VwGH 2009/10/0198

VwGH2009/10/019829.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über den Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 8. September 2009, Zl. 23 Cg 51/09w, gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 13. März 2007, Zl. 9.28 174-2007, betreffend Sozialhilfe (weitere Parteien gemäß § 64 VwGG: 1. Verlassenschaft nach der am 22. August 2007 verstorbenen HM, zuletzt in D, vertreten durch Dr. Josef Faulend-Klauser, Rechtsanwalt in 8530 Deutschlandsberg, Kirchengasse 7, und 2. Land Steiermark, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Glacisstraße 67), zu Recht erkannt:

Normen

AHG 1949 §11 Abs1;
SHG Stmk 1998 §1 Abs3;
SHG Stmk 1998 §28a Abs1;
SHG Stmk 1998 §4 Abs1;
SHG Stmk 1998 §5 Abs1;
SHG Stmk 1998 §6;
SHG Stmk 1998 §8 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §67;
VwGG §70;
ZPO §499 Abs2;
AHG 1949 §11 Abs1;
SHG Stmk 1998 §1 Abs3;
SHG Stmk 1998 §28a Abs1;
SHG Stmk 1998 §4 Abs1;
SHG Stmk 1998 §5 Abs1;
SHG Stmk 1998 §6;
SHG Stmk 1998 §8 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §67;
VwGG §70;
ZPO §499 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 13. März 2007, Zl. 9.28 174-2007, rechtswidrig ist.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. März 2007 hat die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg - die belangte Behörde - den Antrag von Hildegard M. auf Gewährung von Sozialhilfe durch Zuzahlung zu den Kosten der Unterbringung in einem bestimmt bezeichneten Pflegewohnheim gemäß §§ 1, 4 und 7 des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 29/1998 (StSHG), abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass gemäß § 1 Abs. 3 StSHG Sozialhilfe zu gewähren sei, um eine bestehende Notlage zu beseitigen oder eine drohende Notlage abzuwenden. Gemäß §§ 4 und 5 leg. cit. bestehe ein Anspruch auf Sozialhilfe nur, wenn und soweit das eigene Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfeempfängers nicht ausreichten, um den Lebensbedarf zu sichern.

Hildegard M. befinde sich seit 13. Oktober 2005 im Pflegeheim und habe am 22. November 2005 einen Antrag auf Zuzahlung zu den Heimkosten gestellt. Im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung nach ihrem am 18. Februar 2005 verstorbenen Gatten habe Hildegard M. am 18. April 2005 auf die Geltendmachung des gesetzlichen Pflichtteilsrechts zugunsten ihres Neffen verzichtet. Ausgehend vom Wert des Nachlasses habe der Pflichtteilsanspruch EUR 82.000,--

betragen. Im Zeitpunkt des Verzichts auf den Pflichtteil sei Hildegard M. bereits pflegebedürftig gewesen; die Heimunterbringung und der Mangel an finanziellen Mitteln zur Finanzierung des Heims seien vorhersehbar gewesen. Nach Ansicht der belangten Behörde handle es sich in diesem Fall eindeutig um eine "Vermögensverschiebung". Eine Kostenübernahme aus Mitteln der Sozialhilfe sei daher nicht möglich.

Hildegard M. erhob gegen diesen Bescheid Berufung, über welche jedoch nicht entschieden wurde, weil die Berufungswerberin am 22. August 2007 verstorben und infolgedessen das Berufungsverfahren eingestellt worden ist.

Mit der beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eingebrachten Amtshaftungsklage begehrte die Verlassenschaft nach Hildegard M. einen Betrag von EUR 17.605,29 an die zumutbare Eigenleistung der Verstorbenen übersteigenden Heimkosten. Dazu wurde vorgebracht, dass die Abweisung der Sozialhilfe mit dem angefochtenen Bescheid jeder stichhaltigen rechtlichen Grundlage entbehre. § 28a StSHG regle den Ersatz von Sozialhilfeleistungen durch den aus einer Vermögensübertragung ohne Gegenleistung Begünstigten. Diese Bestimmung wäre unnötig, wenn bei derartigen Vermögensübertragungen gar kein Sozialhilfeanspruch entstünde. Die Auslegung des StSHG durch die belangte Behörde sei denkunmöglich. Überdies werde bestritten, dass die Notwendigkeit der Heimunterbringung im Zeitpunkt des Pflichtteilsverzichts bereits bekannt gewesen sei. Das Land Steiermark als beklagte Partei bestritt den Klagsanspruch mit der wesentlichen Begründung, dass nach dem StSHG Sozialhilfe nur dann zu gewähren sei, wenn es dem Hilfsbedürftigen nicht in zumutbarer Weise möglich sei, seinen Lebensbedarf aus eigener Kraft zu decken. Hildegard M. habe im Zeitpunkt der Abgabe des Pflichtteilsverzichts auf Grund ihres Gesundheitszustandes bereits mit der bevorstehenden Heimunterbringung rechnen müssen. Es sei ihr zumutbar gewesen, den Pflichtteil anzunehmen.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz unterbrach das Verfahren und beantragte gemäß § 11 Abs. 1 Amtshaftungsgesetz die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren brachte die belangte Behörde vor, Grundgedanke des StSHG sei es, Menschen, denen es nicht in zumutbarer Weise möglich sei, ihren Lebensbedarf aus eigener Kraft bzw. aus eigenem Vermögen zu decken, staatliche Hilfe zukommen zu lassen. Dieser Zweck spiegle sich nicht nur in den §§ 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 leg. cit. wieder, sondern auch in § 6 Abs. 1 (Pflicht zum Einsatz eigener Arbeitskraft) und § 8 Abs. 4 (Reduktion der Leistungen auf das unerlässliche Mindestmaß). Auf Grund der aktenkundigen Krankengeschichten habe die belangte Behörde davon ausgehen können, dass Hildegard M. bereits bei Abgabe des Pflichtteilsverzichts am 18. April 2005 mit ihrer bevorstehenden Heimunterbringung rechnen habe müssen. Nur neun Tage nach diesem Zeitpunkt sei Hildegard M. laut Arztbrief in einem "schlechten Allgemeinzustand" in ein Krankenhaus aufgenommen worden. Bei der Verzichtserklärung handle es sich somit um eine bewusste Vermögensverschiebung. Es mache einen Unterschied, ob dem späteren Sozialhilfewerber im Zeitpunkt der Vermögensverschiebung (z.B. Pflichtteilsverzicht) bewusst gewesen sei bzw. bewusst sein habe müssen, dass ihn diese Verschiebung sozialhilfebedürftig mache, oder ob er dies im Zeitpunkt der Verschiebung nicht habe erkennen können. Nur den letztgenannten Fall umfasse die Regelung des § 28a StSHG, während bewusste Vermögensverschiebungen nicht gleichsam durch Gewährung von Sozialhilfeleistungen belohnt werden könnten. Darüber hinaus entspreche es der gängigen Verwaltungspraxis, das Vorhandensein eigener Mittel bzw. von Ansprüchen nach § 947 ABGB bereits im Zuerkennungsverfahren zu prüfen und gegebenenfalls Sozialhilfe nicht bzw. befristet oder unter Auflagen zu gewähren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier wesentlichen Bestimmungen des StSHG haben folgenden

Wortlaut:

"§ 1 ...

(3) Die Sozialhilfe ist zu gewähren, um eine bestehende Notlage zu beseitigen oder eine drohende Notlage abzuwenden. ...

...

§ 4. (1) Auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs besteht für Personen, die den Lebensbedarf für sich und unterhaltsberechtige Angehörige nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln und Kräften beschaffen können und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhalten, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes ein Rechtsanspruch. ...

...

§ 5. (1) Hilfe ist nur soweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfeempfängers nicht ausreichen, um den Lebensbedarf zu sichern.

...

§ 6. (1) Art und Ausmaß der Hilfe sind davon abhängig zu machen, dass der Hilfeempfänger bereit ist, seine Arbeitskraft in zumutbarer Weise zur Beschaffung seines Lebensbedarfs einzusetzen.

...

...

§ 8 ...

(4) Die richtsatzgemäße Geldleistung kann im Einzelfall auf das zum Lebensunterhalt unerlässliche Maß beschränkt werden, wenn der Hilfeempfänger trotz wiederholter Aufforderung mit den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nicht sparsam umgeht oder trotz Erwerbsfähigkeit und Erwerbsmöglichkeit nicht gewillt ist, seine Arbeitskraft zur Sicherung seines Lebensbedarfs einzusetzen. ...

...

§ 28a. (1) Hat ein Hilfeempfänger innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Hilfeleistung während oder drei Jahre nach der Hilfeleistung Vermögen verschenkt oder sonst ohne entsprechende Gegenleistung an andere Personen übertragen, so ist der Geschenknehmer (Erwerber) zum Kostenersatz verpflichtet, soweit der Wert des Vermögens das Fünffache des Richtsatzes für Alleinstehende übersteigt. ..."

Vorausgeschickt sei, dass die Präjudizialität des angefochtenen Bescheides für den Amtshaftungsprozess vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/09/0165).

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, dass Hildegard M. deswegen keinen Anspruch auf Leistungen aus der Sozialhilfe habe, weil sie trotz Absehbarkeit ihrer künftigen Hilfsbedürftigkeit auf einen Pflichtteil in der Höhe von EUR 82.000,-- verzichtet habe, den sie zur Deckung ihres Lebensbedarfs hätte heranziehen können.

