VwGH 2007/04/0141

VwGH2007/04/014122.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der Stadt Wien - Wiener Wohnen, vertreten durch Schwartz und Huber-Medek Rechtsanwälte OEG in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid des Vergabekontrollsenates des Landes Wien vom 15. Mai 2007, Zl. VKS - 2467/07, betreffend Nichtigerklärung einer Ausscheidensentscheidung (mitbeteiligte Partei: Bietergemeinschaft S in W, vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte OEG in 1010 Wien, Bartensteingasse 2), zu Recht erkannt:

Normen

31992L0050 Vergabekoordinierungs-RL Dienstleistungsaufträge Art29 lite impl;
31992L0050 Vergabekoordinierungs-RL Dienstleistungsaufträge Art29 litf impl;
32004L0018 Vergabe-RL öffentliche Bauaufträge Art45 Abs2 lite;
32004L0018 Vergabe-RL öffentliche Bauaufträge Art45 Abs2 litf;
62004CJ0226 La Cascina VORAB;
BAO §212 Abs1;
BVergG §129 Abs1 Z1;
BVergG §129 Abs1 Z2;
BVergG §68 Abs1 Z6;
BVergG §69 Z1;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
31992L0050 Vergabekoordinierungs-RL Dienstleistungsaufträge Art29 lite impl;
31992L0050 Vergabekoordinierungs-RL Dienstleistungsaufträge Art29 litf impl;
32004L0018 Vergabe-RL öffentliche Bauaufträge Art45 Abs2 lite;
32004L0018 Vergabe-RL öffentliche Bauaufträge Art45 Abs2 litf;
62004CJ0226 La Cascina VORAB;
BAO §212 Abs1;
BVergG §129 Abs1 Z1;
BVergG §129 Abs1 Z2;
BVergG §68 Abs1 Z6;
BVergG §69 Z1;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchpunkten 1. und

3. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.287,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Auftraggeberin hat in einer europaweiten Kundmachung die Vergabe eines Bauauftrages im Oberschwellenbereich bekannt gemacht und dazu insgesamt neun offene Verfahren zur Vergabe von Rahmenverträgen betreffend die Durchführung diverser Elektrikerarbeiten in den von ihr verwalteten Wohnhausobjekten in den 23 Wiener Bezirken durchgeführt. Die Laufzeit dieser Rahmenverträge beträgt jeweils drei Jahre mit einer Option auf eine einmalige Verlängerung für weitere drei Jahre, die Vergabe der Leistungen sollte nach dem einzigen Zuschlagskriterium "niedrigster Preis" erfolgen. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 14. August 2006 festgelegt.

Die mitbeteiligte Partei, eine Bietergemeinschaft aus vier Mitgliedern, hat im vorliegenden Fall ein Angebot für einen Rahmenvertrag betreffend Wohnhausobjekte im 13. und 23. Bezirk gelegt (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 18. März 2009, Zl. 2007/04/0234, zu einem Angebot derselben Bietergemeinschaft betreffend weitere Wiener Bezirke). Nach den Ergebnissen der Angebotseröffnung vom 17. August 2006 wäre das Angebot der mitbeteiligten Bietergemeinschaft an zweiter Stelle zu reihen gewesen.

Mit Schreiben der beschwerdeführenden Auftraggeberin vom 21. März 2007 wurde das Angebot der mitbeteiligten Bietergemeinschaft "gemäß § 129 Abs. 1 Z. 1 iVm § 68 Abs. 1 BVergG 2006 und § 129 Abs. 1 Z. 2 BVergG 2006" ausgeschieden. Als Begründung wurde angeführt, dass die mitbeteiligte Partei "ihre Verpflichtungen zur Zahlung der Steuern und Abgaben in Österreich nicht erfüllt habe und die ausgewiesenen Rückstände nicht bloß geringfügig sind. Angesichts der Höhe dieser Rückstände müssen wir Sie als finanziell nicht leistungsfähig qualifizieren".

