.S. nicht gewusst. Der Beschwerdeführer habe gemeint, dass die Ehepartner vorerst nicht zusammenwohnen sollten, um Geld zu sparen, damit sie sich ein Haus kaufen könnten. J.S. habe ihn hin und wieder in seiner neuen Wohnung besucht. Manchmal sei J.S. auch unangemeldet beim Beschwerdeführer erschienen, bis sie etwa drei bis dreieinhalb Monate nach der Eheschließung bei ihm eine andere Frau gesehen habe. Seit diesem Zeitpunkt habe J.S. keinen Kontakt mehr zum Beschwerdeführer. Aufgrund des Vorfalls mit der anderen Frau sei J.S. in psychiatrischer Behandlung. Obwohl sie nicht viel über ihn gewusst habe, habe J.S. den Beschwerdeführer geheiratet. Es sei eine Liebesheirat gewesen, auch wenn sie nie gemeinsam gewohnt hätten. J.S. habe keine Ahnung davon gehabt, dass der Beschwerdeführer in Ägypten verheiratet sei und zwei Kinder habe. Er habe ihr nie davon erzählt. Hin und wieder habe J.S. Geld vom Beschwerdeführer bekommen, für die Eheschließung selbst habe sie jedoch kein Geld erhalten.
Die Mutter von J.S. habe am 17. August 2007 ausgesagt, dass J.S. während der Ehe mit dem Beschwerdeführer bei ihr gewohnt habe. Etwa drei Monate nach der Eheschließung habe J.S. eine andere Frau in der Wohnung des Beschwerdeführers getroffen und sich anschließend wegen dieses Vorfalls in psychiatrischer Behandlung befunden.
Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - habe bei seiner Vernehmung am 27. September 2007 angegeben, dass er nach der Eheschließung mit J.S. etwa ein Jahr lang in Wien 15, M.- Straße 156, und danach etwa drei Wochen lang in Wien 15, M.- Straße 138, gewohnt habe. Anschließend seien die Ehepartner in die L.-Gasse gezogen; dort hätten sie bis zur Scheidung im April 2006 gelebt. J.S. habe gewusst, dass der Beschwerdeführer in Ägypten verheiratet gewesen sei und zwei Kinder habe. Der Beschwerdeführer habe das Vorliegen einer Scheinehe und auch, dass er zusammen mit einer anderen Frau in der ehelichen Wohnung gewesen sei, bestritten.
Der Beschwerdeführer habe eine Bestätigung über die Scheidung von seiner ägyptischen Ehefrau am 22. Februar 2001 vorgelegt, dabei jedoch verheimlicht, dass er diese Frau am 25. Februar 2007 neuerlich geheiratet habe. Am 10. Juli 2007 habe er für seine ägyptische Frau und seine beiden Kinder bereits Erstanträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen für den Aufenthaltszweck "beschränkt" eingebracht.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass sie keinen Grund erkenne, an der Richtigkeit der Zeugenaussage von J.S. zu zweifeln. Diese habe glaubwürdig dargelegt, dass sie nie mit dem Beschwerdeführer zusammengewohnt habe. Auch die Mutter von J.S. habe diese Angaben bestätigt. Die Angaben von J.S. seien in sich schlüssig, und es sei auch kein Grund ersichtlich, warum sie das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bloß "vortäuschen" sollte.
Der Beschwerdeführer habe lediglich behauptet, dass er nach der Eheschließung bis zu seiner Scheidung laufend mit J.S. zusammengewohnt habe. Im Gegensatz zu J.S. habe der Beschwerdeführer aber ein größeres Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe, weil sein weiterer Verbleib im Bundesgebiet und darüber hinaus sein freier Zugang zum Arbeitsmarkt davon abhingen. Vor diesem Hintergrund erschienen die Behauptungen des Beschwerdeführers als höchst unglaubwürdig. Diese Überzeugung der belangten Behörde werde durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer seine (frühere) ägyptische Ehefrau am 25. Februar 2007 neuerlich geheiratet habe, verstärkt.
