VwGH 2006/19/0515

VwGH2006/19/051517.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der L, vertreten durch Dr. Anne Marie Kosesnik-Wehrle, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ölzeltgasse 4, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Oktober 2005, Zlen. 253.385/2-VII/19/05 und 253.385/3- VII/19/05, betreffend 1. Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und 2. Zurückweisung der Berufung als verspätet in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;
ZustG §4;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
ZustG §8;
AVG §66 Abs4;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;
ZustG §4;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
ZustG §8;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist ukrainische Staatsangehörige und beantragte am 19. August 2003 Asyl. In der Niederschrift über ihre Einvernahme durch das Bundesasylamt am 9. September 2003 wurde folgende Wohnadresse der Beschwerdeführerin festgehalten:

"Wien 14., Märzstraße 152/14".

Aus den vom Bundesasylamt eingeholten Auskünften aus dem Zentralen Melderegister vom 3. März und 27. Mai 2004 ging hervor, dass die Beschwerdeführerin seit 19. Jänner 2004 von der Adresse Märzstraße 152/4, 1140 Wien, abgemeldet war und keine aufrechte Meldeadresse aufwies.

Mit Bescheid vom 2. Juni 2004 wies die erstinstanzliche Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und verfügte gemäß § 8 Abs. 2 AsylG deren Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet".

Nach Einholung einer weiteren Auskunft aus dem Zentralen Melderegister vom 11. Juni 2004, die keine aufrechte Meldeadresse der Beschwerdeführerin aufwies, verfügte das Bundesasylamt am 11. Juni 2004 die Zustellung dieses Bescheides durch "Hinterlegung im Akt". In der über diesen Zustellvorgang vorgenommenen Beurkundung hielt das Bundesasylamt fest, dass die Beschwerdeführerin an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig sei. Eine neuerliche Abgabestelle habe nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können. Der Bescheid werde daher gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Zustellgesetz (ZustG) ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt.

In ihrem Schriftsatz vom 24. August 2004 wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die Wirksamkeit der Zustellung durch Hinterlegung ohne vorherigen Zustellversuch, stellte "in eventu" einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, beantragte, dem Wiedereinsetzungsantrag aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, und erhob zugleich Berufung gegen den Bescheid vom 2. Juni 2004.

Mit Bescheid vom 1. September 2004 wies das Bundesasylamt den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) ab (Spruchpunkt I.) und den Antrag, "dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsverfahren" aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 71 Abs. 6 AVG zurück (Spruchpunkt II.). In ihrer Begründung ging die Behörde davon aus, dass die Zustellung ihres Bescheides vom 2. Juni 2004 am 11. Juni 2004 rechtswirksam durch Hinterlegung im Akt erfolgt sei. Dem Wiedereinsetzungsantrag komme - aus näher dargestellten Gründen - keine Berechtigung zu.

Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides eingebrachte Berufung wies die belangte Behörde mit dem erstangefochtenen Bescheid gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. Gleichzeitig wies sie mit dem zweitangefochtenen Bescheid die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 2. Juni 2004 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.

Gegen diese Bescheide wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags:

Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nur für den Fall, dass die Zustellung des Bescheides vom 2. Juni 2004 rechtmäßig erfolgt sei, also eventualiter erhoben. Dem Bundesasylamt wäre daher nur für den Fall der Rechtmäßigkeit des primär bestrittenen Zustellvorgangs eine Zuständigkeit zur Erledigung des nur hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrags zugekommen.

Die belangte Behörde ging erkennbar davon aus, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. Juni 2004 der Beschwerdeführerin am 11. Juni 2004 durch Hinterlegung im Akt gemäß § 23 ZustG rechtswirksam zugestellt worden sei. Die bloße Behauptung der Beschwerdeführerin, während des gesamten Zeitraumes des Asylverfahrens an der dem Bundesasylamt bekannten Adresse wohnhaft gewesen zu sein, entspreche nicht den (aktenkundigen) Tatsachen, da die Beschwerdeführerin laut vom Bundesasylamt mehrfach eingeholter Auskunft aus dem Zentralen Melderegister seit dem 19. Jänner 2004 an der zuletzt bekannten Adresse abgemeldet worden und zum maßgeblichen Zeitpunkt auch keine andere neue Adresse bekannt gewesen sei.

Gemäß § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 8 Abs. 2 leg. cit.).

Bei der hier in Rede stehenden Abgabestelle handelt es sich nach der Aktenlage um eine Wohnung. Darunter ist jene Räumlichkeit zu verstehen, in der jemand seine ständige Unterkunft hat, wo sich also der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Es kommt darauf an, ob die Wohnung im Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich bewohnt wird, nicht aber darauf, wo der Empfänger polizeilich gemeldet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1990, 90/11/0081).

Die belangte Behörde ist ausschließlich auf Grund der sich aus den eingeholten Auskünften aus dem Zentralen Melderegister ergebenden meldebehördlichen Abmeldung der Beschwerdeführerin davon ausgegangen, dass diese an der bisherigen Abgabestelle nicht mehr aufhältig gewesen sei. Eine meldebehördliche Abmeldung nimmt der Wohnung den Charakter einer Abgabestelle im Sinn des § 4 ZustG aber nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, 95/19/0527). Allein aus der meldebehördlichen Abmeldung, welche zudem - wie sich aus der vom Bundesasylamt eingeholten Auskunft aus dem Zentralen Melderegister vom 27. Mai 2004 ergibt - nicht von der Beschwerdeführerin selbst veranlasst wurde, sondern von Amts wegen erfolgte, lässt sich daher noch nicht zwingend ableiten, dass die Beschwerdeführerin ihre bisherige Abgabestelle geändert (aufgegeben) hätte.

Ob die für ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustG vorausgesetzte Änderung bzw. Aufgabe der bisherigen Abgabestelle im Sinn des Abs. 1 der zitierten Gesetzesstelle vorlag und die Zustellung des Bescheides vom 2. Juni 2004 rechtmäßig erfolgte, stand zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag durch das Bundesasylamt somit noch nicht fest. Der Eventualfall, der an eine innerprozessuale Bedingung geknüpft war und diese bedingte Prozesshandlung daher nicht unzulässig machte (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 6. Februar 1990, 89/14/0256, und vom 20. Dezember 2004, 2002/12/0101), lag somit nicht vor. Durch die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag hat das Bundesasylamt seine Zuständigkeit überschritten, weshalb die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid aus diesem Grund gemäß § 66 Abs. 4 AVG hätte beheben müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, 2006/19/0393).

Der erstangefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

2. Zur Zurückweisung der Berufung:

Die belangte Behörde hat dem Wiedereinsetzungsantrag - dessen letztinstanzliche Abweisung durch das vorliegende Erkenntnis rückwirkend aus dem Rechtsbestand beseitigt wird - mit Bescheid vom 29. Oktober 2004, Zl. 253.385/1-VII/19/04, aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die mit dem zweitangefochtenen Bescheid erfolgte Zurückweisung der verspäteten Berufung vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag durch die belangte Behörde entspricht unter diesen Umständen nicht dem Gesetz (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. August 2006, 2005/01/0643, 0644).

Der zweitangefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 17. März 2009

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