Mit Schriftsatz vom 4. April 2007 beantragte die mitbeteiligte Bietergemeinschaft, soweit hier relevant, die Nichtigerklärung dieser Ausscheidensentscheidung und den Ersatz der für diesen Antrag geleisteten Pauschalgebühren. Sie brachte dazu vor, dass jene Mitglieder der Bietergemeinschaft, deren Abgabenkonten nicht ausgeglichen oder positiv gewesen seien, über eine aufrechte Zahlungsvereinbarung mit dem zuständigen Finanzamt verfügt hätten. Bereits mit der Angebotsabgabe hätten diese Mitglieder der Bietergemeinschaft durch Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen, Auszügen aus den Lastenkonten und aufrechten Zahlungsvereinbarungen mit dem Finanzamt nachgewiesen, dass sämtliche Raten fristgerecht bezahlt worden seien. Die betroffenen Mitglieder der Bietergemeinschaft hätten daher ihre Verpflichtung zur Zahlung der Steuern und Abgaben in Österreich zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens erfüllt. Im Hinblick auf die durch die Finanzbehörden gewährte Zahlungserleichterung gemäß § 212 BAO seien die Mitglieder nicht verpflichtet gewesen, die ausstehenden Abgaben früher als mit den Finanzbehörden vereinbart zu begleichen. Daher sei die Höhe der insgesamt noch offenen Abgaben nicht relevant (Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 9. Februar 2006, Rs C-226/04 und C-228/04 ). Im Übrigen habe die beschwerdeführende Partei zur finanziellen Leistungsfähigkeit Unterlagen zur Kapitalausstattung, zum Anlagevermögen und zum Grundbesitz der Mitglieder der Bietergemeinschaft sowie Bonitätsauskünfte vorgelegt. Abgesehen davon, dass das an zweiter Stelle gereihte Angebot der mitbeteiligten Bietergemeinschaft daher nicht auszuscheiden gewesen wäre, wäre es auch als jenes Angebot mit dem niedrigsten Preis für die Zuschlagserteilung auszuwählen gewesen, weil das Angebot des erstgereihten Bieters aus näher genannten Gründen hätte ausgeschieden werden müssen.

Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde, soweit hier relevant, die Ausscheidensentscheidung der beschwerdeführenden Auftraggeberin vom 21. März 2007 für nichtig erklärt (Spruchpunkt 1.) und die Beschwerdeführerin verpflichtet, der mitbeteiligten Bietergemeinschaft die für den Nachprüfungsantrag entrichteten Pauschalgebühren zu ersetzen (Spruchpunkt 3.).

In der Begründung gab die belangte Behörde teilweise den Schriftverkehr zwischen Auftraggeberin und Bietergemeinschaft im Vergabeverfahren und deren Stellungnahmen im Nachprüfungsverfahren wieder und stellte fest, dass die mitbeteiligte Bietergemeinschaft gleichzeitig mit ihrem Angebot verschiedene Unterlagen zum Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit vorgelegt habe. So habe die Bietergemeinschaft einerseits Unbedenklichkeitsbescheinigungen des zuständigen Finanzamtes vom 12. April 2006 vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass hinsichtlich keines Mitgliedes der Bietergemeinschaft Abgabenforderungen bestünden. Andererseits habe die Bietergemeinschaft mit dem Angebot aber auch sogenannte Buchungsmitteilungen des zuständigen Finanzamtes (nach dem Akt: datiert vom 20., 26. und 27. April 2006) vorgelegt, aus denen für drei der vier Mitglieder der Bietergemeinschaft "beträchtliche Abgabenrückstände" (nach den aktenkundigen Buchungsmitteilungen mehr als EUR 800.000,--) ersichtlich seien. Auf Grund dieser widersprüchlichen Unterlagen zur finanziellen Leistungsfähigkeit der mitbeteiligten Bietergemeinschaft habe die beschwerdeführende Auftraggeberin ergänzende Auskünfte zur Aufklärung dieses Widerspruchs gefordert. Mit Schreiben vom 26. Februar 2007 habe die Bietergemeinschaft dazu bekannt gegeben, dass ihren Mitgliedern nach einer Betriebsprüfung eine Steuerrückzahlung (gemeint: Steuernachzahlung) in verschieden hohen Beträgen vorgeschrieben worden sei, für die das Finanzamt über Antrag die Ratenzahlung bewilligt habe. Da diese Ratenzahlungsverpflichtungen, so die Bietergemeinschaft in der genannten Anfragebeantwortung, termingerecht erfüllt würden, habe das Finanzamt die Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgestellt.

