Normen
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
NAG 2005 §51 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
NAG 2005 §51 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 29. August 2007 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 63 Abs. 1 und 2 sowie § 60 Abs. 2 Z. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin seit 1. Jänner 2007 Bürgerin der Europäischen Union und sowohl in Rumänien als auch in Österreich strafrechtlich unbescholten sei.
Sie sei "vermutlich im Jahr 2002 - möglicherweise schon früher -" vorübergehend nach Österreich gekommen und habe in der Wohnung einer damaligen Freundin (den österreichischen Staatsbürger) W.U. kennengelernt. Im Jahr 2003 sei sie für längere Zeit in Österreich verblieben und habe von August 2003 bis Februar 2004 in Wien gelebt. Spätestens seit November/Dezember 2004 habe die Beschwerdeführerin in W in einer Wohnung, die im Eigentum von W.U. stehe, gelebt.
W.U. und die Beschwerdeführerin hätten am 12. Jänner 2005 in W die Ehe geschlossen; zu diesem Zeitpunkt sei die Beschwerdeführerin 23 Jahre, ihr Ehemann hingegen 69 Jahre alt gewesen.
Im Vorfeld der Heirat habe W.U. beabsichtigt, die Beschwerdeführerin zu adoptieren, habe diesen Plan aber wieder fallen gelassen, nachdem ihm in einer Rechtsanwaltskanzlei davon abgeraten worden sei. Um der Beschwerdeführerin dennoch den Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen, habe sich W.U. in der Folge dazu entschlossen, diese zu heiraten. Die Mutter von W.U. sei zu dieser Zeit bereits pflegebedürftig gewesen; die Beschwerdeführerin habe sich dazu bereit erklärt, W.U. bei deren Pflege zu helfen. Die Beschwerdeführerin sei die Ehe primär zu dem Zweck eingegangen, eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in Österreich zu erlangen. Ein eheliches Zusammenleben mit W.U. habe sie nicht beabsichtigt.
Bei einem am 22. März 2005 gestellten Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (mit dem Aufenthaltszweck "begünstigte Drittstaatsangehörige") habe sich die Beschwerdeführerin auf die Ehe mit W.U. berufen. Zu sexuellen Kontakten sei es zwischen den beiden Eheleuten nie gekommen; ein solcher Kontakt sei auch niemals beabsichtigt gewesen. Auch eine eheliche Gemeinschaft sei nie geführt worden. Vielmehr habe W.U. die von der Beschwerdeführerin bewohnte Wohnung zwar häufig aufgesucht, sei aber dann immer wieder weggegangen und in der Regel nicht über Nacht geblieben; bei der Hausmeisterin sei so der Eindruck entstanden, er habe die Wohnung an die Beschwerdeführerin bloß vermietet und sehe gelegentlich als Vermieter "nach dem Rechten".
Die Beschwerdeführerin sei seit 27. Mai 2005 in Österreich berufstätig und sei als Arbeiterin zur Sozialversicherung angemeldet. W.U. habe der Beschwerdeführerin nie einen fixen Unterhalt geleistet; es habe weder ein fixes Taschengeld noch ein gemeinsames Konto gegeben, allerdings habe W.U. der Beschwerdeführerin, solange diese noch nicht berufstätig gewesen sei, gelegentlich Geld zukommen lassen und solcherart ihre Bedürfnisse finanziert.
Den Jänner 2006 habe die Beschwerdeführerin in Rumänien verbracht; im März/April 2006 sei sie zurückgekommen und wohne wieder in der Wohnung von W.U. in W, wo seit Mai 2006 auch dessen pflegebedürftige und geistig verwirrte Mutter, bei deren Pflege die Beschwerdeführerin helfe, untergebracht sei.
Die Beschwerdeführerin habe keine legal in Österreich lebenden Angehörigen. Sie habe sich durch ihren mittlerweile schon mehrjährigen Aufenthalt im Land und ihre berufliche Tätigkeit sprachlich wie auch persönlich entsprechend gut integriert.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass das von der Erstbehörde verhängte Aufenthaltsverbot - da die Beschwerdeführerin Bürgerin der Europäischen Union sei - anhand des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG zu prüfen sei. Aufgrund der festgestellten Umstände sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG verwirklicht, auf den zur Beurteilung der Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückzugreifen sei.
Das persönliche Verhalten der Beschwerdeführerin, das mit der Täuschung staatlicher Organe über den wahren Ehewillen begonnen und sich bis zum dadurch bewirkten Erschleichen staatlicher Berechtigungen und Befugnisse fortgesetzt habe, stelle jedenfalls eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die die Grundinteressen der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung eines geordneten und geregelten Fremdenwesens, an einer gesetzlich gesteuerten Zuwanderung, an der Einhaltung der dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften und am Recht auf wahrheitsgetreue Angaben gegenüber Staatsorganen berühre.
