VwGH 2007/18/0398

VwGH2007/18/039823.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des N V in W, geboren 1950, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. Mai 2007, Zl. E1/76707/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VStG §5 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VStG §5 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 8. Mai 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 8 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben seit 1991 im Bundesgebiet aufhalte und für den Zeitraum vom 25. September 1993 bis 9. Jänner 1998 im Besitz eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" gewesen sei. Seit 10. Jänner 1998 verfüge der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel.

Laut einem Versicherungsdatenauszug "der österreichischen Sozialversicherung" sei der Beschwerdeführer in den Zeiträumen vom 8. September 1992 bis 20. Mai 1994, vom 16. Juni 1994 bis 28. August 1994, vom 6. September 1994 bis 30. September 1994, vom 19. Oktober 1994 bis 10. Februar 1995, vom 17. Februar 1995 bis 21. Juli 1995, vom 28. August 1995 bis 7. Februar 1996, vom 6. Mai 1996 bis 11. Oktober 1996, vom 10. Jänner 1997 bis 10. März 1997 und vom 9. April 1997 bis 31. Juli 1997 in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis gewesen bzw. er habe in diesen Zeiträumen Arbeitslosengeld bezogen.

Der Beschwerdeführer gehe seit 14. November 2005 einer Beschäftigung nach und habe am 21. Juli 2006 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt.

Am 31. Mai 2006 sei der Beschwerdeführer von Beamten des Fremdenpolizeilichen Büros der Bundespolizeidirektion Wien und des Zollamtes Wien im Lokal "E.V." in Wien 18 beim Abwaschen in der Küche des Betriebes betreten worden. Bei seiner Vernehmung habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er schon seit etwa einem Jahr - und zwar fünf Tage in der Woche für jeweils zwei Stunden - in diesem Lokal als Koch beschäftigt sei und EUR 541,-- im Monat verdiene.

In seiner Stellungnahme vom 21. August 2006 habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) zahlreiche Unterlagen "wegen Regulierung von unglücklichen Vorfall mit Zollbeamten" übermittelt habe und höflichst um Verständnis für das Missgeschick bitte.

In seiner Berufung vom 7. Februar 2007 mache der Beschwerdeführer geltend, dass er sich bereits seit 1991 im Bundesgebiet aufhalte. Im Jahr 1993 sei ihm die Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" ausgestellt worden. Seit diesem Zeitpunkt habe er regelmäßig gearbeitet. Zuletzt sei der Beschwerdeführer im "E.V." beschäftigt gewesen. Es sei ihm unverständlich, warum er seit 1998 keine Aufenthaltsbewilligung erhalten habe, zumal er immer einer laufenden Beschäftigung nachgegangen und auch in keiner Weise straffällig geworden sei. Der Beschwerdeführer habe sich vor über fünfzehn Jahren in Österreich niedergelassen. Seine ursprüngliche Familie sei mittlerweile verstorben. Er sei aus seiner Sicht einer legalen Beschäftigung nachgegangen, weil er immer ordnungsgemäß bei der Gebietskrankenkasse angemeldet gewesen sei. Er habe somit auch über den gesamten Zeitraum im Bundesgebiet (Steuern) bezahlt und sich eine Anwartschaft auf seine Pension gesichert. Er sei nunmehr zum ersten Mal beim Arbeitsmarktservice arbeitslos gemeldet.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen des § 60 Abs. 1, Abs. 2 Z. 8 und Abs. 5 FPG - im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer unbestritten bei der illegalen Ausübung einer Beschäftigung betreten worden sei, weil er weder über die dafür erforderlichen "arbeitsrechtlichen Bewilligungen" noch über einen entsprechenden Aufenthaltstitel verfügt habe. Aus diesem Grund sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 8 FPG erfüllt. Der Beschwerdeführer könne sich in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg auf einen "entschuldbaren Rechtsirrtum" berufen, weil es in seiner Verantwortung gelegen sei, sich die erforderliche Information über die im Inland geltende Rechtslage zu beschaffen.

Angesichts des dargestellten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers könne kein Zweifel daran bestehen, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung (hier: die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens sowie an der Wahrung des Arbeitsmarktes) im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG gefährde. Die Erlassung des Aufenthaltverbotes erweise sich somit als gerechtfertigt.

Aufgrund seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Ungeachtet dessen sei die vorliegende Maßnahme angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Arbeitsmarktes und der Verhinderung von Schwarzarbeit, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig.

