VwGH 2008/21/0279

VwGH2008/21/027922.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, in der Beschwerdesache des E, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Juni 2007, Zl. 147.101/3- III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, den Beschluss gefasst:

Normen

FrG 1997 §10 Abs4;
MRK Art8;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwRallg;
FrG 1997 §10 Abs4;
MRK Art8;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, im Inland am 27. Juni 2006 gestellten Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung eingewendet, dass das ihn betreffende Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei und der unabhängige Bundesasylsenat die Zulässigkeit einer Ausweisung verneint habe, weil eine solche im Falle des Beschwerdeführers Art. 8 EMRK widersprechen würde. Sonst enthalte der Antrag "keine Behauptung humanitärer Gründe". Die Entscheidung des Bundesasylamtes, wonach der Asylantrag abgewiesen und womit festgestellt worden sei, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei, sei jedoch in Rechtskraft erwachsen. Somit stehe fest, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei. Die diesbezügliche Prüfung habe bereits im Asylverfahren stattgefunden.

§ 21 Abs. 1 NAG, wonach Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet im Ausland zu stellen und deren Erledigung im Ausland abzuwarten sei, entspreche im Wesentlichen dem Inhalt der Vorläuferbestimmungen des § 6 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz und des § 14 Abs. 2 Fremdengesetz 1997. Bei Erlassung dieser Bestimmungen habe der Gesetzgeber auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller bereits Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Da dem Gesetzgeber des NAG nicht zu unterstellen sei, dass die Beweggründe zur Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG einen anderen Hintergrund hätten als jene der Vorgängerbestimmungen, sei davon auszugehen, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, und zwar auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Mit Schreiben vom 5. November 2009 teilte die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof mit, dass dem Beschwerdeführer mittlerweile eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gemäß § 43 Abs. 2 NAG, gültig von 29. September 2009 bis 28. September 2010, erteilt worden sei.

Der Beschwerdeführer, dem Gelegenheit gegeben wurde, sich zu dieser Mitteilung zu äußern, bestätigte in seiner Stellungnahme vom 25. November 2009 die Erteilung der erwähnten Niederlassungsbewilligung und führte dazu aus, "daher klaglos gestellt" zu sein.

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde. Dies ist nicht auf Fälle der formellen Klaglosstellung (durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides) beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt vielmehr auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung hat (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 30. April 2009, Zl. 2008/21/0326, und vom 18. Juni 2009, Zl. 2008/22/0029).

Diese Voraussetzung ist im Beschwerdefall gegeben, weil dem Beschwerdeführer nunmehr auf Grund eines von ihm gestellten Antrages eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde und er auch sonst keine Gründe für ein fortdauerndes rechtliches Interesse ins Treffen geführt hat. Die Beschwerde war daher gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Bei der nach § 58 Abs. 2 VwGG hinsichtlich der Frage des Aufwandersatzes vorzunehmenden Beurteilung war darauf Bedacht zu nehmen, dass die Beschwerde erfolgreich gewesen wäre.

Vorauszuschicken ist, dass der gegenständliche Fall mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anhand der Rechtslage des NAG vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 zu beurteilen ist. Im vorliegenden Fall kommt das Recht, die Entscheidung über den vom Beschwerdeführer gestellten Erstantrag in Österreich abwarten zu dürfen, nur gemäß § 74 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht (vgl. statt vieler etwa das hg. Erkenntnis vom 22. September 2009, Zl. 2008/22/0106, mwN). Das gilt sinngemäß auch für die Frage der ausnahmsweisen Zulassung der Inlandsantragstellung nach § 74 NAG (vgl. idS etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0592).

In Verkennung dieser Rechtslage lehnte die belangte Behörde, indem sie davon ausging, dass das Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei, und obwohl der Beschwerdeführer ausdrücklich vorbrachte, bereits der unabhängige Bundesasylsenat habe die Zulässigkeit einer Ausweisung aus dem Grund des Art. 8 EMRK verneint, die Vornahme der vom Gesetz geforderten Beurteilung, ob (ausnahmsweise) ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht (und dann demgemäß auch die Inlandsantagstellung zuzulassen ist), in rechtswidriger Weise von vornherein ab, und traf infolge der von ihr rechtsirrig vertretenen Ansicht auch keine Feststellungen zu jenen Umständen, die diese Beurteilung ermöglicht hätten. Dies wäre aber schon deshalb geboten gewesen, weil der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, dass aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren eine Verknüpfung folgt, welche das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im Ausweisungsverfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung - jedenfalls bei gleichgebliebenen Umständen - als relevant erscheinen lässt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2009, Zl. 2009/22/0113, mwH).

Da sohin im Falle einer inhaltlichen Entscheidung der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben gewesen wäre, war dem Beschwerdeführer der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Aufwandersatzverordnung 2008 vorgesehene Ersatz der Aufwendungen zuzusprechen.

Wien, am 22. Dezember 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte