VwGH 2008/23/0877

VwGH2008/23/087713.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des J U, geboren 1974, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. März 2007, Zl. 232.428/0/4E-XI/38/02, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach Einreise in das Bundesgebiet über Wien-Schwechat am 15. Juli 2002 einen Asylantrag. Nach seiner vor der Bundespolizeidirektion Schwechat im Zuge der Erstbefragung (ohne Beisein eines Dolmetschers) aufgenommenen Aussage war sein Fluchtgrund die von ihm abgelehnte Nachfolge nach seinem Vater in einer "Ibo-Gruppe". Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15. Oktober 2002 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, vom Gouverneur des nigerianischen Bundesstaates Enugu als dessen "Agent" am 6./7. März 2002 mit dem Auftrag ausgeschickt worden zu sein, Menschen bei einer religiösen Versammlung zu vergiften. Als er die Urheberschaft des Gouverneurs nach dem Anschlag bekannt gemacht habe, sei er von dessen Leuten verfolgt worden, die ihn zu töten versucht hätten. Auf den Widerspruch in seinem Fluchtvorbringen angesprochen erklärte der Beschwerdeführer, das von der Bundespolizeidirektion Schwechat Protokollierte nicht gesagt zu haben.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Das Bundesasylamt versagte der Verfolgungsbehauptung des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit und führte begründend aus, seinen Aussagen fehle jegliche Substantiiertheit. Der Beschwerdeführer habe keine Bedrohung seiner Person glaubhaft machen können; seine Angaben seien zu vage, um glaubhaft zu sein. So sei es ihm nicht möglich gewesen, Angaben zu den "Jobs", die er vom Gouverneur bekommen habe, zu dessen Plänen, zum "Adoration Prayer Ministries" (der Gebetsstätte) sowie zu seiner Ergreifung und Flucht zu machen. Seine Angaben seien mit unauflösbaren Widersprüchen behaftet gewesen, habe er doch zunächst angegeben, selbst die "Medizin" versprüht zu haben, während er anschließend dazu völlig divergierend angegeben habe, selbst keine "Medizin" versprüht zu haben. Weiters habe er angegeben, nach dem Anschlag nicht mehr zum Gouverneur zurückgekehrt zu sein, andererseits aber ausgesagt, er sei vom Gouverneur weggelaufen, der daraufhin Leute geschickt habe, um den Beschwerdeführer zu suchen. Überdies widersprächen seine Angaben vor dem Bundesasylamt jenen vor der Bundespolizeidirektion Schwechat, wo er einen gänzlich anderen Fluchtgrund behauptet habe. Feststellungen zu Nigeria wurden in diesen Bescheid nicht aufgenommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 57 Fremdengesetz 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria für zulässig. Die belangte Behörde schloss sich den beweiswürdigenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid an und erhob sie zum Inhalt ihrer Entscheidung. Die belangte Behörde führte "lediglich zur Präzisierung" beweiswürdigend weiters aus, dass eine Beteiligung des Beschwerdeführers am Mordanschlag auch deshalb nicht schlüssig nachvollziehbar sei, weil er nicht etwa behauptet habe, eine Atemschutzmaske getragen zu haben, die ihm das Leben gerettet hätte. Aber auch der Umstand, dass der Gouverneur von Enugu State, Chief Chimaroke Ogbonna Nnamani, auch in den Jahren 2003 bis 2007 sein Amt ausgeübt habe, könne nicht für die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers ins Treffen geführt werden. Hätte der Gouverneur von Enugu State tatsächlich einen Massenmord in Auftrag gegeben, der entsprechend der Schilderung des Beschwerdeführers tatsächlich ausgeführt worden sei und von dem sich die Kunde "in ganz Nigeria" verbreitet habe, sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dies auch in einem Staat wie Nigeria für enormes Aufsehen gesorgt hätte und der Gouverneur von Enugu State sein Amt nicht noch die nächsten Jahre behalten hätte. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, die (abweichenden) Angaben zu seinem Fluchtgrund im Zuge der Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Schwechat nicht gemacht zu haben, sei darauf hinzuweisen, dass er das Protokoll der Einvernahme selbst unterfertigt habe; zum anderen sei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Bundespolizeidirektion Schwechat dieses Vorbringen gleichsam frei erfunden und zu Protokoll genommen habe. "Im Lichte einer Gesamtbetrachtung" kam die belangte Behörde zum Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich der von ihm behaupteten Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates nicht den Tatsachen entspreche.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Die Beschwerde macht u.a. als Verfahrensmangel eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde geltend und ist damit im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. Juni 2008, Zlen. 2008/19/0216, 0217, und vom 15. Jänner 2009, Zl. 2007/01/0352, jeweils mwN).

Auch wenn der belangten Behörde einzuräumen ist, dass der Berufung des Beschwerdeführers eine konkrete Bekämpfung der Beweiswürdigungsargumente der Erstbehörde nicht zu entnehmen war und von daher die Durchführung einer Berufungsverhandlung nach der zitierten Bestimmung nicht geboten gewesen wäre, hat sie verkannt, dass eine mündliche Berufungsverhandlung im vorliegenden Fall nach dem Gesagten nicht unterbleiben konnte.

So hat es die belangte Behörde für erforderlich gehalten, ergänzend zu der von ihr übernommenen Beweiswürdigung der Erstbehörde, weitere Überlegungen zur Begründung der Unglaubwürdigkeit der Aussage des Beschwerdeführers anzustellen, in die sie ihre eigenen Erwägungen zur Nachvollziehbarkeit einer Teilnahme des Beschwerdeführers an einem Giftgasanschlag sowie zur Amtszeit des Gouverneurs des Bundesstaates Enugu einbezog. Auch diese eigenen Argumente machte die belangte Behörde zum tragenden Inhalt ihrer Entscheidung, ohne dass der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hätte, zu diesen erstmals herangezogenen Begründungselementen Stellung zu nehmen und die von der belangten Behörde gesehenen Widersprüche allenfalls aufzuklären.

Weiters setzte sich die belangte Behörde erstmals mit der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe die Angaben vor der Bundespolizeidirektion Schwechat nicht wie protokolliert gemacht, beweiswürdigend auseinander. Hielt es die belangte Behörde aber für notwendig, die Beweiswürdigung der Erstbehörde um zusätzliche (über bloße Zusatzbemerkungen oder Eventualausführungen hinausgehende) eigene Argumente zu ergänzen, dann widersprach dies der Annahme eines hinreichend "geklärten Sachverhaltes" im Sinn des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG, sodass auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung nicht verzichtet werden konnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2007, Zl. 2005/20/0026, mwN).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen) Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 13. Dezember 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte