VwGH 2008/08/0083

VwGH2008/08/008318.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 22. Februar 2008, Zl. IVb-609-2007/0030, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Versehrtenrente (mitbeteiligte Partei: SH in G, vertreten durch Mag. Martin Mennel, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Schloßgraben 10), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §101;
VwRallg;
ZPO §529;
ZPO §530;
ASVG §101;
VwRallg;
ZPO §529;
ZPO §530;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 25. Mai 2004 sprach die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Arbeitsunfall des Mitbeteiligten vom 8. November 1996 eine leichte Zerrung des linken Sprunggelenkes verursacht habe und kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 14. Juni 2004 Klage beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht.

Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 1. Dezember 2004 wurde das Klagebegehren, die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt sei schuldig, dem Mitbeteiligten auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 8. November 1996 eine Versehrtenrente zu gewähren, abgewiesen.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Mitbeteiligten wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 23. März 2005 keine Folge gegeben.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2005 hat der Oberste Gerichtshof die gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck erhobene außerordentliche Revision zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 19. April 2005 erhob der Mitbeteiligte eine Wiederaufnahmsklage beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht und stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Erhebung der Klage auf Wiederaufnahme der Sozialrechtssache des Landesgerichtes Feldkirch. Der zuletzt genannte Antrag wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 12. August 2005 abgewiesen, und die Wiederaufnahmsklage wurde mit demselben Beschluss zurückgewiesen.

Dem dagegen erhobenen Rekurs des Mitbeteiligten wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 14. Juli 2006 nicht Folge gegeben.

Mit Beschluss vom 24. Oktober 2006 hat der Oberste Gerichtshof dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Mitbeteiligten nicht Folge gegeben.

Mit Schreiben vom 17. August 2006 stellte der Mitbeteiligte bei der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt hinsichtlich der Folgen des Arbeitsunfalles vom 8. November 1996 einen Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG (hinsichtlich des Bescheides vom 25. Mai 2004) im Sinne der Zuerkennung einer Versehrtenrente.

Mit Bescheid vom 27. September 2007 hat die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt den Antrag des Mitbeteiligten auf Gewährung einer Versehrtenrente gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, vom Oberlandesgericht Innsbruck sei rechtskräftig festgestellt worden, dass nach dem Arbeitsunfall vom 8. November 1996 keine Folgen im rentenbegründenden Ausmaß vorhanden seien. Es sei nunmehr geprüft worden, ob alle für die Entscheidung maßgeblichen Unterlagen auch im Verfahren bereits Berücksichtigung gefunden hätten. Nachdem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren hätten, sei der Antrag zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteililgte Einspruch.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde auf Grund des Einspruches des Mitbeteiligten der Bescheid der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt vom 27. September 2007 gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach dem vorliegenden Akteninhalt sei über den Antrag des Mitbeteiligten vom 17. August 2006 auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG bislang nicht entschieden worden. Auch bringe die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt nicht vor, dass bereits in einem früheren Verfahren über einen Antrag gemäß § 101 ASVG rechtskräftig entschieden worden sei. Sohin liege eine Entscheidung der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt, die sich auf § 101 ASVG stütze, in dieser Sache noch nicht vor, res iudicata sei daher nicht gegeben, weshalb über den Antrag des Mitbeteiligten inhaltlich hätte entschieden werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie der Mitbeteiligte, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist gemäß § 101 ASVG mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

§ 101 ASVG ist somit nur anwendbar auf Bescheide eines Versicherungsträgers, nicht auch auf Leistungsfeststellungen, die zuletzt von einem Gericht ergangen sind, da mit der Erhebung der Klage beim Gericht der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft tritt und daher insoweit jede Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers wegfällt. Gegen rechtskräftige Urteile der Gerichte kann Abhilfe nur im Wege der Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage nach Maßgabe der Vorschriften der Zivilprozessordnung gesucht werden.

Es ist zwar zutreffend, wie die belangte Behörde festgestellt hat, dass noch keine Entscheidung nach § 101 ASVG ergangen ist, die als rechtskräftige Sachentscheidung einer Entscheidung der mitbeteiligten Unfallversicherungsanstalt gemäß § 101 ASVG entgegen gestanden wäre (vgl. hingegen den dem hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2007, Zl. 2005/08/0071, zugrunde gelegenen Fall).

Allerdings besteht auch dann, wenn keine bescheidmäßige (ursprüngliche) Erledigung des Versicherungsträgers über eine Leistung (mehr) vorhanden ist, keine Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers gemäß § 101 ASVG. Wurde gegen eine solche (ursprüngliche) Leistungsentscheidung Klage erhoben, ist sie durch diese Klageerhebung weggefallen und stand die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung einem Antrag (hier: der mitbeteiligten Partei) auf (rückwirkende) Herstellung des gesetzlichen Zustandes jedenfalls entgegen. Die beschwerdeführende Partei hat dem Antrag des Mitbeteiligten im Hinblick darauf, dass in der Leistungssache betreffend die Zuerkennung einer Versehrtenrente mit gerichtlichen Urteilen rechtskräftig abgesprochen ist, daher im Ergebnis zu Recht nicht stattgegeben (vgl. auch das zu § 183 ASVG ergangene hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2009, Zl. 2006/08/0267).

Dadurch, dass die belangte Behörde den Bescheid der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt vom 27. September 2007 ersatzlos gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben hat, belastete sie somit ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. November 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte