VwGH 2007/09/0245

VwGH2007/09/024526.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des E D in V, vertreten durch Dr. Günther Maleczek und Mag. Dr. Paula Stecher, Rechtsanwälte in 6130 Schwaz, Winterstellergasse 11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 31. August 2006, Zl. uvs- 2005/14/1319-4, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen, Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §28a Abs1;
AVG §63 Abs1;
B-VG Art131 Abs2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
B-VG Art7 Abs1;
EMRK Art13;
VStG §45 Abs1 Z1;
VStG §45;
VStG §51 Abs7 idF 1998/I/158;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AuslBG §28a Abs1;
AVG §63 Abs1;
B-VG Art131 Abs2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
B-VG Art7 Abs1;
EMRK Art13;
VStG §45 Abs1 Z1;
VStG §45;
VStG §51 Abs7 idF 1998/I/158;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Erledigung der am 11. Mai 2005 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Berufung der Amtspartei Zollamt I im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 31. August 2006 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für schuldig erkannt. Dieser Bescheid langte am 8. September 2006 bei der Behörde erster Instanz ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Diese Beschwerde langte am 31. Oktober 2006 beim Verwaltungsgerichtshof ein.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verwaltungsstrafverfahren nach dem AuslBG steht nicht nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zu (§ 28a Abs. 1 AuslBG).

Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem Erkenntnis vom 6. November 2008, G 86, 87/08-15, die Wortfolge ", in dem nur dem Beschuldigten das Recht der Berufung zusteht," in § 51 Abs. 7 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 158/1998, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Oktober 2009 in Kraft.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem oben bezeichneten aufhebenden Erkenntnis ausgesprochen, dass die genannte Wortfolge auf die am 9. Oktober 2008 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren, denen ein Bescheid zugrunde liegt, der nach Ablauf der fünfzehnmonatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG erlassen wurde (mit Ausnahme von Privatanklagesachen), nicht mehr anzuwenden ist.

Die nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hier anzuwendende bereinigte Fassung des § 51 Abs. 7 erster Satz VStG lautet demnach:

"Sind in einem Verfahren seit dem Einlangen der Berufung gegen ein Straferkenntnis 15 Monate vergangen, so tritt das Straferkenntnis von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen."

Nach der durch die Aufhebung der oben genannten Wortfolge durch den Verfassungsgerichtshof geschaffenen Fassung des § 51 Abs. 7 VStG ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis somit auch in jenen Fällen binnen 15 Monaten zu erledigen, in denen - wie im gegenständlichen Verfahren nach dem AuslBG - nicht nur der Beschuldigte ein Berufungsrecht hat.

Dem genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes lag sachverhaltsmäßig eine verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers durch die Behörde erster Instanz zu Grunde. Der Verfassungsgerichtshof sah in der von ihm aufgehobenen Wortfolge einen Verstoß gegen Art.13 EMRK, weil es gegen eine Säumnis bei der Erledigung von Berufungen gegen das Straferkenntnis der Behörde erster Instanz kein effektives Rechtsmittel gibt. Durch die Aufhebung der genannten Wortfolge wurde dieser Mangel beseitigt.

Der gegenständliche Beschwerdefall unterscheidet sich nun von dem der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu Grunde liegenden insoweit, als hier in erster Instanz eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG verfügt wurde und die dagegen gerichtete Berufung durch die Amtspartei erhoben wurde. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist diese Konstellation aber nicht anders zu beurteilen als jene, die Grundlage des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses gewesen ist, weil auch im Falle einer Berufung der Amtspartei gegen die in erster Instanz verfügte Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens eine effektive Beschwerde im Sinne des Art. 13 EMRK in Ansehung der Verletzung des Rechtes des Beschuldigten auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist gewährleistet sein muss. Zudem besteht nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass im Fall einer Berufung (des Beschuldigten oder einer Amtspartei) gegen den Schuld- oder Strafausspruch die 15-monatige Frist gelten solle, im Falle der Berufung (einer Amtspartei) gegen die Einstellung des Strafverfahrens hingegen nicht.