Weiters stellte die belangte Behörde fest, dass die Bietergemeinschaft auf Grund einer zweiten Aufforderung der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 19. März 2007 zusätzliche Unterlagen zur finanziellen Leistungsfähigkeit, darunter mit 14. März 2007 datierte Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamtes vorgelegt habe. In diesen werde hinsichtlich der betreffenden drei Mitglieder der Bietergemeinschaft bescheinigt, dass "gegenwärtig Abgabenforderungen bestehen, die im Rahmen einer Zahlungsvereinbarung entrichtet werden". Nach Verständigung der Bietergemeinschaft über die gegenständliche Ausscheidensentscheidung vom 21. März 2007 habe diese mitgeteilt, dass die Mitglieder der Bietergemeinschaft am 22. März 2007 sämtliche Abgabenforderungen über die aufrechten Zahlungsvereinbarungen hinaus erfüllt hätten, sodass keine Steuerrückstände mehr bestünden.

In der rechtlichen Beurteilung des Nachprüfungsantrages ging die belangte Behörde zunächst auf den Einwand der beschwerdeführenden Auftraggeberin ein, wonach die Bietergemeinschaft auf Grund ihrer Reihung an zweiter Stelle auch dann keine Chance auf den Zuschlag hätte, wenn sie nicht auszuscheiden wäre. Diese Ansicht könne die belangte Behörde im Hinblick auf das Vorbringen im Nachprüfungsantrag, dass das an erster Stelle gereihte Unternehmen mangels entsprechender Referenzen auszuscheiden gewesen wäre, nicht teilen. Das Verifizieren dieses Argumentes sei der belangten Behörde nicht möglich, da ihr der diesbezügliche Teil des Vergabeaktes von der beschwerdeführenden Auftraggeberin nicht vorgelegt worden sei.

Es stelle sich daher die Frage, ob ein Bieter wie die mitbeteiligte Partei, der von der Zahlungserleichterung (Ratenzahlungsbewilligung) gemäß § 212 BAO Gebrauch mache, den Ausscheidungsgrund der Nichterfüllung der Steuer- und Abgabenpflicht des § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG verwirkliche. Diese Frage sei nach Ansicht der belangten Behörde zu verneinen, weil bei Vorliegen einer entsprechenden Ratenzahlungsbewilligung und bei regelmäßiger Erfüllung derselben keine Verpflichtung bestehe, die noch offenen Teilzahlungen schon vor den in dieser Bewilligung vorgesehenen Zeitpunkten zu leisten. Der Tatbestand der Nichterfüllung der Verpflichtung zur Zahlung der Steuern und Abgaben in Österreich im Sinne des § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG 2006 sei daher nicht erfüllt, solange eine entsprechende Zahlungserleichterung eingehalten werde. Dem stehe nach Ansicht der belangten Behörde auch die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung des Art. 29 lit. e und f der Richtlinie 92/50/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nicht entgegen. Zu dieser Bestimmung habe nämlich der EuGH im Urteil vom 9. Februar 2006, Rs C-226/04 und C- 228/04 , ausgesprochen, dass sie einer nationalen Regelung oder Verwaltungspraxis nicht entgegenstehe, nach der ein Dienstleistungserbringer, der bei Ablauf der Frist für die Einreichung des Antrages auf Teilnahme am Vergabeverfahren seine Verpflichtungen im Bereich (u.a.) der Steuern und Abgaben nicht durch vollständige Zahlung der entsprechenden Beträge erfüllt hat, seine Situation (u.a.) auf Grund einer mit der Verwaltung getroffenen Vereinbarung über Ratenzahlung oder Schuldenentlastung nachträglich regularisieren könne, sofern er innerhalb dieser Frist nachweise, dass er Begünstigter solcher Maßnahmen oder einer solchen Vereinbarung gewesen sei. Nach diesem Urteil - so die belangte Behörde weiter - müsse somit der Nachweis einer Ratenvereinbarung bei der Angebotsabgabe vorliegen.

