VwGH 2007/21/0541

VwGH2007/21/054130.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 8. Februar 2007, Zl. KUVS- 151/6/2007, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §46 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 17. August 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom 16. Februar 2005 wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und erklärte gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig. Zugleich wies es den Beschwerdeführer nach Nigeria aus. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft, nachdem der Beschwerdeführer, der am 4. Jänner 2006 die österreichische Staatsangehörige E. geheiratet hatte, in der Folge seine gegen den genannten Bescheid erhobene Berufung zurückgezogen hatte.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 1. Februar 2007 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nachgekommen, obwohl er einen Reisepass besitze. Zur "Sicherung des Verfahrens" sei daher die Schubhaft zu verhängen, weil die Behörde zu jeder Zeit über den Beschwerdeführer verfügen müsse, um den Abschiebetermin einhalten zu können, was bei Anwendung "des gelinderen Mittels" nicht erreicht werden könne. Der Beschwerdeführer wurde bis zum 5. April 2007 in Schubhaft angehalten.

Mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid vom 8. Februar 2007 wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer am 2. Februar 2007 erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen.

Begründend stellte sie - nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage - fest, der Beschwerdeführer lebe im gemeinsamen Haushalt mit seiner österreichischen Ehegattin und ihren drei Kindern, deren Vater er jedoch nicht sei. Zwei der Kinder seien erwachsen, das dritte Kind sei behindert, stehe unter Sachwalterschaft und sei noch minderjährig. Der Beschwerdeführer werde von seiner berufstätigen Ehefrau finanziell unterstützt, er sei Hausmann und betreue "die Kinder" während ihrer Abwesenheit. Über die weitere soziale Eingliederung des Beschwerdeführers sei "im Detail nichts belegt". Er sei jedoch der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig und verständige sich vorwiegend auf Englisch. Am 1. Februar 2007 habe er um 18.15 Uhr seine erkennungsdienstliche Behandlung und das Anfertigen von Lichtbildern verweigert.

Der Beschwerdeführer habe ausgeführt, nicht nach Nigeria ausreisen zu wollen, weil es dort gefährlich sei. Zwar rechtfertige fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein nicht die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung; es müsste vielmehr das Sicherungserfordernis des § 76 Abs. 1 FPG noch durch weitere Umstände begründet sein, wofür etwa eine mangelnde berufliche oder soziale Verankerung im Inland in Frage käme. Der Beschwerdeführer verfüge über keine Barmittel und werde finanziell von seiner Ehefrau, mit der er jedoch "erst" seit 4. Jänner 2006 verheiratet sei, unterstützt. Abgesehen von den familiären Beziehungen seien soziale Bindungen oder sonstige Umstände, die für eine weitere Integration sprächen, nicht hervorgekommen oder - trotz einer ihn treffenden Bescheinigungspflicht - vom Beschwerdeführer belegt worden. Da sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, sei somit auch die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung zulässig gewesen. Die Anwendung gelinderer Mittel komme gemäß § 77 Abs. 2 FPG nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer die Mitwirkung an seiner - auch davor nicht stattgefundenen - erkennungsdienstlichen Behandlung verweigert habe. Gründe, die die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Haft als unverhältnismäßig erscheinen ließen, seien im Rahmen des Verfahrens nicht vorgekommen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 30. November 2007, B 432/07-9, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern.

Der Verwaltungsgerichtshof hat, was auch die belangte Behörde einräumt, in seiner bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht rechtfertigen kann. Ist ein Fremder auf Grund mangelnder Ausreisewilligkeit nicht zeitgerecht ausgereist oder ist auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten, er werde seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, so erfüllt er die Voraussetzungen für die Durchführung einer Abschiebung nach § 46 Abs. 1 FPG. Damit steht aber noch nicht in jedem Fall ohne weiteres fest, dass es auch der Verhängung der Schubhaft bedarf, um diese Abschiebung zu sichern. Vielmehr ist dann, wenn die behördliche Prüfung die Zulässigkeit der Abschiebung ergeben hat, in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob auch ein Sicherungsbedarf besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2006/21/0071, mwN).

Die Zulässigkeit dieser Maßnahme verlangt nämlich nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Prüfung ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zu deren Beurteilung eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung (Aufenthaltsbeendigung) und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. nach deren Vorliegen der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder es/sie zumindest wesentlich erschweren. Fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein - insoweit ist der belangten Behörde beizupflichten - erfüllt dieses Erfordernis (wie erwähnt) noch nicht. Die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls vermag somit für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen, sondern der Sicherungsbedarf muss in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa eine mangelnde soziale Verankerung in Österreich in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246, mwN). Für die Bejahung eines Sicherungsbedarfs kommen daher im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0162, mwN). Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs freilich auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, mwN).

Die belangte Behörde räumt im Einklang mit der Beschwerde und dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten (in ihrer Gegenschrift) ausdrücklich ein, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit niemals ein Verhalten gesetzt habe, das auf ein "Untertauchen" hingedeutet hätte. Dazu kommen sein fester Wohnsitz und die festgestellte, auf einer (zudem seit mehr als einem Jahr aufrechten) Ehe mit einer Österreicherin beruhende familiäre Integration, sodass nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die Bejahung eines Sicherungsbedarfs mit dem Gesetz nicht im Einklang steht.

Anzumerken ist schließlich, dass die belangte Behörde im Fall bei ihr bestehen gebliebener Zweifel am Vorliegen einer ausreichenden sozialen Integration zur entsprechenden Abklärung (etwa durch Einvernahme der österreichischen Ehefrau des Beschwerdeführers) im Rahmen ihrer mündlichen Verhandlung gehalten gewesen wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2007/21/0426).

Da somit schon der für die Anordnung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 1 FPG erforderliche Sicherungsbedarf zu verneinen ist, musste auf die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel nach § 77 FPG nicht inhaltlich eingegangen werden. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die durch das Bundesasylamt ausgesprochene Ausweisung vom 16. Februar 2005 im Hinblick auf die nachfolgende Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin überhaupt noch als Titel für seine Abschiebung in Betracht kommt.

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. April 2009

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