Würde man den Ausdruck "Straferkenntnis" in § 51 Abs. 7 VStG in der durch den Verfassungsgerichtshof bereinigten Fassung so auslegen, dass damit nur Bescheide erfasst sind, mit denen ein Schuld- bzw. Strafausspruch erfolgt, so wäre der Verstoß gegen Art. 13 EMRK, der den Verfassungsgerichtshof zur teilweisen Aufhebung dieser Bestimmung veranlasste, daher insoweit nicht bereinigt, als es um Berufungen gegen die Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens geht; auch die durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes bereinigte Fassung des § 51 Abs. 7 VStG wäre insoweit weiterhin mit Verfassungswidrigkeit belastet. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Auslegung jedoch nicht zwingend geboten. Mit der geltenden Formulierung des Gesetzes sollte klargestellt werden, dass "§ 51 Abs. 7 VStG nur für Straferkenntnisse (und nicht für verfahrensrechtliche Bescheide) gilt" (vgl. die Erläuterungen zum Ausschussbericht 1167 BlgNR XX. GP, 41). Jedoch unterscheidet sich ein Bescheid, mit dem gemäß § 45 VStG ein Verwaltungsstrafverfahren eingestellt wird, von bloßen verfahrensrechtlichen Bescheiden dadurch, dass damit über die Strafbarkeit des Beschuldigten bzw. die Zulässigkeit seiner Verfolgung abschließend abgesprochen und das Verwaltungsstrafverfahren beendet wird. Weil mit einem Bescheid über die Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nicht bloß über eine im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens oder danach auftretende verfahrensrechtliche Frage abgesprochen wird, sondern die Zulässigkeit der verwaltungsbehördlichen Strafverfolgung bzw. die Berechtigung des verwaltungsstrafrechtlichen Vorwurfes in negativem Sinne entschieden wird, kann dieser als ein Straferkenntnis angesehen werden.

Angesichts der vom Verfassungsgerichtshof ins Treffen geführten Gründe für die Aufhebung einzelner Worte in § 51 Abs. 7 VStG vertritt der Verwaltungsgerichtshof daher die Auffassung, dass der Ausdruck "Straferkenntnis" in der vom Verfassungsgerichtshof bereinigten Fassung des § 51 Abs. 7 VStG nicht so zu verstehen ist, dass damit lediglich solche Bescheide gemeint sind, in denen ein Schuld- bzw. Strafausspruch erfolgt; der Verwaltungsgerichtshof kommt vielmehr zu der Auffassung, dass bei verfassungskonformer Auslegung der Begriff des "Straferkenntnisses" in § 51 Abs. 7 VStG infolge der vom Verfassungsgerichtshof hergestellten Rechtslage so zu verstehen ist, dass damit nicht nur jene Fälle gemeint sind, in denen in erster Instanz ein Schuld- und Strafausspruch erging, sondern auch alle jene Fälle, in denen über den Strafanspruch an sich abgesprochen wurde, sei es durch Schuldspruch mit Bestrafung oder Ermahnung oder durch Einstellung des Verfahrens.

Im gegenständlichen Fall langte die Berufung am 11. Mai 2005 bei der Behörde erster Instanz ein. Die fünfzehnmonatige Frist des § 51 Abs. 7 VStG endete demnach mit Ablauf des 11. August 2006. Der angefochtene Bescheid langte aber erst am 8. September 2006 bei der Behörde erster Instanz ein.

Entscheidet die Berufungsbehörde über ein nach Ablauf der fünfzehnmonatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG als aufgehoben geltendes erstinstanzliches Straferkenntnis, so belastet sie dadurch ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), Seite 1008, E 270 ff wiedergegebene ständige hg. Rechtsprechung).

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 26. Februar 2009

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