Der im vorliegenden Fall bedeutsame § 212 BAO enthalte eine derartige gemeinschaftsrechtlich zulässige Regelung, nach der ein Unternehmer bei Vorliegen einer mit den Behörden getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung einen Ausschlussgrund im Sinne der zitierten Richtlinienbestimmung nicht erfülle. Im konkreten Fall hätten, so die belangte Behörde in der abschließenden Subsumtion, drei Mitglieder der mitbeteiligten Bietergemeinschaft in zulässiger Weise "von den Möglichkeiten einer Zahlungsvereinbarung, wie sie die Bundesabgabenordnung vorsieht, Gebrauch gemacht", wobei hinzukomme, dass die betroffenen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft den in dieser Zahlungsvereinbarung festgelegten Verpflichtungen auch tatsächlich entsprochen hätten. Der Ausschlussgrund des § 129 Abs. 1 Z. 1 iVm § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG 2006 liege somit nicht vor. Entsprechendes gelte auch für den Ausscheidungsgrund des § 129 Abs. 1 Z. 2 BVergG 2006, weil die Auftraggeberin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bietergemeinschaft allein wegen des genannten Vorhandenseins von Abgabenforderungen verneint habe, ohne auf die übrigen Bestätigungen über die Kapitalausstattung, das Anlagevermögen und den Grundbesitz der Arbeitsgemeinschaft einzugehen. Da somit die rechtliche Grundlage für die Ausscheidung des Angebotes der Bietergemeinschaft fehle, sei die Ausscheidensentscheidung der Beschwerdeführerin für nichtig zu erklären gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Auftraggeberin, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Bietergemeinschaft, eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden Rechtsvorschriften des Bundesvergabegesetzes 2006 - BVergG 2006 lauten:

"Ausschlussgründe

§ 68. (1) Der Auftraggeber hat - unbeschadet der Abs. 2 und

3 - Unternehmer von der Teilnahme am Vergabeverfahren

auszuschließen, wenn

...

6. sie ihre Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge oder der Steuern und Abgaben in Österreich oder nach den Vorschriften des Landes, in dem sie niedergelassen sind, nicht erfüllt haben, oder

...

Zeitpunkt des Vorliegens der Eignung

§ 69. Unbeschadet der Regelung des § 20 Abs. 1 muss die Befugnis, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit spätestens

1. beim offenen Verfahren zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung,

...

vorliegen.

Ausscheiden von Angeboten

§ 129. (1) Vor der Wahl des Angebotes für die Zuschlagsentscheidung hat der Auftraggeber auf Grund des Ergebnisses der Prüfung folgende Angebote auszuscheiden:

1. Angebote von Bietern, die von der Teilnahme am Vergabeverfahren gemäß § 20 Abs. 5 oder gemäß § 68 Abs. 1 auszuschließen sind;

2. Angebote von Bietern, deren Befugnis, finanzielle, wirtschaftliche oder technische Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit nicht gegeben ist;

..."

Die beschwerdeführende Auftraggeberin erachtet sich in der Beschwerde in ihrem Recht verletzt, einen Bieter, der beträchtliche Steuerrückstände habe, auszuschließen und sein Angebot auszuscheiden. Sie vertritt dazu im Wesentlichen die Rechtsauffassung, dass der Ausschlussgrund der Nichterfüllung der Steuer- und Abgabenverpflichtungen im Sinne des § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG 2006 schon dann erfüllt sei, wenn der Bieter im Sinne des zitierten Urteils des EuGH seine Steuern und Abgaben innerhalb der nach nationalem Recht festzusetzenden Frist, also gemäß § 69 Z. 1 BVergG 2006 bis zur Angebotsöffnung, nicht "vollständig beglichen" habe (Hinweis auf Rn 33 des zitierten Urteils des EuGH vom 9. Februar 2006). Im gegenständlichen Fall hätten drei der vier Mitglieder der Bietergemeinschaft, wie sich aus den von ihr vorgelegten Unterlagen ergebe, im Zeitpunkt der Angebotsöffnung am 17. August 2006 die Steuern keineswegs "vollständig beglichen", da hinsichtlich dieser Mitglieder Abgaben in einem Gesamtausmaß von mehr als EUR 800.000,-- unberechtigt ausgehaftet seien. Dass diese Steuerschulden danach, nämlich im Jahr 2007, beglichen worden seien, sei unbeachtlich. Wenn die belangte Behörde demgegenüber die Bewilligung einer Zahlungserleichterung (Stundung bzw. Ratenzahlung) gemäß § 212 BAO und deren regelmäßige Erfüllung als ausreichend ansehe, um die Steuer- und Abgabenpflicht im Sinne des § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG zu erfüllen, so führe dies nach Ansicht der beschwerdeführenden Auftraggeberin zu Wettbewerbsverzerrungen:

So könne sich ein Bieter, der sich fällige Abgaben stunden lasse, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber jenen Bietern verschaffen, die rechtstreu und fristgerecht ihre Steuern entrichteten.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens übereinstimmend und zutreffend davon ausgehen, dass im gegenständlichen Fall entscheidend ist, ob die Leistungsfähigkeit der mitbeteiligten Bietergemeinschaft im hier maßgebenden Zeitpunkt der Angebotsöffnung am 17. August 2006 (§ 69 Z. 1 BVergG 2006) gegeben war. Daher hat der Umstand, dass Mitglieder der Bietergemeinschaft ihre Steuerschulden nach diesem Zeitpunkt beglichen haben, außer Betracht zu bleiben.

Im vorliegenden Beschwerdefall geht es im Kern um die Frage, ob bei der mitbeteiligten Bietergemeinschaft der Ausscheidungstatbestand des § 129 Abs. 1 Z. 1 iVm § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG 2006 (im Falle der Verneinung: der Ausscheidungstatbestand des § 129 Abs. 1 Z. 2 leg. cit.) im Hinblick auf den unstrittigen Umstand vorlag, dass drei ihrer Mitglieder im hier maßgebenden Zeitpunkt der Angebotseröffnung einerseits nicht unerhebliche Abgabenschulden hatten, hinsichtlich der ihnen aber andererseits von den Finanzbehörden Zahlungserleichterungen (Ratenzahlungen) bewilligt worden waren, denen jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Angebotseröffnung entsprochen wurde. (Soweit die Beschwerde die Nichteinhaltung der Ratenzahlung nach dem Zeitpunkt der Angebotsöffnung einwendet, ist abermals auf § 69 Z. 1 BVergG 2006 zu verweisen.)

Gemäß § 212 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Ansuchen des Abgabepflichtigen unter näher genannten Voraussetzungen für bestimmte Abgaben deren Entrichtung hinausschieben (Stundung) oder die Entrichtung in Raten bewilligen. Davon ausgehend vertritt die belangte Behörde zutreffend die Rechtsansicht, dass in einem Fall, in dem von der Finanzbehörde Ratenzahlungen bewilligt wurden und die Raten entsprechend den Vorgaben dieser Bewilligung geleistet werden, nicht gesagt werden kann, der Betreffende erfülle seine Verpflichtungen zur Zahlung der Steuern oder Abgaben nicht und erfülle den Ausschlusstatbestand des § 68 Abs. 1 Z. 6 BVergG 2006.

Dem steht entgegen der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen, sofern - wie im Folgenden aufgezeigt wird - bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:

Die Richtlinie 2004/18/EG vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (die gemäß Art. 80 bis zum 31. Jänner 2006 umzusetzen war und gemäß Art. 82 die Richtlinie 92/50/EWG aufgehoben hat) lautet auszugsweise:

"Artikel 45

Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters

...

