Normen
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62007CO0551 Sahin VORAB;
62008CJ0127 Metock VORAB;
B-VG Art18 Abs1;
EURallg;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §24;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z3;
VwRallg;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62007CO0551 Sahin VORAB;
62008CJ0127 Metock VORAB;
B-VG Art18 Abs1;
EURallg;
FremdenG 1997;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §24;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z3;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das auf Aufwandersatz gerichtete Begehren der belangten Behörde wird abgewiesen.
Begründung
Die Mitbeteiligte, eine russische Staatsangehörige, ist seit dem 31. August 2005 mit dem deutschen Staatsangehörigen X. verheiratet. Sie unterhielt mit ihm und ihrer am 9. Dezember 2000 geborenen Tochter in P (Deutschland) einen Wohnsitz, wo ihr eine befristete (deutsche) Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis zum 31. August 2008 erteilt worden war.
Am Freitag, dem 1. Februar 2008, begleitete die Mitbeteiligte ihren Ehemann X. auf einer Reise nach Österreich, wo sie in einer Diskothek in I einmal als Tänzerin auftrat. Aus eigenem Antrieb sprach sie am Montag, dem 4. Februar 2008, ohne zwischendurch neuerlich (als Tänzerin) aufgetreten zu sein, bei der Bezirkshauptmannschaft Landeck zwecks polizeilicher Anmeldung und Abklärung der Zulässigkeit von weiteren Auftritten, welche von der genannten Behörde ihr gegenüber verneint wurde, vor.
Mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 4. Februar 2008 wies die Bezirkshauptmannschaft Landeck die Mitbeteiligte gemäß den §§ 53 Abs. 1, 66 und 67 des Fremdenpolizeigesetzes - FPG aus dem Bundesgebiet aus. Die Mitbeteiligte reiste daraufhin noch am selben Tag von Österreich in die Bundesrepublik Deutschland aus.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2008 erließ die Bezirkshauptmannschaft Landeck daraufhin gegenüber der Mitbeteiligten folgendes:
"Straferkenntnis
1. Die Beschuldigte hat sich von 01.02.2008 bis 04.02.2008 nicht rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten, da sie zur Ausübung einer Beschäftigung keine von einer österreichischen Behörde erteilte Aufenthaltsberechtigung besessen hat.
Die Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1. § 31 Abs. 1 iVm § 24 und 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG).
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wird über sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe von Euro | falls diese uneinbringlich ist,Ersatzfreiheitsstrafe von | Freiheitsstrafe von | Gemäß |
1. 120,00 | 30 Stunden |
..."
Begründend stellte die Bezirkshauptmannschaft fest, die Mitbeteiligte sei "mit der Absicht, eine kurzfristige Beschäftigung ausüben zu wollen, in das Bundesgebiet eingereist" und habe am 1. Februar 2008 die Arbeit als Tänzerin in einem Table Dance Lokal in I aufgenommen. Sie sei nicht im Besitz einer von einer österreichischen Behörde ausgestellten Aufenthaltsberechtigung, die für die Ausübung einer vorübergehenden (selbständigen oder unselbständigen) Beschäftigung notwendig sei. Hieraus folge die Verwirklichung des genannten Straftatbestandes.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. April 2008 gab die belangte Behörde einer von der Mitbeteiligten dagegen erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG Folge, behob den genannten Bescheid vom 6. Februar 2008 und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG ein.
In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde nach auszugsweiser Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage ergänzend fest, die Mitbeteiligte habe am 1. Februar 2008 mit dem Geschäftsführer der Diskothek "I" in I vereinbart, sie werde in seinem Betrieb als selbständige Tänzerin, also als Künstlerin, auftreten. Dafür sei ihr Gage zugesichert und ihr eine Unterkunft in K zur Verfügung gestellt worden. Nachfolgend sei sie noch am Freitag, dem 1. Februar 2008, aufgetreten.
Rechtlich verwies die belangte Behörde zunächst auf § 31 Abs. 1 Z. 3 FPG, wonach sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels seien. Dies treffe auf die Mitbeteiligte zu, der vom Landesratsamt Ostallgäu (Deutschland) der Aufenthaltstitel "Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz", gültig bis zum 31. August 2008, ausgestellt worden sei.
Gemäß Art. 23 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, seien Familienangehörige eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger aufzunehmen. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 FPG unterlägen begünstigte Drittstaatsangehörige wie die Mitbeteiligte für den Fall, dass sie nicht einem Unionsbürger, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehme, nachziehen bzw. folgen, "der dort zitierten Beschränkung". Aus diesem Grund sei das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Strafverfahren einzustellen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres, die geltend macht, der Aufenthalt der Mitbeteiligten sei im Zeitraum vom 3. bis zum 4. Februar 2008 unrechtmäßig gewesen, sodass ihre Bestrafung wegen nicht rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG insoweit zu Recht erfolgt sei.
Über diese Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage sowie Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die Mitbeteiligte in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 2 Abs. 4 Z. 11, 16 und 17 FPG lautet:
"Begriffsbestimmungen
§ 2. ...
(4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist
...
11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;
...
16. eine bloß vorübergehende selbständige Erwerbstätigkeit:
eine solche, die innerhalb von zwölf Monaten nicht länger als sechs Monate ausgeübt wird, bei der ein Wohnsitz im Drittstaat aufrecht erhalten wird, der weiterhin den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet, und bei der es sich um keinen Fall der Pflichtversicherung des § 2 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG), BGBl. Nr. 560/1978, handelt;
17. eine bloß vorübergehende unselbständige Tätigkeit: eine solche, bei der eine Berechtigung oder sonstige Bestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer sechs Monate nicht übersteigenden Gültigkeit vorhanden ist oder innerhalb von zwölf Monaten nicht länger als sechs Monate eine Tätigkeit aufgrund einer Ausnahme nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1975 mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, (§ 1 Abs. 2 und 4 AuslBG) ausgeübt wird."
Die Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 76) führt zu § 2 FPG auszugsweise Folgendes aus:
"Die Definition einer bloß vorübergehenden selbständigen Erwerbstätigkeit (Abs. 4 Z. 16) und einer bloß vorübergehenden unselbständigen Tätigkeit (Abs. 4 Z 17) sind dahingehend erforderlich, weil dies jene Gruppen von ausländischen Arbeitnehmern sind, die nicht in das Regelungsregime des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes fallen. Für diese Gruppe ist die Öffnung des Visums D+C anstatt der Ausstellung einer Vignette vorgesehen (§ 24 Abs. 1), um im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben im Bereich Erkennungsdienst im Visawesen die erkennungsdienstliche Behandlung sicherzustellen."
§ 31 Abs. 1 Z. 3 FPG lautet:
"Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet
§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
...
3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;"
Die Regierungsvorlage (952 BlgNR 22. GP 89) kommentiert diese Bestimmung wie folgt:
"Zu § 31:
Neben geringfügigen terminologischen aber auch inhaltlichen Adaptierungen bestehen die Änderungen im Wesentlichen in der Normierung einer abschließenden Fallkonstellation des rechtmäßigen Aufenthaltes.
Damit der nachfolgende Aufenthalt rechtmäßig ist, muss die Einreise formell und materiell rechtmäßig erfolgen. Diese Voraussetzungen liegen nur dann vor, wenn der Fremde sowohl der Pass- und der Sichtvermerkspflicht in dem für ihn bestehenden Umfang tatsächlich genügt, als auch die Grenzkontrolle nicht umgeht."
§ 85 Abs. 1 FPG lautet:
"Begünstigte Drittstaatsangehörige
§ 85. (1) Begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 11) haben das Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von drei Monaten, unterliegen aber der Sichtvermerkspflicht. § 21 Abs. 8 gilt. Darüber hinaus besteht ein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des 4. Hauptstückes des 2. Teiles des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes. Inhaber von Daueraufenthaltskarten (§ 54 NAG) sind zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt."
§ 120 Abs. 1 Z. 2 FPG enthält folgende Anordnung:
"Unbefugter Aufenthalt
§ 120. (1) Wer als Fremder
- 1. ...
- 2. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. ..."
Zunächst ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Wortfolge "begleitet oder ihm nachzieht", an die § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG (u.a.) die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger knüpft, ebenso auszulegen ist wie dieselbe, in der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Amtsblatt L 158/77), in mehreren Bestimmungen enthaltene Wendung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2009/21/0027).
Aus der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Auslegung der Richtlinienbestimmung des Begleitens oder Nachziehens (vgl. etwa den Beschluss vom 19. Dezember 2008, C-551/07 , Sahin, unter Bezugnahme auf das Urteil vom 25. Juli 2008, C-127/08 , Metock u.a.) ist die Maßgeblichkeit eines gemeinsamen Aufenthaltes des EWR-Bürgers und seines Angehörigen im Aufnahmemitgliedstaat für die Begründung von sich aus der Richtlinie ergebenden Berechtigungen abzuleiten.
Wenn somit auch die Stellung der Mitbeteiligten als begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 4 Z. 11 FPG) und damit ihr Aufenthaltsrecht gemäß § 85 Abs. 1 FPG fallbezogen nach der (in der Beschwerde mit 3. Februar 2008 angesetzten) Wiederausreise ihres Ehegatten geendet hatte, stand ihr dennoch - infolge des im Beschwerdezeitraum unstrittig aufrechten deutschen Aufenthaltstitels - gemäß § 31 Abs. 1 Z. 3 FPG grundsätzlich das Recht zum weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu. Während dieses Aufenthalts hat die Beschwerdeführerin unstrittig keine weiteren Tanzauftritte absolviert. Davon abgesehen enthält der allgemein gehaltene Wortlaut des § 31 Abs. 1 Z. 3 FPG anders als die Z. 1 dieser Bestimmung keinerlei Einschränkung (insofern anders die Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997). Das mag einer Interpretation im Sinn der Überlegungen der Amtsbeschwerde, die Rechtmäßigkeit des inländischen Aufenthaltes verlange im Fall von Erwerbstätigkeit dessen ungeachtet eine Bewilligung nach § 24 FPG, nicht entgegenstehen. Eine Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts kommt aber jedenfalls im Hinblick auf das Gebot der eindeutigen Determinierung von Straftatbeständen (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1988, Slg. 11.938, und vom 20. Juni 1994, Slg. 13.785; ebenso das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2008, Zl. 2004/17/0228) nicht in Betracht.
Die Amtsbeschwerde erweist sich somit schon aus diesen Überlegungen als unbegründet und war daher, ohne dass auf die im Strafbescheid vom 6. Februar 2008 erfolgte Art der Darstellung des strafbaren Verhaltens eingegangen werden musste, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Der belangten Behörde gebührte gemäß § 47 Abs. 4 VwGG infolge Vorliegens einer Amtsbeschwerde kein Aufwandersatz.
Wien, am 24. November 2009
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