VwGH 2007/21/0523

VwGH2007/21/052321.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des Y, vertreten durch Dr. Peter Heigenhauser, Rechtsanwalt in 4820 Bad Ischl, Wiesingerstraße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 6. September 2007, Zl. VwSen-400901/7/BP/Wb/Hu, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §5;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §5;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft, auf Rechtswidrigerklärung der Verhängung der Schubhaft sowie seiner in der Zeit von 6. August 2007 bis 9. August 2007 erfolgten Anhaltung in Schubhaft gemäß §§ 82 Abs. 1, 83 Abs. 2 und Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) kostenpflichtig ab.

Begründend führte die belangte Behörde, die von der Richtigkeit des von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck angenommenen Sachverhalts ausging und der angefochtenen Entscheidung diesen Sachverhalt zu Grunde legte, aus, der Beschwerdeführer sei am 1. August 2007 unrechtmäßig von Polen kommend mit zwei Kindern in Österreich eingereist und habe am 2. August 2007 einen "Asylantrag" gestellt; er sei sohin Asylwerber. Infolge seines vorangegangenen Aufenthalts in Polen, den er im Rahmen seiner Erstbefragung selbst zugestanden habe, sowie mit Blick darauf, dass das Bundesasylamt seiner bereits früher am 30. Juli 2007 eingereisten Ehefrau mitgeteilt habe, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückweisen zu wollen, sei die belangte Behörde zu Recht im Sinn des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG davon ausgegangen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur inhaltlicher Prüfung desselben zurückgewiesen werde. Daran ändere auch nichts, dass der Beschwerdeführer "verschiedenste Fälle" anführe, in denen Österreich von einer Zurückweisung keinen Gebrauch gemacht habe. In einer Konstellation wie der vorliegenden sei im Regelfall vielmehr davon auszugehen, dass es zur Zurückweisung des Asylantrages kommen werde.

Bezugnehmend auf den Sicherungsbedarf führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe beträchtliche Ressourcen aufgewendet, um in einen für ihn wirtschaftlich attraktiven Staat der Europäischen Union gelangen zu können. Die "vorgebliche Befürchtung" auch in Polen verfolgt zu werden, erscheine völlig aus der Luft gegriffen. Dieser Umstand sei auch erst im Rahmen der (an die belangte Behörde gerichteten) Beschwerde angeführt worden. Bisherige - divergierende - Äußerungen zu den Fluchtgründen hätten sich überdies nicht als schlüssig dargestellt. "Ausschlaggebender dürfte da schon die Tatsache gewesen sein, dass" der Beschwerdeführer in Polen nur ein geringes Taschengeld erhalten habe und den Standard der Versorgung, "auch im Hinblick auf die bevorstehende Geburt seines Kindes als nicht angemessen" betrachtet habe. Dem Beschwerdeführer sei der Umstand der Abweisung seines Asylantrages in Polen bekannt gewesen und ebenso, dass "als Datum des Ablaufs der Aufenthaltsberechtigung in Polen der 31. Juli 2007 angesetzt" gewesen sei. Es sei "also aus Sicht des Beschwerdeführers erforderlich" gewesen, um einer Ausweisung in sein Heimatland zu entgehen, Polen zu verlassen. Sohin habe er bereits zu dieser Zeit bewiesen, dass er bereit sei, "sich fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen und den Abschluss eines Verfahrens nicht abzuwarten".

Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer einen Schlepperlohn "von immerhin" EUR 450,-- pro Person als "Eintrittspreis in einen wirtschaftlich attraktiven Staat der Europäischen Union" bezahlt habe. Wäre es ihm nur um die Erlangung von Asyl gegangen, "hätte wohl ein einfacher Grenzübertritt von Polen in die Tschechische Republik genügt, der zweifellos viel billiger gewesen wäre". Es stelle sich auch die Frage, weshalb der Beschwerdeführer, der vorbringe, der (gebotene) Standard der medizinischen Versorgung in Polen könne nur durch Aufwendung zusätzlicher Geldmittel erreicht werden, die für den Schlepperlohn aufgewendete Summe nicht für die Verbesserung der Versorgung seiner Gattin bei der Geburt eingesetzt und ihr und dem ungeborenen Kind die "gefährliche und beschwerliche Reise" nicht erspart habe. Vielmehr dürfte die Tatsache, dass "z.B. eine Schwester" des Beschwerdeführers in Österreich untergekommen sei, ausschlaggebend für die Wahl Österreichs als wirtschaftlich attraktives Zielland gewesen sein, zumal der Beschwerdeführer sich hier den gewünschten Lebensstandard erhoffe. Dabei habe er sein Ziel gerade ohne Rücksichtnahme auf seine hochschwangere Frau und seine drei minderjährigen Kinder verfolgt. Die strapazenreiche Reise wäre weder seiner Ehefrau noch einem Kleinkind zuzumuten gewesen. Die Inkaufnahme solcher Gefährdungen wiesen eindeutig darauf hin, dass "primär Zielland eben ein wirtschaftlich attraktives" gewesen sei. Bei der Beurteilung seien auch die "strategisch gut geplanten, getrennten und zeitversetzten Reisebewegungen der Familie" zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall sei daher von einem besonders hohen Sicherungsbedarf auszugehen, der auch nicht durch die Anwendung gelinderer Mittel gedeckt habe werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

Der Beschwerdeführer führt - erkennbar mit Blick auf das im Asylverfahren Österreich zur Verfügung stehende "Selbsteintrittsrecht" - aus, die Voraussetzungen der genannten Bestimmung des FPG lägen nicht vor, weil die Annahme, der Asylantrag würde mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden, "nicht zwingend zu einer Bescheiderlassung nach § 5 AsylG 2005" führen müsse. Entgegen dieser vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht muss aber zur Anwendbarkeit des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG schon nach dessen Wortlaut lediglich begründet angenommen werden können, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden wird. Endgültige Sicherheit über den im Asylverfahren zu erwartenden Verfahrensausgang muss für die Erfüllung des in § 76 Abs. 2 Z 4 FPG festgesetzten Tatbestandes nicht vorliegen. Angesichts des - unbestrittenen - vorangegangenen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Polen und der dort erfolgten Asylantragstellung begegnet die behördliche Ansicht, es sei die Annahme begründet, es werde zu einer Zurückweisung des in Österreich gestellten, auf Gewährung von internationalen Schutz abzielenden Antrages kommen, keinen Bedenken.

In erster Linie wendet sich der Beschwerdeführer aber ohnehin gegen die Annahme der belangten Behörde, in seinem Fall liege ein nur durch Schubhaft zu deckender Sicherungsbedarf vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zum hier relevanten Schubhaftgrund nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG bereits klargestellt, dass ungeachtet des Vorliegens des in dieser Bestimmung enthaltenen Tatbestandes die Inhaftierung eines asylsuchenden Fremden nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesem Verfahrensstadium ein "Untertauchen" befürchten lassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, 2006/21/0350, mwN). Für eine solche Befürchtung müssen vor allem aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare spezifische Hinweise bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233, mwN). Im vorliegenden Fall bestehen aber anhand der Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Zulässigkeit einer Schubhaftverhängung nach § 76 Abs. 2 (hier: Z 4) FPG maßgeblichen Beurteilungskriterien (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) erfüllt wären.

Im Übrigen durfte die belangten Behörde auf Grund der im Verwaltungsverfahren erstatteten sachverhaltsbezogenen widerstreitenden Vorbringen der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck einerseits und des Beschwerdeführers andererseits nicht davon ausgehen, der Sachverhalt wäre aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschienen. Gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG war sie sohin auch nicht berechtigt, von der Durchführung einer Verhandlung Abstand zu nehmen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

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