VwGH 2007/13/0143

VwGH2007/13/014317.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 19. Oktober 2007, Zl. RV/1867- W/07, betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: O in W, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13), zu Recht erkannt:

Normen

31971R1408 WanderarbeitnehmerV;
FamLAG 1967 §2;
FamLAG 1967 §3;
FamLAG 1967 §5 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV;
FamLAG 1967 §2;
FamLAG 1967 §3;
FamLAG 1967 §5 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte, eine syrische Staatsangehörige, ist mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Per 1. Dezember 2003 beantragte sie für das gemeinsame, am 29. Juni 2001 geborene Kind die Gewährung der Familienbeihilfe, was vom Finanzamt mit Bescheid vom 27. Jänner 2004, erlassen am 4. Februar 2004, abgewiesen wurde, weil ihr Ehemann in Deutschland beschäftigt sei.

Die dagegen erhobene Berufung der Mitbeteiligten wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 22. Februar 2006 als unbegründet ab. Sie begründete das im Wesentlichen damit, dass der Ehemann der Mitbeteiligten der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, unterstehe. Diese Verordnung besage, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe im Beschäftigungsland bestehe. Im gegenständlichen Fall sei der Arbeitgeber des Ehemannes der Mitbeteiligten in Deutschland; nach dem Prinzip des Beschäftigungslandes sei Deutschland hinsichtlich der Gewährung von Kindergeld zuständig.

Mit Erkenntnis vom 23. Mai 2007, 2006/13/0074, hob der Verwaltungsgerichtshof den genannten Bescheid vom 22. Februar 2006 über Beschwerde der Mitbeteiligten wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Seine zu diesem Ergebnis führenden Erwägungen lauteten - auszugsweise - wie folgt:

"Im vorliegenden Fall wird von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen, dass die (Mitbeteiligte) grundsätzlich die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) für den Bezug von Familienbeihilfe für ihre mj. Tochter erfüllt. Sie vertritt allerdings die Auffassung, dass Deutschland hinsichtlich der Gewährung von Kindergeld zuständig sei, weshalb der (Mitbeteiligten) kein Anspruch auf die beantragte Familienbeihilfe zukomme.

Richtig ist, dass es gegenständlich darauf ankommt, ob für die Tochter der (Mitbeteiligten) ausländische (konkret: deutsche) Ansprüche bestehen. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 4 FLAG, wonach kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder besteht, für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. ...

Ob Ansprüche in Deutschland in Betracht kommen, ist nach der auch im angefochtenen Bescheid angesprochenen Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (im Folgenden: VO) zu beurteilen. Dazu ist im gegebenen Zusammenhang einleitend festzuhalten, dass der Ehemann der (Mitbeteiligten) nach ihrem eigenen Vorbringen bei 'Siemens Deutschland' beschäftigt ist, weshalb er unzweifelhaft dem persönlichen Geltungsbereich dieser VO (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 lit. a) unterfällt.

Unter Titel II ('Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften') bestimmt Art. 13 Abs. 1 der VO, dass - vorbehaltlich hier nicht in Betracht kommender Sonderbestimmungen - Personen, für die diese VO gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

... Fallbezogen ist, dem unwidersprochenen Vorbringen der

(Mitbeteiligten) folgend, davon auszugehen, dass ihr bei 'Siemens

Deutschland' beschäftigter Ehemann ausschließlich in Saudi-

Arabien, Jordanien und Libyen arbeitet. ... Von daher gelangt man

... zur Maßgeblichkeit der deutschen Rechtsvorschriften bzw. zur

Zuständigkeit Deutschlands, was bedeutet, dass der Ehemann der

(Mitbeteiligten) nach dem hier einschlägigen, im 7. Kapitel

('Familienleistungen') des Titels III enthaltenen Art. 73 der VO

... für die gemeinsame Tochter mit der (Mitbeteiligten) in der

Weise Anspruch auf Familienleistungen nach deutschen Rechtsvorschriften hat, als ob sie (die Tochter) in Deutschland wohnen würde. ...

Ist nach dem bisher Gesagten nachgewiesen, dass der Auffassung der belangten Behörde entsprechend an die deutsche Rechtslage anzuknüpfen ist, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es gemäß dieser Rechtslage in der konkreten Situation des hier zu beurteilenden Falles auch tatsächlich zu äquivalenten deutschen Leistungen kommen kann. Die belangte Behörde hat dies offenkundig unterstellt und im Ergebnis die Auffassung vertreten, die tatsächliche Nichtgewährung entsprechender Leistungen sei allein darauf zurückzuführen, dass der Ehemann der (Mitbeteiligten) im deutschen Verfahren zur Geltendmachung des Kindergeldes die notwendigen Unterlagen nicht vorgelegt habe.

Träfe diese Auffassung zu, so könnte dem erkennbaren Standpunkt

der belangten Behörde, eine derartige Obliegenheitsverletzung sei

unbeachtlich, nicht widersprochen werden, weil der Fall dann nicht

anders zu beurteilen wäre als hätte der Ehemann die Antragstellung

in Deutschland überhaupt unterlassen ... Demgegenüber brachte die

(Mitbeteiligte) jedoch vor, dass ihrem Ehemann von vornherein kein

Anspruch auf Kindergeld nach den deutschen Vorschriften zukomme,

weil er in Deutschland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt

habe. ... Die belangte Behörde hätte daher ergänzende Ermittlungen

zur deutschen Rechtslage ... anstellen und klären müssen,

inwieweit dem Ehemann der (Mitbeteiligten) ausgehend von der zu Grunde gelegten konkreten Situation des Beschwerdefalles und unter Außerachtlassung allfälliger 'Antragsformalitäten' äquivalente deutsche Leistungen zustehen. ..."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2007 gab die belangte Behörde der Berufung der Mitbeteiligten im zweiten Rechtsgang Folge und hob den Bescheid des Finanzamtes vom 27. Jänner 2004 auf. Unter Bezugnahme auf eine Anfragebeantwortung durch die Familienkasse Deggendorf, Bundesagentur für Arbeit, führte sie aus, dass der Ehemann der Mitbeteiligten in Deutschland nicht beschäftigt und auch nicht einkommensteuerpflichtig sei, weshalb in Deutschland kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Der Mitbeteiligten stehe somit ab Juni 2001 die Familienbeihilfe zu.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Finanzamtes Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf, zu der die Mitbeteiligte eine mehrfach ergänzte Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde ging nunmehr - bezugnehmend auf die genannte Anfragebeantwortung durch die Familienkasse Deggendorf, Bundesagentur für Arbeit, und entgegen ihrer im Vorbescheid vom 22. Februar 2006 getroffenen Feststellung sowie entgegen dem Vorbringen der Mitbeteiligten - davon aus, dass der Ehemann der Mitbeteiligten in Deutschland nicht beschäftigt sei. Ob das für den hier zu beurteilenden Zeitraum (Juni 2001 bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides im Februar 2004; vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 18. November 2008, 2007/15/0067) der besagten deutschen Anfragebeantwortung, die zunächst den Zeitraum bis 31. Juli 2005 erwähnt und dann die Situation ab dem 1. August 2005 anspricht, tatsächlich - wie von der belangten Behörde angenommen - zu entnehmen ist, kann dahinstehen. Jedenfalls hat es die belangte Behörde verabsäumt, dieses Ermittlungsergebnis dem Finanzamt zur Kenntnis zu bringen und ihm dazu Gehör einzuräumen. Damit ist ihr einerseits ein Verfahrensfehler anzulasten, was andererseits bewirkt, dass das nunmehrige Vorbringen in der Amtsbeschwerde, nach den deutschen Rechtsvorschriften bestehe ein Anspruch auf Familienleistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz, weil der nach einer Auskunft der "Firma Siemens" in Deutschland beschäftigte Ehemann der Mitbeteiligten die dafür notwendigen Voraussetzungen erfülle, eine zulässige Neuerung darstellt. Träfe dieses, von der Mitbeteiligten nunmehr im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - durch Vorlage eines "Bescheides" der Familienkasse Passau vom 5. September 2008 über den Bezug von Kindergeld durch ihren Ehemann - im Ergebnis selbst bestätigte, Vorbringen zu, käme die Zuerkennung von (österreichischer) Familienbeihilfe an die Mitbeteiligte im hier fraglichen Zeitraum (siehe dazu oben) nicht in Betracht. Dass im eben erwähnten "Bescheid" vom 5. September 2008 der Kindergeldbezug unter Bedachtnahme auf (deutsche) Verjährungsvorschriften erst ab Jänner 2004 gewährt wird, wäre, wie der Vollständigkeit halber anzumerken ist, unter Bedachtnahme auf die Ausführungen im Vorerkenntnis vom 23. Mai 2007 über die Konsequenzen der Unterlassung einer Antragstellung in Deutschland ohne Belang.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 17. November 2010

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