(2) Von der Teilnahme am Vergabeverfahren kann jeder Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden,

...

e) die ihre Verpflichtung zur Zahlung der Sozialbeiträge nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie niedergelassen sind, oder des Landes des öffentlichen Auftraggebers nicht erfüllt haben,

f) die ihre Verpflichtung zur Zahlung der Steuern und Abgaben nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sie niedergelassen sind, oder des Landes des öffentlichen Auftraggebers nicht erfüllt haben; ..."

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat im bereits zitierten Urteil vom 9. Februar 2006, Rs C-226/04 und C- 228/04 , La Cascina und Zilch, zur wörtlich im Wesentlichen identen Vorgängerbestimmung des Art. 29 lit. e und f der Dienstleistungsrichtlinie vom 18. Juni 1992, 92/50/EWG, ausgesprochen, dass die letztgenannte Bestimmung die Grenzen der Befugnis der Mitgliedstaaten nur in dem Sinne festlege, dass diese keine anderen Ausschlussgründe als die in ihr angegebenen vorsehen dürfen (Rn 22). Der genannte Artikel der Richtlinie ziele daher auf dem fraglichen Gebiet nicht auf eine einheitliche Anwendung der in ihm angeführten Ausschlussgründe auf Gemeinschaftsebene, denn die Mitgliedstaaten seien befugt, diese Ausschlussgründe entweder überhaupt nicht anzuwenden, indem sie sich für eine größtmögliche Beteiligung an den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge entscheiden oder aber diese Gründe je nach den auf nationaler Ebene maßgeblichen rechtlichen wirtschaftlichen oder sozialen Erwägungen im Einzelfall mit unterschiedlicher Strenge in die nationale Regelung aufzunehmen (Rn 23). Art. 29 der Richtlinie 92/50/EWG enthalte keine Definition des Begriffes "Nichterfüllung ihrer Verpflichtung", daher seien Inhalt und Umfang der fraglichen Verpflichtungen sowie der Bedingungen ihrer Erfüllung in den nationalen Vorschriften festzulegen (Rn 25). Es sei daher Sache der nationalen Vorschriften, festzulegen, bis zu welchem Zeitpunkt oder innerhalb welcher Frist die Betreffenden die ihren Verpflichtungen entsprechenden Zahlungen geleistet haben müssen (Rn 31), wobei jedoch die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung verlangten, dass diese Frist mit absoluter Gewissheit bestimmt und öffentlich bekannt gegeben werde (Rn 32). Daher habe ein Bewerber "vorbehaltlich der in den Randnummern 34 bis 39 des vorliegenden Urteils behandelten Fälle" seine Verpflichtungen dann erfüllt, wenn er seine Schulden (u.a.) im Bereich der Steuern oder Abgaben innerhalb der in nationalen Vorschriften festzulegenden Frist "vollständig beglichen" habe (Rn 33).

Davon ausgehend hat sich der EuGH in den Rn 34 bis 36 konkret mit der Frage beschäftigt, ob mit der genannten Bestimmung der Richtlinie eine nationale Regelung oder Verwaltungspraxis vereinbar sei, nach der Dienstleistungserbringern die Möglichkeit gegeben werde, ihre steuer- und sozialversicherungsrechtliche Situation "nachträglich zu regularisieren", so etwa durch eine mit der Verwaltung getroffene Vereinbarung über Ratenzahlung oder Schuldenentlastung. In Rn 36 des genannten Urteils führt der EuGH sodann wie folgt aus:

"Mithin ist eine nationale Regelung oder Verwaltungspraxis, nach der die betreffenden Bewerber bei Vorliegen von Maßnahmen der steuerlichen Milde oder der Steueramnestie oder auf Grund einer Vereinbarung mit der Verwaltung als Bewerber angesehen werden, die im Hinblick auf ihre Zulassung zu einem Vergabeverfahren ihre Verpflichtungen erfüllt haben, nicht mit Artikel 29 Absatz 1 Buchstaben e und f der Richtlinie unvereinbar, sofern die Betreffenden innerhalb der in Randnummer 31 des vorliegenden Urteils genannten Frist nachweisen können, dass sie Begünstigte von Maßnahmen der steuerlichen Milde oder einer Steueramnestie oder einer mit der Verwaltung getroffenen Vereinbarung über ihre Schulden waren."

