VwGH 2008/13/0159

VwGH2008/13/015927.1.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, in der Beschwerdesache des W in L, vertreten durch Martin Friedl, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen den unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Wien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2002 bis 2004, den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §250 Abs1 lita;
BAO §303 Abs4;
BAO §307;
VwGG §27;
VwGG §34 Abs1;
BAO §250 Abs1 lita;
BAO §303 Abs4;
BAO §307;
VwGG §27;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

In der am 8. August 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, der Beschwerdeführer habe am 15. Februar 2006 gegen die Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 vom 6. Februar 2006 Berufung eingebracht, die bislang unerledigt sei. Er sei daher durch die mehr als sechs Monate andauernde Untätigkeit der belangten Behörde in seinem Recht auf Sachentscheidung verletzt.

Der Beschwerdeführer habe in den Jahren 2002 bis 2004 als praktischer Arzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt. Nach Abschluss einer im Zeitraum vom 11. Juli 2005 bis zum 14. Dezember 2005 durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 2002 bis 2004 habe das Finanzamt mit Bescheiden vom 6. Februar 2006 die Veranlagungsverfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2004 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder aufgenommen und mit diesen Bescheiden gemäß § 307 Abs. 1 BAO die die wieder aufgenommenen Verfahren abschließenden Sachentscheidungen verbunden. Dagegen habe der Beschwerdeführer am 15. Februar 2006 Berufung erhoben. Während die Berufung hinsichtlich der Wiederaufnahmebescheide von der belangten Behörde mit der Berufungsentscheidung vom 14. April 2008, RV/0995-W/06, erledigt worden sei (diesbezüglich sei vor dem Verwaltungsgerichtshof auch ein Bescheidbeschwerdeverfahren zu der Zl. 2008/13/0105 anhängig), sei das Rechtsmittel hinsichtlich der neuen Sachentscheidungen nach wie vor unerledigt. Deshalb habe sich der Beschwerdeführer am 13. Juni 2008 des Rechtsbehelfs der Vorlageerinnerung an die belangte Behörde bedient und darin vorgebracht, dass seit der Erhebung der Berufung am 15. Februar 2006 28 Monate verstrichen seien, sodass Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden könne. Der "Grund für die Untätigkeit des Finanzamtes" sei offenbar einem Aktenvermerk vom 23. Februar 2006 zu entnehmen, aus dem hervorgehe, dass sich nach Ansicht des Finanzamtes die Berufung vom 15. Februar 2006 nur gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer, nicht jedoch gegen die Sachbescheide gerichtet habe.

Zur Eingabe vom 13. Juni 2008 habe die belangte Behörde in einem formlosen Schreiben vom 20. Juni 2008 mitgeteilt, dass sie nicht die Ansicht des Beschwerdeführers teile, dass der beim Finanzamt am 15. Februar 2006 eingereichte Schriftsatz "(auch) eine Berufung gegen die Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 darstelle, weil sich diese Berufung zweifelsfrei ausschließlich gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens richte, sodass, mangels Vorhandenseins einer Berufung, der Vorlageantrag ins Leere gehe und daher keine Berufungserledigung in dieser Sache ergehen könne".

Innerhalb der "Beschwerdegründe" wird in der Säumnisbeschwerde ausgeführt, der von der belangten Behörde vertretenen Meinung, die Berufung vom 15. Februar 2006 sei nicht als gegen die Sachbescheide gerichtet anzusehen, "obwohl der Beschwerdeführer die 'Nullfestsetzung der Einkommensteuer 2001- 2004, Umsatzsteuer 2002-2004' beantragt hat", sei entgegenzuhalten, dass dies eine bewusste "Missachtung des mit dem Anbringen Gewollten" sei. Bestünden Zweifel am Vorbringen einer Partei, sei es außerdem Aufgabe der Behörde, den Gegenstand des Anbringens von Amts wegen zu ermitteln. Entscheidend sei das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteienschrittes und bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten sei es auch unzulässig, entgegen dem erkennbar erklärten Willen der Partei "ihrem Begehren eine Bedeutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar geschlossen werden kann".

