VwGH 2008/21/0625

VwGH2008/21/062527.5.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde von 1. K und

2. A, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Oktober 2007, Zl. St 266-267/07, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem FPG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §57 Abs1;
VwRallg;
AVG §57 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

Die Beschwerdeführerinnen haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin und ihre minderjährige Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, - beide sind russische Staatsangehörige - stellten nach ihrer illegalen Einreise nach Österreich am 16. Juli 2004 Asylanträge, die im Instanzenzug mit Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Dezember 2006 abgewiesen wurden. Unter einem wurde die Zulässigkeit der (insbesondere) Abschiebung der Beschwerdeführerinnen in ihren Herkunftsstaat festgestellt und die Ausweisung nach Russland verfügt. Den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Februar 2007 die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Dieser Beschluss wurde der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen am 16. Februar 2007 zugestellt, die hievon noch am selben Tag die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (BH) als zuständige Fremdenpolizeibehörde in Kenntnis setzte.

Mit dem - ohne Ermittlungsverfahren erlassenen und ausdrücklich auf § 57 AVG gestützten - Bescheid vom 19. Februar 2007 ordnete die BH sodann gemäß § 77 Abs. 1, 2 und 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) als gelinderes Mittel an, dass die Beschwerdeführerinnen an einer näher genannten Adresse Unterkunft zu nehmen und sich dort zur Verfügung der Fremdenpolizeibehörde zu halten hätten (Spruchpunkt 1.) und dass sie sich beginnend mit 26. Februar 2007 jeden Montag bei einer bestimmten Polizeiinspektion zu melden hätten (Spruchpunkt 2.).

In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass gegen diesen Bescheid binnen zwei Wochen schriftlich Vorstellung erhoben werden könne, die gemäß § 57 Abs. 2 AVG keine aufschiebende Wirkung habe.

Ungeachtet dessen brachten die Beschwerdeführerinnen mit Schriftsätzen vom 28. Februar 2007 nicht nur eine Vorstellung ein, sondern erhoben mit der Begründung, es liege in Wahrheit kein Mandatsbescheid vor, auch eine Berufung.

Im Hinblick auf die rechtzeitige Vorstellung leitete die BH am 13. März 2007 das Ermittlungsverfahren ein und gab den Beschwerdeführerinnen unter Vorhalt der maßgeblichen Rechtsvorschriften, des angenommenen Sachverhaltes und der im ordentlichen Verfahren geplanten Verfügung von gelinderen Mitteln die Gelegenheit, dazu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. Hierauf erstatteten sie durch ihre Rechtsvertreterin mit Schriftsatz vom 23. März 2007 eine ausführliche Stellungnahme.

In einem an die Erstbeschwerdeführerin gerichteten, der Rechtsvertreterin zugestellten und mit 15. Juni 2006 (richtig: 2007) datierten Schreiben der BH wurde sodann mitgeteilt, dass das "über" die Beschwerdeführerinnen mit Bescheid der BH vom 19. Februar 2007 angeordnete gelindere Mittel "sowie" die auferlegte Verpflichtung, sich im Rahmen des gelinderen Mittels bei der Polizeiinspektion M. wöchentlich zu melden, aufgehoben werde.

In der Folge wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) die Berufung gegen den Bescheid der BH vom 19. Februar 2007 mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 29. Oktober 2007 zurück.

Im tragenden Begründungsteil führte die belangte Behörde aus, man werde wohl davon ausgehen müssen, dass die Anordnung eines gelinderen Mittels - wie eine Ausweisung infolge Ausreise des Fremden - gegenstandslos werde, wenn der das gelindere Mittel anordnende Bescheid durch die Behörde behoben werde. Die gegenständliche Berufung richte sich aber gegen einen Bescheid, der mit Schreiben der BH vom 15. Juni 2007 aufgehoben worden sei, sodass sie auf Basis der im Entscheidungszeitpunkt "geltenden Sach- und Rechtslage" zurückzuweisen sei. Angesichts dessen könne dahingestellt bleiben, ob es sich im gegenständlichen Fall um einen Mandatsbescheid handle und die dagegen eingebrachte Berufung schon aus diesem Grund zurückzuweisen wäre.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführerinnen zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 29. September 2008, B 2363/07-6, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der erstinstanzliche Bescheid der BH wurde in formeller Hinsicht ausdrücklich auf § 57 AVG gestützt, der wie folgt lautet:

"§ 57. (1) Wenn es sich um die Vorschreibung von Geldleistungen nach einem gesetzlich, statutarisch oder tarifmäßig feststehenden Maßstab oder bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, ist die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen.