Zweifellos sind diese Ausführungen des EuGH auch für die im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmungen des Art. 45 Abs. 2 lit. e und f der Richtlinie 2004/18/EG von Bedeutung.

Wenn daher die Beschwerde unter Bezugnahme auf Rn 33 des wiedergegebenen Urteils ausführt, ein Bewerber erfülle den Ausschlusstatbestand des Art. 45 Abs. 2 lit. f dieser Richtlinie nur dann nicht, wenn er seine Schulden im Bereich der Steuern und Abgaben innerhalb der nach nationalen Vorschriften festgelegten Frist "vollständig beglichen hat", so verschweigt sie, dass der EuGH seine Ausführungen in dieser Randnummer ausdrücklich "vorbehaltlich der in den Randnummern 34 bis 39 des vorliegenden Urteils behandelten Fälle" verstanden wissen wollte.

Im Hinblick auf die zitierte Rn 36 genügt es daher zur Vermeidung des Ausschlussgrundes des Art. 45 Abs. 2 lit. f der Richtlinie (und damit auch zur Hintanhaltung der Erfüllung des diese Richtlinienbestimmung in nationales Recht umsetzenden § 68 Abs. 1 Z 6 BVergG 2006), dass der Bieter - fristgerecht - "nachweist", dass er Begünstigter einer Ratenvereinbarung ist und diese tatsächlich erfüllt (vgl. zum letztgenannten die Rn 25 und 35 des genannten Urteiles, wonach es Sache des nationalen Rechts ist, Inhalt und Tragweite des Begriffes "Nichterfüllung ihrer Verpflichtung" zu bestimmen).

Entscheidend ist daher im vorliegenden Beschwerdefall, ob die mitbeteiligte Bietergemeinschaft bis zu dem in § 69 Z. 1 BVergG 2006 bezeichneten Zeitpunkt der Angebotseröffnung, im konkreten Fall also bis zum 17. August 2006, die ihren Mitgliedern erteilten Ratenzahlungsbewilligungen sowie die pünktliche Erfüllung derselben gegenüber der Auftraggeberin "nachgewiesen" hat. (Das allfällige Fehlen eines solchen Nachweises wäre ein behebbarer Mangel; vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2006, Zl. 2003/04/0192, mwN.) Eine diesbezügliche Behauptung der mitbeteiligten Bietergemeinschaft findet sich in ihrem Nachprüfungsantrag (Seite 7), in dem sie vorgebracht hat, dass sie schon bei der Angebotsabgabe die aufrechten Zahlungsvereinbarungen nachgewiesen habe. Dies lässt sich allerdings anhand der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten (auch unter anderen Gesichtspunkten offenbar nicht vollständigen) Vergabeakten nicht verifizieren, da sich bei dem dort einliegenden Angebot der Bietergemeinschaft jedenfalls nicht die entsprechenden Ratenzahlungsbewilligungen befinden oder andere diesbezügliche Nachweise. Auch die belangte Behörde hat dazu keinerlei Feststellungen getroffen, obwohl sie im angefochtenen Bescheid (Seite 27) die Entscheidungsrelevanz dieser Frage erkannt hat. Wie erwähnt hat sie den angefochtenen Bescheid letztlich bloß darauf gestützt, dass Mitglieder von einer solchen Zahlungsvereinbarung "Gebrauch gemacht haben".

Die belangte Behörde hat es somit trotz der im Zeitpunkt der Angebotsabgabe unstrittig bestehenden Steuerschulden der Mitglieder der Bietergemeinschaft unterlassen, festzustellen, ob die Behauptung der Bietergemeinschaft zutrifft, dass diese der Auftraggeberin bis zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung die entsprechenden Zahlungsvereinbarungen nachgewiesen und diese fristgerecht erfüllt habe.

Der angefochtene Bescheid ist daher in den bezeichneten Spruchteilen mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet und war insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. April 2009

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