Zur Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die aus der Aufenthaltsdauer sowie der Beschäftigung der Beschwerdeführerin ableitbare soziale, private und berufliche Integration werde in ihrer Bedeutung entscheidend dadurch gemindert, dass dieser Aufenthalt sowie die Beschäftigung lediglich auf die Aufenthaltsehe gestützt und möglich geworden seien. Daher seien die Interessen der Beschwerdeführerin am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zwar vorhanden, könnten aber die öffentlichen Interessen an der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht überwiegen. Den privaten Interessen der Beschwerdeführerin stehe nämlich gegenüber, dass diese durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Ehe und die Berufung auf diese bei ihrem Antrag auf Niederlassungsbewilligung öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 EMRK - hier: an der Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - erheblich beeinträchtigt habe. Daher sei das Aufenthaltsverbot nicht nur zulässig, sondern zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele auch dringend geboten. Die Auswirkungen des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen vor diesem Hintergrund keinesfalls schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung (§ 66 Abs. 1 und 2 FPG in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009).
Die von der Erstbehörde gemäß § 63 FPG mit fünf Jahren festgelegte Dauer des Aufenthaltsverbotes sei nicht zu beanstanden: Die von der Beschwerdeführerin gesetzte Handlung (Eingehen einer Aufenthaltsehe) habe im gravierenden Ausmaß die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens beeinträchtigt. Es bedürfe daher eines geraumen, nicht zu gering anzusetzenden Zeitraumes der Beobachtung des Wohlverhaltens der Beschwerdeführerin um sicherzustellen, dass sie nicht neuerlich das von ihr gezeigte Verhalten im Bundesgebiet setzen, sondern im Gegenteil nunmehr bereit sein werde, die für den Zuzug und den Aufenthalt von Fremden in Österreich geltenden gesetzlichen Bestimmungen "vollinhaltlich einzuhalten".
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Mit dem am 1. Jänner 2007 wirksam gewordenen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union (Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 25. April 2005, Amtsblatt Nr. L 157 vom 21. Juni 2005, BGBl. III Nr. 185/2006) ist die Beschwerdeführerin freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürgerin geworden. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen sie ist somit gemäß § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste und auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2007/18/0494, mwN).
2. Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die oben wiedergegebenen behördlichen Feststellungen, denen zufolge W.U. die Beschwerdeführerin heiratete, um ihr den Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen, ein eheliches Zusammenleben von den beiden niemals beabsichtigt war und es zwischen ihnen weder zu sexuellen Kontakten noch zur Führung einer ehelichen Gemeinschaft gekommen ist. Von diesen unbekämpften Feststellungen ausgehend ist die Beurteilung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG verwirklicht sei, nicht zu beanstanden.
3. Bei der Beurteilung, ob die Annahme im Sinn des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG gerechtfertigt sei, dürfen allerdings Änderungen in den Lebensumständen des Fremden, die gegen den Fortbestand einer Gefährdungsprognose sprechen, nicht ausgeklammert werden. Von der Beschwerdeführerin, die schon vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides als Unionsbürgerin freizügigkeitsberechtigt geworden ist, ist jedenfalls nicht mehr zu befürchten, dass sie eine Ehe schließt, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu führen, um sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe zu berufen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, mwN).
Dadurch, dass die belangte Behörde dies verkannt und ihre Entscheidung - auch was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes gemäß § 63 FPG anlangt - unter anderem mit der Gefahr begründet hat, dass die Beschwerdeführerin (wieder) eine Aufenthaltsehe zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile schließen könnte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Inwieweit bei der Beschwerdeführerin in Anbetracht der Bestimmungen, die für eine im genannten Vertrag vorgesehene Übergangszeit den Zugang rumänischer Staatsangehöriger zum österreichischen Arbeitsmarkt einer Sonderregelung unterwerfen, die ihr u.a. auch einen Vorrang vor drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern einräumt (vgl. Anhang VI Nr. 14 der Beitrittsakte), die Annahme iSd § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG hinsichtlich der Gefahr der unerlaubten Ausübung einer Beschäftigung noch gerechtfertigt ist, kann ohne nähere Begründung bzw. ohne Berücksichtigung der konkreten Möglichkeiten der Beschwerdeführerin, eine selbstständige oder unselbstständige Beschäftigung in Österreich aufzunehmen, nicht beurteilt werden. Bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG wird jedenfalls zu berücksichtigen sein, dass der Beschwerdeführerin - im Gegensatz zu ihrer Situation vor dem genannten Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union - nunmehr ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen könnte (vgl. insbesondere § 51 Z. 2 NAG), das ihre persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet beträchtlich stärkt.
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 9. November 2009
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