Nach Ausführungen zur "Relevanz der Prüfungsfeststellungen (den Abweichungen gegenüber den aufgehobenen Sachbescheiden)" wird in der Säumnisbeschwerde abschließend festgehalten, dass sich daraus insgesamt ergebe, dass "keine der 'Feststellungen' der Prüferin zu einer Änderung der bisherigen Einkommen- und Umsatzsteuerbemessungsgrundlagen für die Jahre 2002 bis 2004" hätte führen können. Der vom Beschwerdeführer in der Berufung vom 15. Februar 2006 gestellte Antrag, auf "Nullfestsetzung der Einkommensteuer 2001-2002, Umsatzsteuer 2002-2004", sei daher "klarerweise so aufzufassen, dass er damit die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide beantragt hat".

Vor Einleitung eines Vorverfahrens nach § 35 Abs. 3 VwGG forderte der Verwaltungsgerichtshof die belangte Behörde mit Verfügung vom 22. September 2008, 2008/13/0159-2, auf, zu der in der Säumnisbeschwerde angesprochenen Frage der Verletzung der Entscheidungspflicht (Vorliegen einer Berufung gegen die Sachbescheide Umsatz- und Einkommensteuer 2002 bis 2004) Stellung zu nehmen.

In der Stellungnahme vom 6. Oktober 2008 hielt die belangte Behörde fest, dass das Finanzamt mit Datum 6. Februar 2006 Bescheide über die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2002 bis 2004 sowie im wieder aufgenommenen Verfahren neue Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 erlassen habe. Gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens habe der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 15. Februar 2006 Berufung erhoben. Diese Berufung habe das Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 3. März 2006 abgewiesen. Am 13. April 2006 habe der Beschwerdeführer die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragt und mit Schreiben vom 24. Mai 2006 den Vorlageantrag ergänzt. Die belangte Behörde habe über die Berufung vom 15. Februar 2006 mit Berufungsentscheidung vom 14. April 2008 entschieden, wobei die dagegen erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 2008/13/0105 anhängig sei.

Der Meinung des Beschwerdeführers, er habe mit dem Schriftsatz vom 15. Februar 2006 auch gegen die im wieder aufgenommenen Verfahren ergangenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 Berufung erhoben, könne sich die belangte Behörde nicht anschließen. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieses Schreibens - "Betreff:

1.) Berufung gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 (4) BAO Einkommensteuer 2001-2004 und Umsatzsteuer 2002-2004" - liege ausschließlich eine Berufung gegen die Wiederaufnahmsbescheide vor. Auch die Begründung der Berufung, wegen der Befangenheit des Prüfungsorganes seien die Prüfungsfeststellungen nicht relevant und es fehle der Wiederaufnahme somit die Rechtsgrundlage, beziehe sich ausschließlich auf die Wiederaufnahmsbescheide. Dass der Berufungsantrag auf "Nullfestsetzung der Umsatz- und Einkommensteuer bzw. Aufhebung der Wiederaufnahmsbescheide" laute, zwinge schon wegen der dem § 250 Abs. 1 lit. a BAO entsprechenden klaren und deutlichen Bezeichnung des Anfechtungsgegenstandes und der damit korrespondierenden Berufungsbegründung zu keiner anderen Interpretation. Zudem stehe ein solcher Antrag durchaus im Einklang mit einer Berufung gegen die Wiederaufnahmsbescheide, weil durch die Aufhebung der Wiederaufnahmsbescheide die Sachbescheide aus dem Rechtsbestand ausscheiden, "was eben, gegebenenfalls, zu einer Nullfestsetzung der Steuer führt". Da sich die mit dem Schriftsatz vom 15. Februar 2006 erhobene Berufung ausschließlich gegen die Wiederaufnahmsbescheide richte, der Beschwerdeführer auch keine weitere Berufung eingebracht habe, liege die vom Beschwerdeführer gesehene Säumnis nicht vor.

In einer Replik vom 29. Oktober 2008 machte der Beschwerdeführer geltend, dass die belangte Behörde bei ihrer Argumentation übergehe, dass der Beschwerdeführer im Anbringen vom 15. Februar 2006 nicht den Berufungsantrag "Nullfestsetzung der Umsatz- und Einkommensteuer bzw. Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide" gestellt habe, sondern dass er, "neben der 'Nullfestsetzung der Einkommensteuer 2001-2004, Umsatzsteuer 2002-2004 sowie der Bescheide über die Festsetzung der Anspruchszinsen', auch ('bzw.') die 'Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide' beantragt hat". Somit sei "klar", dass sich der Berufungsantrag sowohl auf die Abänderung der Sachbescheide als auch auf die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide bezogen habe und damit entgegen der Darstellung in der Stellungnahme vom 6. Oktober 2008 die Einkommensteuerbescheide 2001 bis 2004 und die Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 jeweils vom 6. Februar 2006 in Berufung gezogen worden seien, sodass die belangte Behörde die Entscheidungspflicht insoweit verletzt habe.

Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) kann gemäß § 27 Abs. 1 VwGG erst erhoben werden, wenn - soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung - die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren im administrativen Instanzenzug angerufen werden konnte, angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat.

Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer eine Verletzung der Entscheidungspflicht in Hinblick auf eine seiner Ansicht nach mit Schriftsatz vom 15. Februar 2006 eingebrachte Berufung gegen die im wieder aufgenommenen Verfahren ergangenen Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2004 geltend. Der in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene (und auch der Beschwerdeschrift angeschlossene) Berufungsschriftsatz vom 15. Februar 2006 hat folgenden Wortlaut (anzumerken ist, dass mit dem zur hg. Zl. 2008/13/0105 angefochtenen Bescheid der Berufung betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2001 Folge gegeben wurde):

"Betreff: 1.) Berufung gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens

gem.§ 303(4) BAO Einkommensteuer 2001-2004 und Umsatzsteuer 2002- 2004

vom 6.Feber 2006 und die Bescheide über die Festsetzung der Anspruchsverzinsung 2001-2004

2.) Antrag auf Aussetzung gem.§ 212 a BAO

Hiermit erhebe ich Berufung gegen obengenannte Bescheide und begründe dies wie folgt :

Sachverhalt

Im Zuge eines Kollegengespräches musste ich feststellen,dass das Prüfungsorgan des Finanzamtes Baden Mödling Frau ADir. Ursula (M),aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände und nach Rücksprache mit meiner Standesvertretung

gem.§ 76 Abs.1 LIT c BAO als befangen anzusehen ist. Daher sind die Prüfungsfeststellungen nicht relevant und der Wiederaufnahme fehlt somit die Rechtsgrundlage.

Antrag

Nullfestsetzung der Einkommensteuer 2001-2004,Umsatzsteuer 2002-2004

sowie der Bescheide über die Festsetzung der Anspruchszinsen bzw.Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide."

Nach dem Betreff ("Berufung gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 (4) BAO Einkommensteuer 2001-2004 und Umsatzsteuer 2002-2004" richtete sich die Berufung somit im Sinne des § 250 Abs. 1 lit. a BAO eindeutig lediglich gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2001 bis 2004 und Umsatzsteuer 2002 bis 2004. Auch in der Begründung wurde nur geltend gemacht, dass wegen nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht relevanter Prüfungsfeststellungen der Wiederaufnahme "somit" die Rechtsgrundlage fehle.

Im Berufungsantrag wird zwar u.a. die "Nullfestsetzung der Einkommensteuer 2001-2004, Umsatzsteuer 2002-2004" angesprochen, mit der Verwendung des Ausdruckes "bzw." allerdings mit der Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide in Beziehung gebracht. Damit ergab sich aber auch kein Widerspruch zur Bezeichnung der angefochtenen Bescheide lt. "Betreff", weil mit einer Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide auch die Sachbescheide aus dem Rechtsbestand ausscheiden (vgl. z.B. Ritz, BAO3, § 307 Tz. 8). Die belangte Behörde war damit auch nicht zur Klarstellung des "Gegenstands des Anbringens von Amts wegen" etwa in Form eines Mängelbehebungsauftrages verpflichtet. Dass (im Sinne einer gesonderten Anfechtung) "neben" der "Nullfestsetzung der Einkommensteuer 2001-2004, Umsatzsteuer 2002-2004 sowie der Bescheide über die Festsetzung der Anspruchszinsen" nach dem Vorbringen in der Replik "auch" die "Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide" beantragt gewesen sein sollte, war jedenfalls dem Gesamtbild der Berufungsschrift vom 15. Februar 2006 nicht zu entnehmen.

Lag damit aber eine Berufung gegen die Sachbescheide betreffend Umsatzsteuer- und Einkommensteuer 2002 bis 2004 nicht vor, war auch die insoweit eine Verletzung der Entscheidungspflicht geltend machende Säumnisbeschwerde

mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 27. Jänner 2009

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