Normen
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab und stellte unter einem gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Weiters wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz keine Folge gegeben.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der ab 23. August 2006 in Schubhaft angehaltene Beschwerdeführer sei mit seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern am 23. August 2006 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Sie alle hätten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Auf Grund der "Eurodac-Treffer" vom 23. August 2006 hätten sich Hinweise auf in Polen gestellte Asylanträge ergeben. Der Beschwerdeführer habe die Reiseroute geschildert, jedoch die Befürchtung geäußert, er und seine Familie könnten von Polen, wo sie Asylanträge gestellt hätten, nach Russland "ausgeliefert" werden. Dies sei der Grund, weshalb sie sich nach etwa einjährigem Aufenthalt in Polen entschlossen hätten, nach Österreich weiterzureisen. Am 25. August 2006 sei dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 (Z 4) Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil "eine entschiedene Sache vorliege und seit dem 24.8.2006 mit Polen Dublin-Konsultationen geführt" würden. Weiters sei bei der Fremdenpolizeibehörde ein in englischer Sprache verfasstes Antwortschreiben der zuständigen Ausländerbehörde Polens eingelangt, "welches der Vorbereitung der Rückübernahme dienen" solle.
In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, auf Grund der Umstände, dass der Beschwerdeführer unbestritten von Polen nach Österreich gekommen sei, bereits dort einen Asylantrag gestellt habe, das Bundesasylamt die Erlassung einer Ausweisung vorbereitet habe und ihm eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 zugestellt habe, dürfe begründet davon ausgegangen werden, es werde zu einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 kommen. Zum Sicherungsbedarf hielt die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei mittellos und "besitzt, wie sollte er auch, keine Integration am österreichischen Arbeitsmarkt". Eine solche sei "zumindest auf legalem Wege derzeit" auch nicht erwartbar. Abgesehen "vom Thema Grundversorgung" habe der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise behauptet, finanzielle Ansprüche "im Bereich der EU bzw. der in diesem Zusammenhang zu sehenden sonstigen Staaten" zu haben. Zu seinen familiären Bindungen sei auszuführen, dass seine Ehefrau und die drei Kinder in Österreich noch nicht ansässig seien. Den Angaben des Beschwerdeführers zufolge hätten er und seine Familie die Entscheidungen in den Asylverfahren in Polen nicht abgewartet, sondern seien "eigenmächtig" nach Österreich weitergezogen. Die Annahme der Fremdenpolizeibehörde, der Beschwerdeführer werde nicht kooperativ sein und sich dem weiteren Verfahren entziehen bzw. "untertauchen", sei im Hinblick auf "sein sonstiges Fehlverhalten (Nichtabwarten der Asylentscheidungen im EU-Staat Polen, illegale Ein- und Ausreisen des Fremden - mit seiner Familie - ohne Reisepass in den o.a. Schengen-Staaten, Mittellosigkeit, Nichtvorhandensein naher verwandter, in Österreich ansässiger Bezugspersonen, fehlende Unterkunftsmöglichkeit)" als berechtigt anzusehen. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei durch eine besonders ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber den für die Einreise und Aufenthalt von Fremden geschaffenen Regelungen gekennzeichnet, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme, zumal er durch das Überschreiten mehrerer Grenzen das fremdenpolizeiliche Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat zu vereiteln getrachtet habe. Eine berufliche oder soziale Verankerung im Inland sei nicht gegeben. Die Anwendung gelinderer Mittel im Sinne des § 77 FPG scheide daher aus. Zum behaupteten negativen Gesundheitszustand sei - so die belangte Behörde abschließend - auszuführen, dass die Haftfähigkeit in einem "eigenen, der Befugnis der belangten Behörde entzogenen Verfahren - Anstaltsverfahren - zu prüfen" sei. "Zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme und der weiteren Anhaltung" sei eine Haftunfähigkeit "weder augenscheinlich noch annehmbar".