Diese Auffassung findet im StSHG keine Deckung:

Unstrittig hat Hildegard M. im Zeitraum ihrer Heimunterbringung nicht aktuell über ausreichende - die gesamten Heimkosten abdeckende - eigene Mittel verfügt.

Bei der Hilfegewährung ist situationsbezogen auf eine aktuelle Notlage abzustellen; frühere nicht genutzte oder zukünftige Möglichkeiten des Hilfeempfängers haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben; ein allfälliges Verschulden des Hilfeempfängers an der eingetretenen Notlage ist an sich ohne Belang (vgl. Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht (1989) S. 401f und die dort zitierte hg. Judikatur). Dieser Grundsatz ergibt sich insbesondere aus den von der belangten Behörde zitierten Bestimmungen des § 1 Abs. 3 StSHG (Sozialhilfegewährung zur Beseitigung einer bestehenden oder Abwendung einer drohenden Notlage), § 4 Abs. 1 leg. cit. (Anspruch auf Hilfeleistung für Personen, die den Lebensbedarf nicht aus eigenen Mitteln und Kräften decken können) und § 5 Abs. 1 leg. cit (Hilfegewährung nur soweit, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfeempfängers nicht ausreichen). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz für einen Fall wie den vorliegenden sieht das StSHG nicht vor.

Nach den von der belangten Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ins Treffen geführten Bestimmungen des § 6 und des § 8 Abs. 4 StSHG ist die Gewährung von Sozialhilfe vom zumutbaren Einsatz der eigenen Arbeitskraft abhängig zu machen; in bestimmten Fällen von nicht sparsamem Umgang mit Sozialhilfemitteln oder Arbeitsunwilligkeit kann die Sozialhilfeleistung auf das zum Lebensunterhalt unerlässliche Maß eingeschränkt werden. Soweit darin eine Ausnahme vom dargestellten Grundsatz erblickt werden kann, ist diese keinesfalls ausdehnend auszulegen (vgl. Pfeil aaO S. 402 und die dort zitierte hg. Judikatur) und daher auf den vorliegenden Fall des - nach Ansicht der Behörde bewussten - Verzichts auf Vermögenswerte, die den Lebensbedarf sichern könnten, nicht anzuwenden.

Die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Versagung von Sozialhilfeleistungen auf Grund eines Pflichtteilsverzichts der Hilfsbedürftigen beruht somit auf einer Verkennung der Rechtslage. Es braucht daher nicht auf die Frage eingegangen zu werden, ob Hildegard M. bei Abgabe des Pflichtteilsverzichts bereits mit der bevorstehenden Heimunterbringung rechnen musste.

Auf einen allenfalls bestehenden Anspruch von Hildegard M. gegen den durch den Pflichtteilsverzicht begünstigten Neffen wurde der angefochtene Bescheid nicht gestützt. Hiezu sei jedoch festgehalten, dass die Hilfsbedürftigkeit nicht bereits mit dem Hinweis verneint werden kann, der Hilfesuchende habe gegenüber einem Dritten einen Anspruch auf die erforderliche Leistung. Entscheidend ist vielmehr, ob der Hilfesuchende die erforderliche Leistung auf Grund dieses Anspruches auch so rechtzeitig erhalten kann, dass er in seinem Bedarf nicht gefährdet wird. Andernfalls hat der Sozialhilfeträger - mit der allfälligen Möglichkeit eines Ersatzanspruches gegenüber dem primär Leistungspflichtigen - in Vorlage zu treten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2009, Zl. 2007/10/0209).

Die Konsequenz für die Übertragung von Vermögen ohne Gegenleistung liegt in einem Fall wie dem Vorliegenden nicht im Verlust des Sozialhilfeanspruchs des Übertragenden, sondern im Entstehen eines Rückersatzanspruches des Sozialhilfeträgers gegen den Empfänger. Dazu sei festgehalten, dass die Ansicht der belangten Behörde, § 28a StSHG, der diesen Rückersatz regelt, sei auf Fälle nicht anzuwenden, in denen die Vermögensübertragung in Kenntnis oder verschuldeter Unkenntnis des bevorstehenden Eintritts der Hilfsbedürftigkeit erfolgt sei, schon nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung nicht der Rechtslage entspricht.

Aus den dargelegten Gründen war gemäß § 67 VwGG iVm § 11 Abs. 1 AHG die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides festzustellen.

Gemäß § 68 VwGG sind die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erwachsenden Kosten solche des Rechtsstreits vor dem antragstellenden Gericht.

Wien, am 29. September 2010

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