Normen
FremdenG 1997;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005;
VwRallg;
FremdenG 1997;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 22. November 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom 1. April 2005 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "jeglicher Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.
Begründend stellte die belangte Behörde im Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer sei seinen eigenen Angaben nach im Jahr 1990 in das Bundesgebiet eingereist und letztmalig bis zum 30. Oktober 1993 im Besitz eines Sichtvermerkes gewesen. Der Antrag vom 1. April 2005 sei damit jedenfalls als Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu werten. Dieser Antrag sei mit Bescheid der "Wiener Landesregierung" vom 3. Juli 2007 gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen worden, wogegen fristgerecht Berufung erhoben worden sei. Diese sei im Wesentlichen damit begründet worden, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1990 durchgehend in Österreich aufhalte, seine gesamte Familie, bestehend aus Gattin, Kind, Bruder und Schwester hier lebten, wobei die Geschwister schon seit langem die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen. Auf Grund des seit 17 Jahren andauernden Aufenthaltes und der vollständigen Integration in die österreichische Gesellschaft wäre eine Ausweisung aus Österreich im Sinne des Art. 8 EMRK nicht zulässig, weshalb die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien auch zuletzt das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot aufgehoben habe.
Die belangte Behörde führte aus, dass Erstanträge auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen seien und die Entscheidung im Ausland abzuwarten sei. Dass der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag am 1. April 2005 im Inland eingebracht habe, werde nicht bestritten. Da sich der Beschwerdeführer seit Ablauf seines letzten Sichtvermerkes am 30. Oktober 1993 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen. Außerdem rechtfertige ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Da sich der Beschwerdeführer seit nunmehr über 14 Jahren illegal in Österreich aufhalte, zeige er, dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten, dies stelle eine negative Beispielwirkung für andere Fremde dar. Angesichts der Heranziehung des § 21 Abs. 1 NAG erübrige sich aber ein weiteres Eingehen auf diesen Umstand im Hinblick auf den Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG.
Die Behörde könne einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 72 NAG von Amts wegen zulassen. Diese Zulassung sei jedoch nicht zwingend zu verstehen, sondern basiere auf dem Ergebnis des Ermittlungs- und Überprüfungsverfahrens der Behörde. Gemäß § 74 NAG könne die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt seien.
Im vorliegenden Fall könnten jedoch keine humanitären Gründe im Sinne des § 72 NAG festgestellt werden, was bereits in einem vorangegangenen, im Bundesministerium für Inneres anhängigen Verfahren festgestellt worden sei. Unbestritten sei der Beschwerdeführer auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich integriert. Zu seinen Ungunsten sei zu bewerten, dass er seinen unrechtmäßigen Aufenthalt seit Ablauf seines letzten Sichtvermerkes mit 30. Oktober 1993 fortgesetzt habe. Obwohl der Beschwerdeführer im Besitz eines bis 2010 gültigen Befreiungsscheines sei, habe er überdurchschnittlich oft seinen Arbeitgeber gewechselt und u.a. zwischen Jänner 2005 und September 2006 wiederholt Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezogen, was gegen seine Integration am Arbeitsmarkt spreche.
Durch den Aufenthalt der Geschwister, die mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen, seien keine gewichtigen familiären Interessen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet erkennbar. Zu den Angaben, wonach die Gattin und der Sohn des Beschwerdeführers ebenfalls in Österreich gut integriert seien und das am 25. Mai 2005 in Iseo geborene Kind in Österreich die Schule besuchen solle, müsse festgestellt werden, dass weder die Gattin noch der Sohn über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügten, vielmehr scheine auf, dass beide über ein Aufenthaltsrecht bis 27. Mai 2008 in der italienischen Republik verfügten.
Dem Berufungsvorbringen, dass eine Ausweisung aus Österreich im Sinne des Art. 8 EMRK nicht zulässig sei, weshalb die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot wieder behoben habe, werde entgegengehalten, im diesbezüglichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. November 2005 fänden sich keinerlei Hinweise darauf, dass die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK erfolgt sei. Vielmehr habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien das wegen Mittellosigkeit erlassene Aufenthaltsverbot mit der nicht ganz nachvollziehbaren Begründung behoben, die Annahme, dass der Beschwerdeführer über keine eigenen Mittel zum Unterhalt verfüge, könne nicht aufrecht erhalten werden, weil er Arbeitslosengeld bezogen habe.