(2) Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.

(3) Die Behörde hat binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides schriftlich zu bestätigen."

Aus § 57 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass gegen einen Mandatsbescheid nur Vorstellung und keine Berufung erhoben werden kann. Demnach erwiese sich die von der belangten Behörde vorgenommene Berufungszurückweisung schon dann als gerechtfertigt, wenn der Bescheid der BH vom 19. Februar 2007 als Mandatsbescheid nach § 57 Abs. 1 AVG zu qualifizieren wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt in dem Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2006/11/0071, unter ausführlicher Bezugnahme auf seine Vorjudikatur jene Anhaltspunkte zusammengefasst, die für bzw. gegen das Vorliegen eines Mandatsbescheides sprechen können. Das sind die ausdrückliche Bezeichnung als Mandatsbescheid oder die Erwähnung des § 57 Abs. 1 AVG (im Spruch oder in der Begründung), Ausführungen (bzw. das Fehlen derselben) in der Begründung, weshalb das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Mandatsbescheides als gegeben erachtet werde, die Durchführung bzw. das Fehlen eines Ermittlungsverfahrens vor Bescheiderlassung, ein Hinweis darauf, dass der Bescheid ungeachtet der Einbringung eines Rechtsmittels vollstreckbar sei, das Vorliegen eines Ausspruchs nach § 64 Abs. 2 AVG, und nicht zuletzt auch das in der Rechtsmittelbelehrung genannte Rechtsmittel.

Im vorliegenden Fall sind mehrere der genannten Kriterien erfüllt. Zunächst wurde im Spruch des Bescheides § 57 Abs. 1 AVG ausdrücklich als Rechtsgrundlage genannt und der Bescheid wurde dem entsprechend ohne vorangegangenes Ermittlungsverfahren, insbesondere ohne Einräumung des Parteiengehörs an die Beschwerdeführerinnen, erlassen. Weiters befindet sich in der Rechtsmittelbelehrung nicht nur der Hinweis auf den Rechtsbehelf der Vorstellung sondern auch darauf, dass diesem keine aufschiebende Wirkung zukommt, also dass der Bescheid ungeachtet der Einbringung einer Vorstellung "vollstreckbar" sei. Entgegen der (aktenwidrigen) Wiedergabe im Spruch des angefochtenen Bescheides enthält der hier in Rede stehende Bescheid der BH keinen Ausspruch nach § 64 Abs. 2 AVG, über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Berufung

Demgegenüber kommt dem in der Berufung in den Vordergrund gerückten Kriterium, dass in der Begründung des Bescheides der BH ausdrückliche Ausführungen fehlen, weshalb das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Mandatsbescheides als gegeben erachtet wurde, nur untergeordnete Bedeutung zu; und zwar einerseits wegen des Überwiegens der anderen, zuvor genannten Kriterien, anderseits aber auch deshalb, weil die BH die nach § 57 Abs. 1 AVG verlangte Voraussetzung, dass es sich bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, offenbar schon im Hinblick auf das angenommene große Bedürfnis zur Sicherung der Abschiebung der Beschwerdeführerinnen, das eingehend begründet wurde, unterstellte.

Demzufolge konnte nicht zweifelhaft sein, dass die BH einen Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassen hat; dem entsprechend leitete sie auch nach fristgerechter Einbringung der Vorstellung (binnen zwei Wochen) das ordentliche Ermittlungsverfahren ein. Da gegen einen Mandatsbescheid eine Berufung unzulässig ist, steht die von der belangte Behörde mit dem bekämpften Bescheid vorgenommene Berufungszurückweisung somit jedenfalls im Einklang mit der Rechtslage.

Schon deshalb war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne dass es noch auf die Frage ankommt, ob das Schreiben der BH vom 15. Juni 2007 als ein die Anordnung des gelinderen Mittels aufhebender Bescheid zu qualifizieren ist.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und erfolgte im ausdrücklich verzeichneten Umfang.

Wien, am 27. Mai 2010

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