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde hat bei Prüfung des Schubhaftgrundes nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG - hier infolge der begründeten Annahme, es werde wegen der wahrscheinlichen Zuständigkeit Polens im Asylverfahren zur Antragszurückweisung und Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 kommen, vorerst jener nach der Z 4 und nach Einleitung des Ausweisungsverfahrens jener nach der Z 2 - die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die (schon) in diesen frühen Asylverfahrensstadien ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. ausführlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043). Dass der Beschwerdeführer (mit seiner Familie) unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist ist, um hier wegen der behaupteten Verfolgung in seinem Heimatland einen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, stellt keinen besonderen Umstand dar, der in nachvollziehbarer Weise den Schluss zuließe, der Beschwerdeführer werde sich dem Verfahren durch "Untertauchen" entziehen. In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr maßgeblich darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass der Beschwerdeführer aus eigenem unmittelbar nach seiner Einreise das Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost) aufsuchte und dort den Antrag auf internationalen Schutz stellte. Weder der vorangegangene Aufenthalt in Polen noch die dort erfolgte Antragstellung wurde von ihm verschwiegen. Darüber hinaus ging auch die belangte Behörde nicht davon aus, der von ihm geschilderte Reiseweg oder die von ihm angegebenen Personaldaten seien ungeachtet dessen, dass er über kein Identitätsdokument verfügt, unrichtig.
Vor diesem Hintergrund fehlen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer werde sich dem weiteren Verfahren entziehen und für die Behörden nicht erreichbar sein. Für eine solche Befürchtung müssten vielmehr vor allem aus dem bisherigen Verhalten des Fremden ableitbare spezifische Hinweise bestehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass die Verhängung der Schubhaft in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf. Besondere Gesichtspunkte, die erkennen ließen, es handle sich hier um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Beschwerdeführer geschlossen hätte werden können, sind fallbezogen, und zwar ungeachtet dessen, dass im Asylverfahren das Ausweisungsverfahren auch formell eingeleitet wurde, nicht erkennbar. Dementsprechend konnte - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - auch nicht davon gesprochen werden, das Verhalten des Beschwerdeführers sei durch eine besonders ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber den für die Einreise und Aufenthalt von Fremden geschaffenen Regelungen gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass die Aussage der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat einem fremdenpolizeilichen Verfahren entzogen, in den vorgelegten Verwaltungsakten keine Deckung findet; ergibt sich doch aus diesen "lediglich", dass in Polen Asylverfahren anhängig waren. Über die Existenz und den Ausgang fremdenpolizeilicher Verfahren lässt sich daraus jedoch ohne Weiteres nichts ableiten, zumal der Beschwerdeführer in seiner (im angefochtenen Bescheid wörtlich wiedergegebenen) Vernehmung vom 23. August 2006 angegeben hatte, in Polen über eine "Duldung" verfügt zu haben.
Soweit die belangte Behörde auch auf die Mittellosigkeit sowie die fehlende soziale und berufliche Integration des Beschwerdeführers abstellt, handelt es sich dabei in Bezug auf (wie der Beschwerdeführer noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt. Der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. zum Gesamten etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233, mwH).
Soweit die belangte Behörde meint, eine allfällige Haftunfähigkeit wäre im Schubhaftbeschwerdeverfahren jedenfalls nicht wahrzunehmen, ist sie darauf hinzuweisen, dass ihre Ansicht nicht dem Gesetz entspricht. Die Frage einer allfälligen Haftunfähigkeit, die dazu führt, dass ein Fremder nicht angehalten werden darf und die damit eine Frage der Rechtmäßigkeit seiner Anhaltung betrifft, ist einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2006/21/0127, mwH). Dies fällt auch deshalb ins Gewicht, weil eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustands - selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultieren sollte - im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen kann, dass an Stelle der Anordnung des Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend sein könnte (vgl. neuerlich das soeben erwähnte hg. Erkenntnis vom 29. April 2008).
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 30. April 2009
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