VwGH 2009/18/0236

VwGH2009/18/02369.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des D T in W, geboren am 10. Juni 1978, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. März 2009, Zl. E1/55.345/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. März 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Rückkehrverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 14. Juni 2004 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe; der Antrag sei erstinstanzlich abgewiesen worden. Das diesbezügliche Berufungsverfahren sei noch anhängig.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24. November 2008 sei der Beschwerdeführer gemäß § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten, davon zwölf Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Dem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 22. September 2008 mit dem Chefkoch eines Lokals, in dem er den ersten Tag probeweise als Koch tätig gewesen sei, in eine Auseinandersetzung geraten sei. Nach Beschimpfungen habe der Beschwerdeführer schließlich zu einem Messer mit einer etwa 15 cm langen Klinge gegriffen, sei in die Küche "gestürmt" und habe den Chefkoch attackiert. Obwohl dieser versucht habe, sich zu schützen, habe der Beschwerdeführer mehrmals auf ihn eingestochen und ihm Verletzungen am Arm, eine Stichwunde in der rechten vorderen Bauchwand mit einem 10 cm in der Bauchdecke verlaufenden Stichkanal sowie eine Schnittwunde am rechten Ellbogen mit vollständiger Durchtrennung der Unterarmnerven zugefügt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass aufgrund dieses Urteils zweifelsfrei der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Tatbestand erfüllt sei, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Rückkehrverbotes - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 FPG - im Grunde des § 62 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage geschieden und für zwei Kinder, die in der Türkei lebten, sorgepflichtig. Bei einer Vernehmung am 1. Oktober 2008 habe der Beschwerdeführer hingegen angegeben, dass er ledig sei und keine Sorgepflichten habe. Familiäre Bindungen zu Österreich bestünden nicht.

Zwar sei angesichts aller Umstände von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen; dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit Dritter - dringend geboten sei. Wer sich - wie der Beschwerdeführer - aus offenbar geringfügigem Anlass zu einer derart schwerwiegenden Straftat hinreißen lasse, biete keine Gewähr für zukünftiges Wohlverhalten. Solcherart sei seine Straftat auch einer Relativierung nicht zugänglich. Das Vorbringen, wonach sein "Kontrahent" selbst bewaffnet gewesen sei, sei eine Behauptung, die durch das aktenkundige Gerichtsurteil nicht gedeckt sei. Die solcherart vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr sei für die öffentliche Ordnung und Sicherheit von solchem Gewicht, dass sich die Erlassung des Rückkehrverbotes zweifelsfrei als dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG erweise.

Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei jedoch zu bedenken, dass die einer jeglichen Integration zugrunde liegende soziale Komponente durch das strafbare Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert werde. Auch angesichts des Mangels jeglicher familiärer Bindungen zu Österreich sei das dem Beschwerdeführer insgesamt zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet kaum ausgeprägt, sei er doch lediglich aufgrund des gestellten Asylantrages zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt gewesen. Diesen keinesfalls schwerwiegenden privaten Interessen stehe das maßgebliche öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten und am Schutz der körperlichen Unversehrtheit Dritter entgegen. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen des Rückkehrverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und ihm fernbleibe. Die Erlassung des Rückkehrverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG als zulässig.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe keine Veranlassung bestanden, von der Erlassung des Rückkehrverbotes im Rahmen des der belangten Behörde zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Was die Gültigkeitsdauer des Rückkehrverbotes betreffe, so sei dieses "mit nunmehr zehn Jahren zu befristen". In Hinblick auf das dargelegte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers könne auch unter Bedachtnahme auf die aktenkundige Lebenssituation des Beschwerdeführers vor Ablauf dieser Frist (nicht) erwartet werden, dass die für die Erlassung des Rückkehrverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 16. Juni 2009, B 514/09, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Aufgrund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers ist der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FPG erfüllt.

2.1. Nach den in der Beschwerde nicht bestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist der Beschwerdeführer am 22. September 2008 mit dem Chefkoch eines Lokals, in dem der Beschwerdeführer den ersten Tag probeweise als Koch tätig war, in eine Auseinandersetzung geraten. Nach Beschimpfungen hat der Beschwerdeführer schließlich zu einem Messer mit einer etwa 15 cm langen Klinge gegriffen, ist in die Küche "gestürmt" und hat den Chefkoch attackiert. Obwohl der Chefkoch versucht hat, sich zu schützen, hat der Beschwerdeführer mehrmals auf ihn eingestochen und ihm Verletzungen am Arm, eine Stichwunde in der rechten vorderen Bauchwand mit einem 10 cm in der Bauchdecke verlaufenden Stichkanal sowie eine Schnittwunde am rechten Ellbogen mit vollständiger Durchtrennung der Unterarmnerven zugefügt.