Im Hinblick auf die vorgebrachten Argumente sei kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben. Eine Inlandsantragstellung werde von Amts wegen nicht zugelassen. Die Antragstellung vor der Einreise sei von wesentlicher Bedeutung und eine nicht dem Gesetz entsprechende Antragstellung führe zur Abweisung des Antrages.
Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B 343/08-6, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Der vorliegende Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vom 1. April 2005, der vor dem Inkrafttreten des NAG gestellt wurde, war nach dem Inkrafttreten des NAG nach diesem Bundesgesetz (im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) zu beurteilen; ob nach dem Fremdengesetz 1997 die Stellung des Antrages im Inland zulässig gewesen ist, ist hiebei ohne Belang (vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 16. Oktober 2007, 2007/18/0389, mwN).
Ausgehend von den - unbestrittenen - Feststellungen im angefochtenen Bescheid, dass der Beschwerdeführer zuletzt im Besitz eines gültigen Wiedereinreisesichtvermerkes war, begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels um einen Erstantrag im Sinne des § 21 Abs. 1 NAG handelt, keinen Bedenken. Nach dieser Gesetzesbestimmung sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
Der Beschwerdeführer vertritt unter Berufung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. März 2008, B 16/08, die Ansicht, dass zur Wahrung des durch Art. 8 EMRK eingeräumten Rechts auf ein Privat- und Familienleben seine persönlichen Verhältnisse hinsichtlich Aufenthaltsdauer, Familie und Beschäftigung in Bezug auf das öffentliche Interesse auf ein geordnetes Fremdenwesen abzuwägen seien und eine solche Abwägung zweifellos ergebe, dass die Ausweisung des schon mehr als 18 Jahre im Bundesgebiet aufhältigen Beschwerdeführers unzulässig sei. Die belangte Behörde hätte in Berücksichtigung des seit März 1990 durchgehend bestehenden Aufenthaltes, des zufolge eingetretener Tilgung sämtlicher Strafen unbescholtenen Beschwerdeführers, der hier lebenden gesamten Familie, der rechtmäßigen Berufsausübung in Österreich und der desaströsen Lage in Nigeria die Zulassung der Inlandsantragstellung aus humanitären Gründen zwingend gewähren bzw. den begehrten Aufenthaltstitel erteilen müssen.
Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg.
Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK der Versagung einer Aufenthaltsbewilligung entgegensteht. Maßgeblich sind dabei unter anderem die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert; sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0592, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007, B 1150/07, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR).
Der belangten Behörde ist nun einerseits vorzuwerfen, dass sie bei der gegenständlichen Entscheidung nicht sämtliche nach der Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigenden Umstände - beispielsweise den durch den überaus langen durchgehenden inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet einhergehenden, in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 27. Februar 2007 betonten Verlust der Bindungen zum Heimatstaat sowie sein Studium an der Universität für Bodenkultur - miteinbezogen hat.
Andererseits vermag sich der Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung des seit 1990 währenden Aufenthalts des Beschwerdeführers, seines Familienlebens mit seiner Ehefrau und seinem Kind sowie seiner zahlreichen Beschäftigungsverhältnisse auf Basis eines gültigen Befreiungsscheines der Beurteilung der belangten Behörde im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller vom Beschwerdeführer geltend gemachten sozialen und beruflichen Bindungen nicht anzuschließen, er könne aus Art. 8 EMRK keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ableiten. Den zu Gunsten des Beschwerdeführers zu wertenden Umständen, wozu nach dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren auch das Bestehen enger familiärer Bindungen im Inland zu seinen die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Geschwistern zu zählen ist, deren Intensität die belangte Behörde allerdings nicht näher geprüft, aber auch nicht verneint hat, steht im vorliegenden Fall lediglich der über lange Zeit unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers gegenüber, dem aber bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine ausschlaggebende Bedeutung, die bei der Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen könnte, mehr zuzumessen ist.
Seit der Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen mit Bescheid vom 29. Mai 2005 war der Beschwerdeführer weitere 2,5 Jahre im Inland aufhältig, hat geheiratet und sein Kind wurde geboren.
Vor diesem Hintergrund kann fallbezogen nicht davon ausgegangen werden, eine besondere Berücksichtigungswürdigkeit im Sinne des § 72 Abs. 1 NAG sei nicht gegeben. Dann aber wäre die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen, weshalb die belangte Behörde die Bewilligung des vom Beschwerdeführer gestellten Antrages nicht nach § 21 Abs. 1 NAG hätte versagen dürfen.
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 18. Februar 2010
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