VwGH 2008/09/0321

VwGH2008/09/032124.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde der LB in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Lenneis, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 1. Juli 2008, Zl. Senat-MD-06-1328, betreffend Bestrafung nach dem AuslBG (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen, Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
VStG §51 Abs7 idF 1998/I/158;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
VStG §51 Abs7 idF 1998/I/158;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Erledigung der am 10. August 2006 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Berufung der Beschwerdeführerin im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. Juli 2008 wurde die Beschwerdeführerin einer Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) für schuldig erkannt. Dieser Bescheid langte am 9. Juli 2008 bei der Behörde erster Instanz ein.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde vom 20. August 2008 an den Verfassungsgerichtshof, wo sie am 22. August 2008 einlangte. Dieser lehnte mit Beschluss vom 29. September 2008, B 1499/08-3, ihre Behandlung ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Dieser Beschluss wurde der Beschwerdeführerin und dem Verwaltungsgerichtshof am 23. Oktober 2008 zugestellt.

Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verwaltungsstrafverfahren nach dem AuslBG steht nicht nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zu (§ 28a Abs. 1 AuslBG).

Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem Erkenntnis vom 6. November 2008, G 86, 87/08-15, die Wortfolge ", in dem nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zusteht," in § 51 Abs. 7 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 158/1998, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2009 in Kraft.

Der Verfassungsgerichtshof hat des Weiteren ausgesprochen, dass die genannte Wortfolge auf die am 9. Oktober 2008 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren, denen ein Bescheid zu Grunde liegt, der nach Ablauf der fünfzehnmonatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG erlassen wurde (mit Ausnahme von Privatanklagesachen), nicht mehr anzuwenden ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 15. Oktober 2005, B 844/05, zur Anlassfallwirkung des Art. 140 Abs. 7 B-VG Folgendes ausgeführt:

"Der vom Verfassungsgesetzgeber mit der B-VG-Novelle 1975 aus der früheren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes übernommene Begriff des Anlassfalles ist zunächst (VfSlg. 8234/1978) auf jene Fälle beschränkt verstanden worden, die tatsächlich zur Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens geführt haben. Zwecks Loslösung von 'Zufälligkeiten des Geschäftsganges und insbesondere von der Menge und Art der anfallenden Rechtssachen, also ausschließlich von Umständen im Schoße des Gerichtshofes selbst,' hat ihn der Verfassungsgerichtshof jedoch später dahin ausgelegt, dass er alle im Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung anhängig gewordenen Fälle erfasst (VfSlg. 10.067/1984); nach Eröffnung der Möglichkeit (durch die Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes im Gefolge der B-VG-Novelle 1984), auch im Normenprüfungsverfahren von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, hat er schließlich der Ausschreibung der Verhandlung den Beginn der nichtöffentlichen Beratung gleichgesetzt (VfSlg. 10.616/1985). Bei diesem Verständnis werden aber auch Fälle dem Anlassfall gleichgestellt, für die das weder wegen eines möglichen Beitrages zur Rechtsbereinigung noch zur Ausschaltung von Zufälligkeiten im Geschäftsgang des Verfassungsgerichtshofes gerechtfertigt ist. Solche Fallgestaltungen waren bisher noch nicht zu beurteilen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich darum veranlasst, diese Gleichstellung in jenen Fällen nicht vorzunehmen, in denen der ein Verwaltungsverfahren einleitende Antrag erst nach Bekanntmachung des Prüfungsbeschlusses gestellt wurde (mag auch die Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Bescheid dann noch vor dem Beginn der Beratung beim Verfassungsgerichtshof eingelangt sein)."

Die Zustellung des Prüfungsbeschlusses erfolgte am 10. Juli 2008; er wurde vom Verfassungsgerichtshof am 11. Juli 2008 ins Internet gestellt und solcherart bekannt gemacht. Der das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einleitende Strafantrag des Zollamtes Wiener Neustadt war aber bereits am 30. Mai 2006 gestellt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich der Auslegung des Begriffes "Anlassfall" in Art. 140 Abs. 7 B-VG durch den Verfassungsgerichtshof an.

Die nichtöffentliche Beratung in dem zur Aufhebung von Teilen des § 51 Abs. 7 VStG führenden Verfahren von dem Verfassungsgerichtshof begann nach Auskunft desselben am 9. Oktober 2008. Auch wenn die Ablehnung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde der Beschwerdeführerin bereits zuvor beschlossen worden war, wurde dieser Beschluss erst nach Beginn der Beratungen im Gesetzesprüfungsverfahren zugestellt, sodass sie in diesem Zeitpunkt (noch) beim Verfassungsgerichtshof anhängig war.

Der gegenständliche Fall unterliegt demnach der Anlassfallwirkung des Art. 140 Abs. 7 B-VG.

Die nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hier anzuwendende bereinigte Fassung des § 51 Abs. 7 erster Satz VStG lautet demnach:

"Sind in einem Verfahren seit dem Einlangen der Berufung gegen ein Straferkenntnis 15 Monate vergangen, so tritt das Straferkenntnis von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen."

Nach der durch die Aufhebung der oben genannten Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof geschaffenen Fassung des § 51 Abs. 7 VStG ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis somit auch in jenen Fällen binnen 15 Monaten zu erledigen, in denen - wie im gegenständlichen Verfahren nach dem AuslBG - nicht nur der Beschuldigte ein Berufungsrecht hat.

Im gegenständlichen Fall langte die Berufung am 10. August 2006 bei der Behörde erster Instanz ein. Die fünfzehnmonatige Frist des § 51 Abs. 7 VStG endete demnach mit Ablauf des 12. November 2007. Der angefochtene Bescheid langte aber erst am 9. Juli 2008 bei der Behörde erster Instanz ein.

Entscheidet die Berufungsbehörde über ein nach Ablauf der fünfzehnmonatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG als aufgehoben geltendes erstinstanzliches Straferkenntnis, so belastet sie dadurch ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), Seite 1008, E 270 ff wiedergegebene ständige hg. Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. März 2009

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