2.2. In diesem Zusammenhang bringt die Beschwerde im Wesentlichen vor, dass der Beschwerdeführer bis auf diese eine Straftat, die er bereits "abgebüßt" habe, völlig unbescholten sei und die Tat aus einer "besonderen Gemütserregung" begangen habe. Die "dermaßen ungünstige Prognose der belangten Behörde" sei daher nicht gerechtfertigt.

2.3. Dieses Beschwerdevorbringen ist allerdings nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

In Anbetracht des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und des großen öffentlichen Interesses insbesondere an der Verhinderung von Gewaltkriminalität (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2008/18/0488) begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass für den Beschwerdeführer keine positive Prognose erstellt werden könne, keinem Einwand.

Der von der belangten Behörde zutreffend vorgenommenen Gefährdungsprognose steht auch der Umstand nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer zuvor noch nie verurteilt worden ist, zeigt doch sein Fehlverhalten deutlich seine Bereitschaft zur Gewaltanwendung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2004, Zl. 2001/18/0230, mwN).

3.1. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grunde des § 66 FPG und bringt dazu im Wesentlichen vor, dass der Beschwerdeführer sich bereits seit etwa fünf Jahren in Österreich aufhalte und sich in dieser Zeit einen ganz neuen Lebensmittelpunkt geschaffen habe. Die angefochtene Entscheidung sei dazu geeignet, den "in Österreich aufgebauten Lebensmittelpunkt" des Beschwerdeführers zu zerstören, und führe zum völligen Verlust der Existenzgrundlage des Beschwerdeführers. Dies bedeute einen erheblichen Eingriff in die Menschenrechte des Beschwerdeführers. Die Schwere dieses Eingriffs in die Menschenrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, weshalb die gebotene Interessenabwägung der belangten Behörde unzutreffend geblieben sei.

3.2. Auch mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Bei der im angefochtenen Bescheid vorgenommenen Interessenabwägung nach § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG (idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) hat die belangte Behörde die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers berücksichtigt.

Angesichts des oben wiedergegebenen massiven Fehlverhaltens des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde allerdings zutreffend die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Rückkehrverbotes vorlägen, scheint das Rückkehrverbot doch zur Erlassung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung von - weiteren - strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer, Schutz der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit Dritter) auch dann als dringend geboten, wenn man mit der Beschwerde davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer seit mehreren Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Österreich hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Februar 2009, Zl. 2007/18/0470, und vom 19. März 2009, Zl. 2009/18/0039, mwN).

Vor diesem Hintergrund kann auch das Ergebnis der von der belangten Behörde getroffenen Beurteilung, dass die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten hätten, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Zu Recht hat die belangte Behörde die aus dem bisherigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers resultierende Integration in ihrer sozialen Komponente durch sein strafbares Verhalten als erheblich gemindert angesehen. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich werden in ihrem Gewicht weiters dadurch deutlich gemindert, dass sein bisheriger Aufenthalt - wie erwähnt - nur aufgrund seiner Stellung als Asylwerber und der damit verbundenen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz rechtmäßig ist (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2009/18/0039, mwN).

3.3. Entgegen der Beschwerdeansicht wird mit dem Rückkehrverbot auch nicht darüber abgesprochen, dass der Beschwerdeführer abgeschoben werde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2008, Zl. 2008/18/0743, mwN).

4. Soweit die Beschwerde rügt, dass das Ermittlungsverfahren aufgrund der unterlassenen Beischaffung des Strafaktes unvollständig geblieben sei, wird damit bereits deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt, weil die Beschwerde nicht darlegt, welche Tatsachenfeststellungen sich aus welchen konkreten Aktenstücken ergeben sollen. Die Berufung auf einen Akt schlechthin stellt kein zulässiges Beweisanbot dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2006, Zl. 2005/18/0681, mwN).

5. Wenn die Beschwerde rügt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid nur sehr unvollständig bzw. unzureichend wiedergegeben worden sei, so ist dem zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde keine Umstände aufzeigt, die nach den obigen Ausführungen geeignet wären, einen anders lautenden Bescheid herbeizuführen. Die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels wird somit nicht aufgezeigt.

6. Schließlich ist auch der weitere Beschwerdevorwurf, der angefochtene Bescheid sei mangelhaft begründet, nicht berechtigt.

7. Für die belangte Behörde bestand auch - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - kein Grund, im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung des Rückkehrverbotes Abstand zu nehmen, sind doch keine besonderen Umstände erkennbar, welche die belangte Behörde dazu hätten veranlassen müssen, von ihrem Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.

8. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

9. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Wien, am 9. November 2009

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