VwGH 2007/09/0243

VwGH2007/09/024329.1.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner über die Beschwerde des Ing. A L in W, vertreten durch Dr. Walter Lichal, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Anton-Sattler-Gasse 105/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 18. Juli 2006, Zl. Senat-BN-06-2005, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Parteien: Bundesminister für Finanzen, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §7 Abs1;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6 Abs3 litd;
MRK Art6;
StPO §68 Abs2;
VStG §51g Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §7 Abs1;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6 Abs3 litd;
MRK Art6;
StPO §68 Abs2;
VStG §51g Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das in dieser Angelegenheit bereits ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2006, Zl. 2005/09/0007, verwiesen.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wurde der Beschwerdeführer in Erledigung seiner Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 24. Juli 2003 schuldig erkannt, als Geschäftsführer einer näher bezeichneten GesmbH dafür verantwortlich zu sein, dass diese in der Zeit von Anfang 2002 bis 20. Februar 2003 in Seibersdorf zwei namentlich genannte polnische Staatsangehörige entgegen § 3 Abs. 1 AuslBG beschäftigt habe, wodurch er zwei Verwaltungsübertretungen nach § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG begangen habe. Er wurde hierfür nach dem ersten Strafsatz des § 28 Abs. 1 Z. 1 AuslBG mit zwei Geldstrafen in der Höhe von je EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen je zwei Tage) bestraft.

Die belangte Behörde wiederholte ihre Darstellung zum Verfahrensgang und verwies darauf, dass im fortgesetzten Verfahren nochmals versucht worden sei, die beiden Polen zur ergänzenden Verhandlung zu laden, welcher Ladung sie nicht Folge geleistet hätten, sodass eine Verlesung ihrer Aussagen vor der Zollverwaltung stattgefunden habe. Auf Grund deren Angaben traf die belangte Behörde die ergänzende Feststellung

"dass die in diesen Niederschriften von den Ausländern gemachten Angaben, dies insbesondere zu ihrer Tätigkeit im Betrieb, also des Aussortierens von gebrauchten Autoreifen, weiters zur Angabe der tatsächlichen Arbeitszeit, sowie der Nennung eines konkreten Betrages in Euro, welchen sie für ihre tägliche Arbeit im Betrieb erhalten hätten, zutreffend"

seien. Die beiden Polen hätten sohin ihre Tätigkeiten, also das Sortieren von alten Autoreifen, für den vom Beschwerdeführer vertretenen Betrieb verrichtet, es sei ihnen hierfür ein Entgelt zugesagt bzw. bereits ausbezahlt worden.

Beweiswürdigend wies die belangte Behörde darauf hin, dass sie die Verantwortung des Beschwerdeführers als weniger glaubwürdig erachte, zumal die gegen die Niederschriften geäußerten Bedenken durch die Zeugenaussagen der beiden Zollbeamten hätten zerstreut werden können.

Rechtlich sah die belangte Behörde den objektiven Tatbestand der unberechtigten Beschäftigung von Ausländern als gegeben an und legte ihre Strafzumessungsgründe dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die unrichtige rechtliche Beurteilung (Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides) sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG - erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit macht der Beschwerdeführer unter Verweis auf §§ 67 ff StPO, welche im Verwaltungsstrafverfahren subsidiär heranzuziehen seien, die Befangenheit des den angefochtenen Bescheid erlassenden Mitglieds der belangten Behörde geltend.

Damit zeigt er jedoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gemäß § 24 VStG gilt die Bestimmung des § 7 AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren, wonach Verwaltungsorgane sich der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen haben,

1. in Sachen, an denen sie selbst, einer ihrer Angehörigen (§ 36a) oder einer ihrer Pflegebefohlenen beteiligt sind;

2. in Sachen, in denen sie als Bevollmächtigte einer Partei bestellt waren oder noch bestellt sind;

3. wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen;

4. im Berufungsverfahren, wenn sie an der Erlassung des angefochtenen Bescheides oder der Berufungsvorentscheidung (§ 64a) mitgewirkt haben.

Keiner dieser Fälle liegt hier vor, zumal der Beschwerdeführer - abgesehen von der Tatsache, dass der im ersten Rechtsgang erlassene Bescheid, der Gegenstand der Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof gewesen war, vom selben Behördenorgan stammte wie der nunmehr angefochtene Ersatzbescheid - keinen Umstand geltend macht, der geeignet gewesen wäre, die volle Unbefangenheit des zuständigen Referenten der belangten Behörde in Zweifel zu ziehen. Die Geltung des § 68 Abs. 2 StPO ist lediglich für das strafgerichtliche Verfahren normiert; in sonstigen Verfahren kann eine (sinngemäße) Anwendung dieser Gesetzesstelle nur dort Platz greifen, wo dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist. Der Umstand, dass ist ein Organ an der Erlassung eines vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Bescheides mitgewirkt hat, bildet daher für sich allein noch keinen Grund für die Annahme einer Befangenheit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2008, Zl. 2007/07/0019, mwN, und hinsichtlich Art. 6 EMRK das Urteil des EGMR vom 31. August 1995 im Fall Diennet von France).

Als Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz rügt der Beschwerdeführer, dass die in der fortgesetzten Berufungsverhandlung verlesenen Niederschriften mit den beiden polnischen Staatsangehörigen nichts darüber enthielten, in welcher Funktion diese Personen einvernommen worden waren. Auch dieser Vorwurf ist unberechtigt.

Gemäß § 51g Abs. 3 VStG dürfen Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten oder von Zeugen sowie die Gutachten der Sachverständigen nur verlesen werden, wenn

1. die Vernommenen in der Zwischenzeit verstorben sind, ihr Aufenthalt unbekannt ist oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen nicht verlangt werden kann oder

2. die in der mündlichen Verhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früheren Aussagen abweichen oder

3. Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein, oder Beschuldigte die Aussage verweigern oder

4. alle anwesenden Parteien zustimmen.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass die belangte Behörde - in Erfüllung des Auftrages des Verwaltungsgerichtshofes in seinem aufhebenden Erkenntnis vom 22. Februar 2006, Zl. 2005/09/0007 - jeweils vergeblich versucht hat, mit den Ausländern in Kontakt zu treten. Zwar wurden die Ladungen an den ausländischen Wohnorten der Zeugen hinterlegt, jedoch nicht behoben. Sie kamen auch unentschuldigt nicht zur Verhandlung. Damit lag aber die Voraussetzung des § 51g Abs. 3 Z. 1 zweiter Fall VStG vor, wobei es unerheblich ist, in welchem Verfahren die verlesene Niederschrift aufgenommen wurde oder - wie hier - in welcher prozessualen Eigenschaft die Befragten vernommen wurden, weil das Gesetz eine Einschränkung auf jenes Verfahren, in dem das Verlesene verwertet wird, nicht kennt.

Zu Recht aber rügt der Beschwerdeführer, dass ihm dadurch, dass sich die - gerade noch als ausreichend anzusehenden, äußerst knappen - Feststellungen der belangten Behörde ausschließlich auf die verlesenen Niederschriften der Ausländer vor der zuständigen Zollbehörde stützen, der Grundsatz eines "fair trial" verletzt worden sei, weil ihm solcherart die Möglichkeit der Fragestellung genommen worden sei.

Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht. Nach Abs. 3 lit. d dieser Bestimmung hat jeder Angeklagte mindestens das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.

Zwar ist es grundsätzlich nicht in jedem Fall mit Art. 6 Abs. 1 oder Abs. 3 lit. d EMRK unvereinbar, wenn in einer mündlichen Verhandlung aus einem anderen Verfahren gewonnene Aussagen verlesen werden, auf die die Entscheidung in der Folge Bezug nimmt. In der Verwertung dieser Aussagen müssen jedoch die Verteidigungsrechte beachtet werden. In der Regel verlangen diese Rechte, dass der Angeklagte eine angemessene und geeignete Gelegenheit erhält, die Glaubwürdigkeit eines gegen ihn aussagenden Zeugen grundsätzlich in Frage zu stellen, sei es in dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge die Aussage ablegt, sei es zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 2002, B 1404/01, Slg. 16554, mit weiteren Verweisen).

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden die maßgeblichen Zeugenaussagen der Ausländer in dem dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Verfahren anlässlich einer nichtöffentlichen Vernehmung durch die zuständige Zollbehörde abgegeben, bei der der Beschwerdeführer nicht anwesend war. Ihm war auf diese Weise jegliche Möglichkeit genommen, diese Zeugen in einer kontradiktorischen mündlichen Verhandlung zu befragen, auf deren Aussagen sich die belangte Behörde aber in der Folge bei der Feststellung des von ihr als entscheidungserheblich erachteten Sachverhalts nach der Begründung des nunmehr angefochtenen Ersatzbescheides ausschließlich gestützt hat.

Anders wäre der Fall gewesen, wenn die belangte Behörde ihre Tatsachenfeststellungen nicht ausschließlich auf die verlesenen Zeugenaussagen der Ausländer gestützt hätte, sondern zumindest etwa auch auf die Angaben der in der mündlichen Verhandlung ohnedies vernommenen Kontrollorgane, allenfalls auch des - ebenfalls von der Zollbehörde einvernommenen - gewerberechtlichen Geschäftsführers der vom Beschwerdeführer vertretenen Gesellschaft. In diesem Falle wäre es dem Beschwerdeführer unbenommen geblieben, seine Parteienrechte - etwa durch Befragung dieser Zeugen - im Verfahren zu wahren.

Damit belastete sie aber den erstangefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden. Der Anforderung des Art. 6 EMRK wurde im Übrigen im vorliegenden Fall bereits durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, einem Tribunal im Sinn der belangten Behörde, Genüge getan (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 2000/09/0091, mwN).

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde im Übrigen als weiteren Milderungsgrund die lange Dauer des Verfahrens zu berücksichtigen haben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere dessen § 3 Abs. 2.

Wien, am 29. Jänner 2009

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