VwGH 2009/21/0088

VwGH2009/21/008824.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der A, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Februar 2009, Zl. E1/46.870/2009, betreffend Anordnung des gelinderen Mittels, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, stellte nach ihrer illegalen Einreise ins Bundesgebiet am 6. August 2003 einen Asylantrag. Dieser wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Jänner 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen, außerdem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei. Mit Beschluss vom 28. Jänner 2005, Zl. 2004/01/0320, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der gegen den genannten Bescheid erhobenen Beschwerde ab.

In der Folge wies die Bundespolizeidirektion Wien die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus Österreich aus. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2006 gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien der gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid erhobenen Berufung keine Folge.

Am 8. August 2008 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 25. August 2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, sah jedoch von der Erlassung einer Ausweisung nach § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 ab. Dazu hielt das Bundesasylamt fest, dass die Beschwerdeführerin zusammen mit ihrem am 1. November 2005 geborenen Sohn wohne. Dessen Antrag auf internationalen Schutz sei letztlich vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. August 2008 "gemäß § 3, 8" abgewiesen worden. Unter Spruchpunkt III. dieses Erkenntnisses sei jedoch die vom Bundesasylamt noch ausgesprochene Ausweisung ersatzlos behoben worden. Somit habe die Ausweisung des minderjährigen Sohnes der Beschwerdeführerin zu unterbleiben. Weiter heißt es in diesem Bescheid vom 25. August 2008:

"Um das vom Gesetzgeber intendierte und verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis zu erzielen, hat eine Ausweisung von Ihnen nur im Rahmen eines nach § 34 AsylG zu führenden Familienverfahren im Asylverfahren zu erfolgen. Ihr minderjähriger Sohn ist somit nicht mehr als 'Asylwerber', sondern als 'Fremder' im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG anzusehen. Somit konnte auf das nähere Eingehen hinsichtlich Ihres angeführten Lebensgefährten und Vater Ihres

Kindes ... unterbleiben. Anzumerken ist hiezu, dass Ihr

Lebensgefährte ... einen Niederlassungsnachweis ... besitzt. Ihre

Angaben betreffend die privaten Interessen, die Sie mit Ihrem Aufenthalt in Österreich verbinden, werden somit als glaubwürdig erachtet."

Für den 28. Jänner 2009 wurde die Beschwerdeführerin zur Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, geladen. Dieser Ladung leistete sie Folge, wobei sie zur beabsichtigten Verhängung eines gelinderen Mittels einvernommen wurde.

Mit Bescheid vom 28. Jänner 2009 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 77 FPG in der Folge das gelindere Mittel zur Sicherung der Abschiebung der Beschwerdeführerin an; sie habe sich beginnend mit 29. Jänner 2009 jeden Tag bei einer namentlich genannten Polizeiinspektion zu melden.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) der gegen den genannten Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien erhobenen Berufung keine Folge.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Die belangte Behörde legte ihrem Bescheid zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Sohn im gemeinsamen Haushalt lebe; auch der Sohn halte sich unrechtmäßig in Österreich auf. Im Übrigen rechtfertigte sie ihre bestätigende Entscheidung wie folgt:

"Auf Grund der geradezu beharrlichen Weigerung der (Beschwerdeführerin), ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen, hat die Erstbehörde zu Recht das gelindere Mittel zur Sicherung ihrer Abschiebung angeordnet. Dies auch und insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich hierbei um einen verhältnismäßig geringen Eingriff in ihre durch Art 8 EMRK geschützten Rechte handelt. Hätte die Behörde Grund zur Annahme gehabt, dass die (Beschwerdeführerin) untertauchen hätte wollen, wäre das gelindere Mittel ohnedies nicht das geeignete Sicherungsinstrument gewesen."

Das Fehlen eines Sicherungsbedarfes schließt auch die Anwendung gelinderer Mittel aus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246, mwH.). Mit ihren eben wiedergegebenen Überlegungen vermag die belangte Behörde einen derartigen Sicherungsbedarf, der die Anordnung des gelinderen Mittels erforderlich mache, nicht darzutun. Insbesondere vermag sie nicht aufzuzeigen, welchem konkreten Bedürfnis (iS einer Effektuierung der Abschiebung) damit Rechnung getragen werden solle; dass ein - zu verhinderndes - "Untertauchen" der Beschwerdeführerin, die der Ladung für den 28. Jänner 2009 Folge geleistet hatte, angesichts ihrer familiären Situation (gemeinsamer Haushalt mit dem unstrittig zur Niederlassung in Österreich berechtigten Lebensgefährten und dem gemeinsamen dreijährigen Kind) nicht zu erwarten sei, hat die belangte Behörde selbst zum Ausdruck gebracht. Aus dem Hinweis auf die "beharrliche Weigerung", der sich aus der Ausweisung vom 2. Oktober 2006 ergebenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen, ist für sich betrachtet in diesem Zusammenhang aber nichts zu gewinnen. Schon im Hinblick darauf ist der dies verkennende Bescheid der belangten Behörde mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet, weshalb er - ohne dass näher darauf eingegangen werden müsste, ob die Ausweisung vom 2. Oktober 2006 infolge der seither verstrichenen Zeit und der mittlerweile ergangenen asylrechtlichen Entscheidungen wegen Änderung der Beurteilungsgrundlagen nach § 66 FPG allenfalls ihre Wirksamkeit verloren hat (vgl. sinngemäß zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2004, Zl. 2002/21/0065) - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. November 2009

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