Auch im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zwar auf den bisherigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen, gleichzeitig aber zu berücksichtigen, dass der daraus ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Diesen - solcherart geminderten - privaten Interessen des Beschwerdeführers stünden die genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen gegenüber. Bei der Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde auch keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt. Im Hinblick auf das dargestellte Fehlverhalten des Beschwerdeführers einerseits könne auch unter Bedachtnahme auf seine private Situation andererseits ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahmen gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 8 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG zu gelten, wenn ein Fremder von einem Organ der Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG, der regionalen Geschäftsstelle oder der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätte dürfen.

1.2. Die Beschwerde bestreitet nicht die Feststellungen im angefochtenen Bescheid, dass der Beschwerdeführer am 31. Mai 2006 von Beamten des Fremdenpolizeilichen Büros der Bundespolizeidirektion Wien und des Zollamtes Wien in der Küche des Lokals "E.V." beim Abwaschen betreten worden sei, ohne über eine entsprechende Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) verfügt zu haben. Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 8 FPG erfüllt sei, begegnet somit keinen Bedenken.

Aufgrund der unerlaubten Tätigkeit hat der Beschwerdeführer das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Arbeit, die gegen die Regelungen des AuslBG erbracht wird, erheblich beeinträchtigt. Im Hinblick darauf begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.

1.3. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang vorbringt, dass der Beschwerdeführer aus seiner subjektiven Sicht einer durchaus legalen Beschäftigung nachgegangen sei, weil er ordnungsgemäß bei der Gebietskrankenkasse angemeldet sei und auch Steuern bezahle, zeigt sie keinen Sachverhalt auf, der als "entschuldbarer Rechtsirrtum" anzusehen ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2003, Zl. 2000/09/0172, mwN), weil von einem eine Beschäftigung in Österreich aufnehmenden Fremden verlangt werden muss, sich mit den hiefür einschlägigen Rechtsnormen vertraut zu machen. Dabei genügt es auch nicht, sich auf die Auskunft des Arbeitgebers zu verlassen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0329, mwN). Daher geht auch das weitere Vorbringen in der Beschwerde - welchem allerdings bereits das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG) entgegensteht -, der Arbeitgeber habe dem Beschwerdeführer ausdrücklich die Auskunft erteilt, dass der Beschwerdeführer einer legalen Beschäftigung nachgehe, ins Leere.

2.1. Gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG vorgenommenen Interessenabwägung führt die Beschwerde im Wesentlichen ins Treffen, dass aufgrund des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in der Dauer von fünfzehn Jahren ein Aufenthaltsverbot nicht nur ein schwerwiegender Eingriff in sein Privatleben, sondern existenzvernichtend sei. Der Beschwerdeführer habe sich sein ganzes Leben in Österreich aufgebaut, wobei mittlerweile seine ursprüngliche Familie verstorben sei. Der Beschwerdeführer habe sich auch eine Anwartschaft auf seine Pension gesichert und sei nie straffällig geworden. Daher seien die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Weiterverbleib in Österreich jedenfalls höher zu bewerten als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes.

2.2. Die belangte Behörde hat im Rahmen ihrer Interessenabwägung gemäß § 66 FPG die aus der Dauer des Aufenthalts im Inland ableitbare Integration des Beschwerdeführers berücksichtigt. Überdies hat die belangte Behörde festgestellt, dass der Beschwerdeführer aufgrund eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" im Zeitraum vom 8. September 1992 bis 31. Juli 1997 in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen gewesen sei bzw. Arbeitslosengeld bezogen habe und seit 14. November 2005 wieder einer Beschäftigung nachgehe.

Der Beschwerdeführer war somit mehrere Jahre lang rechtmäßig in Österreich berufstätig. Wenngleich die aus der Aufenthaltsdauer und der Berufstätigkeit ableitbare Integration in ihrem Gewicht dadurch relativiert wird, dass der Aufenthalt aufgrund eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" nur bis 9. Jänner 1998 berechtigt war, kommt den privaten Interessen des Beschwerdeführers aufgrund der sehr langen Dauer des Aufenthalts und der Berufstätigkeit dennoch ein großes Gewicht zu (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0058).

Dem diesen privaten Interessen gegenüber stehenden öffentlichen Interesse an der Verhinderung von "Schwarzarbeit" kommt zwar ebenfalls ein großes Gewicht zu. Im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere darauf, dass gegen den Beschwerdeführer, dessen Aufenthalt der Fremdenpolizeibehörde nach Ausweis der Aktenlage immer bekannt war, erstmals mit Schreiben vom 26. Juni 2006 ein aufenthaltsbeendendes Verfahren eingeleitet worden ist, wird jedoch die Ansicht der belangten Behörde, das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008).

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Eine Kostenentscheidung hatte zu unterbleiben, weil der Beschwerdeführer keine Kosten verzeichnet hat.

Wien, am 23. März 2010

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