VwGH 2007/19/1111

VwGH2007/19/111116.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. August 2007, Zl. 312.596-1/3E-XVIII/59/07, betreffend §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres),

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §41 Abs4;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §41 Abs4;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Spruchpunkte II. und III. des erstinstanzlichen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 und Ausweisung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005) bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1106, 40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein zur Minderheit der Laken in Dagestan gehörender russischer Staatsangehöriger, reiste am 6. Mai 2007 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom "26. April 2007" (richtig: 26. Mai 2007) gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abwies und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannte (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erkannte es ihm auch den Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet "nach Russland" aus (Spruchpunkt III.).

In einer ausführlichen Beweiswürdigung legte die Erstinstanz dar, warum sie den Fluchtgründen des Beschwerdeführers (er hatte behauptet, Dagestan bereits im Jahr 1997 verlassen zu haben, weil er wegen terroristischer Aktivitäten seines Vaters Probleme bekommen habe) keinen Glauben schenkte. Ausgehend davon sei ihm kein Asyl zu gewähren. Im Übrigen traf das Bundesasylamt umfangreiche Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation. Die Abweisung des Antrags in Bezug auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete es im Wesentlichen damit, dass kein Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände" bestünde, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten. In Russland gebe es keine extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Es herrsche kein Bürgerkrieg; die Staatsgewalt sei grundsätzlich funktionsfähig. Der Beschwerdeführer habe auch keinen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet, der ein Abschiebungshindernis bilden könne. Da die Grundversorgung mit Lebensmitteln in Russland gewährleistet sei, gebe es auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in eine aussichtslose Situation geraten könnte.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen in allgemeinen Worten gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Überdies machte er geltend, dass die von der Erstinstanz getroffenen Länderfeststellungen keinen Bezug zu seinem Vorbringen hätten. Die Erstbehörde habe sich daher nicht substantiell mit seinen Angaben auseinandergesetzt. Im Folgenden stellte er den Antrag, seine Gefährdungssituation "durch geeignete Recherchen zu erheben" und eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG 2005 ab.

Begründend schloss sie sich den Ausführungen der Erstbehörde vollinhaltlich an. Die erste Instanz habe - zu Recht - ausgeführt, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund widersprüchlicher Angaben während der einzelnen niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt nicht glaubwürdig sei. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf "geeignete Recherchen", um eine Gefährdungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK erheben zu können, sei aufgrund des mängelfreien Ermittlungsverfahren des Bundesasylamtes und der daraus resultierenden geklärten Sachlage nicht nachzukommen. Von einer Berufungsverhandlung könne wegen des ausreichend geklärten Sachverhalts Abstand genommen werden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, die nur eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend macht, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die im vorliegenden Fall noch maßgeblichen Voraussetzungen eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung der hg. Judikatur im Erkenntnis vom 11. Juni 2008, 2008/19/0216, 0217).

Der belangten Behörde ist zuzugeben, dass die (nicht ausreichend substantiierte) Bestreitung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen in der Berufung keine Verhandlungspflicht auslöste. Soweit sich die Berufung allerdings gegen die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz richtete, wäre die Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung nach den obgenannten Rechtsgrundsätzen erforderlich gewesen:

Die erstinstanzlichen Ausführungen lassen nicht erkennen, dass die Asylbehörde auf die besondere Situation des Beschwerdeführers, eines aus Dagestan stammenden Laken, der nach seinen Angaben die Russische Föderation schon im Alter von zehn Jahren verlassen hat und weder Russisch lesen noch schreiben kann, ausreichend Bedacht genommen hat. Das Bundesasylamt beschränkte sich vielmehr in seiner Bescheidbegründung zum subsidiären Schutz auf allgemeine Aussagen zur Lage eines in die Russische Föderation zurückkehrenden russischen Staatsangehörigen. Zu Recht wies der Beschwerdeführer in seiner Berufung darauf hin, dass die erstinstanzlichen Erwägungen zumindest hinsichtlich der Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz zuwenig Bezug zu seinem individuellen Vorbringen aufwiesen. Angesichts dessen wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, den maßgeblichen Sachverhalt in ihrer Entscheidung zu ergänzen, wozu es zuvor der Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung bedurft hätte.

Es war daher die Bestätigung des Spruchpunktes II. und des davon abhängigen Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Ausweisung des Beschwerdeführers) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008.

Zu II.:

Gemäß § 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf den mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides richtet, abzulehnen.

Wien, am 16. April 2009

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