Dass die Ehe für J.S. eine "Liebesheirat" gewesen sei, ändere nichts an der Tatsache, dass der Beschwerdeführer mit ihr nie im gemeinsamen Haushalt gelebt habe und daher kein gemeinsames Familienleben habe führen können. Außerdem komme es im fremdenrechtlichen Verfahren nicht auf die zur Ehe führenden Gründe des "österreichischen Teils", sondern auf jene des Fremden an. Diese seien aber eindeutig darin gelegen, rechtswidrig einen Aufenthaltstitel und eine Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten.
Auch die Erklärung von Y.E. (ein durch den Beschwerdeführer beantragter Zeuge), dass der Beschwerdeführer und J.S. "aus Liebe" geheiratet hätten, könne an der gewonnenen Überzeugung der belangten Behörde nichts ändern. Beim Begriff "Liebe" handle es sich um eine rein subjektive Wahrnehmung, die in Hinblick auf § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG für das Vorliegen eines gemeinsamen Familienlebens nicht von Bedeutung sei. "Vor diesem Hintergrund" erübrige sich daher die Vernehmung des Y.E. als Zeugen. Auch das im Akt vorhandene Schreiben einer "Unbekannten" vom 8. Februar 2008 sei mangels Objektivierbarkeit für die gewonnene Entscheidung der belangten Behörde nicht von Relevanz.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt seien. Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, welche die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige. Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung stelle einen Rechtsmissbrauch dar, der zweifellos ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, komme doch gerade der Verhinderung bzw. Bekämpfung solcher Ehen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.
Angesichts der festgestellten Umstände sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - dringend geboten. Wer - wie der Beschwerdeführer - rechtsmissbräuchlich insofern vorgehe, um sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung als notwendig erscheinen ließen.
Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei auch im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 2 FPG gebotenen Interessenabwägung zu bejahen. Nur aufgrund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe der Beschwerdeführer Beschäftigungen bei ständig wechselnden Arbeitgebern eingehen können, weshalb die durch seinen etwa achtjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration wesentlich geschmälert werde; dies umso mehr, weil letztlich auch die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes auf dem besagten rechtsmissbräuchlichen Verhalten basiere. Daher hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund zu treten. Bei einer Abwägung dieser Interessenlagen ergebe sich somit, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinesfalls schwerer wögen als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.
Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände vorlägen, habe die belangte Behörde angesichts des vorliegenden Sachverhalts von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung gerechtfertigt. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen die Annahme der belangten Behörde im Hinblick auf das Vorliegen einer Scheinehe und führt unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung die Vernehmung des Zeugen Y.E. zum Beweis dafür beantragt habe, dass es sich bei der Ehe des Beschwerdeführers und J.S. um eine Liebesheirat gehandelt habe und keine Aufenthaltsehe vorliege. Zum Nachweis für die Relevanz der Vernehmung von Y.E. habe der Beschwerdeführer die Stellungnahmen des Y.E. vom 28. und 29. Jänner 2008 vorgelegt. Dennoch habe die belangte Behörde es unterlassen, diesen Zeugen zur Ehe des Beschwerdeführers zu befragen. Der angefochtene Bescheid sei daher mit einem wesentlichen Verfahrensfehler behaftet, weil bei Durchführung eines fehlerfreien Ermittlungsverfahrens die belangte Behörde zu dem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen müssen, dass es sich bei der Ehe des Beschwerdeführers mit J.S. um keine Aufenthaltsehe gehandelt habe.
1.2. Tatsächlich hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid die Vernehmung des Zeugen Y.E. zum Beweis dafür beantragt, dass keine Scheinehe vorgelegen sei. In den angeführten Stellungnahmen von Y.E. vom 28. und 29. Jänner 2008 hat dieser im Wesentlichen vorgebracht, dass er bestätigen und auch als Zeuge aussagen könne, dass der Beschwerdeführer und J.S. aus Liebe geheiratet und nach der Eheschließung bis zur Scheidung zusammengewohnt hätten.
1.3. Nach ständiger hg. Rechtsprechung dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, Zl. 2009/18/0196, mwN).
Das mit dem angeführten Zeugenantrag als Beweisthema verknüpfte Vorbringen, dass keine Scheinehe vorliege, ist für die Beurteilung des Vorliegens eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG von Bedeutung. Die Unterlassung der Vernehmung des beantragten Zeugen stellt daher - auch mit Blick auf dessen schriftliche Behauptungen - einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dem auch Relevanz zukommt, weil die belangte Behörde bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, mwN).
2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 23. März 2010
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