VwGH 2008/22/0409

VwGH2008/22/040924.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der K, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 2007, Zl. 316.018/2-III/4/06, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §974;
NAG 2005 §11 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ABGB §974;
NAG 2005 §11 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, stellte am 28. Oktober 2005 durch ihren Rechtsvertreter beim Landeshauptmann von Wien einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" mit ihrem in Österreich lebenden Ehemann, einem kanadischen Staatsangehörigen. Dieser Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien - nach Wahrung des Parteiengehörs - mit Bescheid vom 11. Juli 2006 gemäß § 10 (richtig: 11) Abs. 2 Z. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG 2005, BGBl. I Nr. 100, mangels eines Rechtsanspruches auf eine Unterkunft abgewiesen.

Dagegen habe die Beschwerdeführerin am 28. Juli 2006 fristgerecht berufen und eine Wohnrechtsvereinbarung vorgelegt, welche zwischen ihrem Ehemann und ihrem Schwiegervater unterfertigt worden sei.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 82 Abs. 1 und § 11 Abs. 2 Z. 2 NAG aus, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin trotz mehrmaliger Aufforderung der Behörde erster Instanz, einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft vorzulegen, in den Stellungnahmen vom 30. Jänner und 19. Juni 2006 nur darauf hingewiesen habe, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in der Wohnung ihres Schwiegervaters wohnen könnten. Im Berufungsschreiben vom 28. Juli 2006 habe die Beschwerdeführerin als Nachweis eines Rechtsanspruches auf eine ortsübliche Unterkunft eine "Wohnrechtsvereinbarung" über die Wohnung in 1190 Wien, die von ihrem Ehemann und ihrem Schwiegervater unterfertigt worden sei, vorgelegt.

Diesbezüglich sei festzuhalten, dass eine "derartige Erklärung" bzw. interne Vereinbarung zwischen ihrem Ehemann und ihrem Schwiegervater in keiner Weise einen Nachweis eines Rechtsanspruches auf eine Unterkunft, die für eine vergleichbare Familie als ortsüblich angesehen werde (insbesondere Miet- oder Untermietvertrag, bestandrechtlicher Vorvertrag oder Eigentumsnachweis), darstelle. Mit der (auf einem familienrechtlichen Verhältnis gründenden) prekaristischen Mitbenützung einer Wohnung - wie im konkreten Fall - könne das gesetzliche Erfordernis einer ortsüblichen Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht erfüllt werden, sei doch für das Prekarium die Möglichkeit des jederzeitigen willkürlichen Widerrufs essentiell.

Die Parteien seien verpflichtet, "an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken", andernfalls handle die Behörde im Allgemeinen nicht rechtswidrig, wenn sie weitere Erhebungen unterlasse.

Im Hinblick auf § 11 Abs. 3 NAG habe die belangte Behörde festgestellt, dass durch den Aufenthalt des Ehemannes der Beschwerdeführerin und ihres Schwiegervaters im Bundesgebiet familiäre Bindungen in Österreich bestünden. Da es sich jedoch um einen Erstantrag handle und mangels Aufenthaltsrechts für Österreich noch kein Privat- oder Familienleben geführt werde, könne im vorliegenden Fall auch nicht von einer Aufrechterhaltung eines Privat- oder Familienlebens gesprochen werden.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestehe in seiner Judikatur einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zu. Art. 8 EMRK umfasse nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben und beinhalte auch nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Des Weiteren bestehe laut EGMR nicht die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen.

Der Antrag der Beschwerdeführerin sei somit abzuweisen, da der Rechtsanspruch auf eine Unterkunft im NAG eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstelle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 2 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbare Familie als ortsüblich angesehen wird. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z. 2 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.

Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid, wonach die vorgelegte "Wohnrechtsvereinbarung" kein geeigneter Nachweis eines Rechtsanspruches auf eine ortsübliche Unterkunft sei, und bringt vor, die Vereinbarung lege wechselseitig verbindliche Rechte und Pflichten fest und sei damit ein zweiseitig verbindlicher Vertrag, der einen Rechtsanspruch im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 2 NAG begründe. Eine jederzeitige Widerrufsmöglichkeit sei ausdrücklich ausgeschlossen, indem eine Auflösung nur aus wichtigen Gründen zulässig sei und darüber hinaus eine Aufkündigung nur unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Letzten eines Monats gerichtlich erfolgen dürfe. Die Annahme der belangten Behörde, es handle sich um eine prekaristische Mitbenützung, sei daher rechtlich verfehlt. Ein privatrechtliches Mitbenützungsrecht könne sich auch aus einem Untermietvertrag oder aus familienrechtlichen Vorschriften ergeben. Auch eine unentgeltliche Mitbenützung der Wohnung des Vaters sowie generelle Benützungsrechte auf Grund familienrechtlicher Titel würden laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den inhaltsgleichen Bestimmungen des FrG 1997 als ausreichend angesehen.

Damit ist die Beschwerde im Recht. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde in ihrem Bescheid davon ausgeht, dass die vorgelegte "Wohnrechtsvereinbarung" das für ein Prekarium im Sinne des § 974 ABGB essentielle Erfordernis einer jederzeit willkürlichen Widerrufsmöglichkeit erfülle, obwohl unter "II) Mitbenützungsdauer" eine gerichtliche Kündigung unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Letzten eines Monats und nur aus wichtigen Kündigungsgründen vorgesehen ist.

Schließlich spricht auch die ausdrückliche Bezeichnung der Vereinbarung zwischen dem Ehemann der Beschwerdeführerin und seinem Vater als "Wohnrechtsvereinbarung" gegen die Annahme, es liege ein Prekarium im Sinn des § 974 ABGB vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Mai 2000, Zl. 99/19/0046, zu der inhaltsgleichen Bestimmung des FrG 1997).

Da somit die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Februar 2009

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