VwGH 2006/18/0346

VwGH2006/18/03464.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des M P in W, geboren am 10. Oktober 1977, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt-Platz 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. August 2006, Zl. SD 1011/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. August 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im Oktober 2002 mit einem Visum C nach Österreich eingereist, jedoch nicht wieder ausgereist und habe am letzten Tag der Gültigkeitsdauer seines Visums einen Asylantrag gestellt. Am 16. Juli 2003 habe er eine etwa 12 Jahre ältere österreichische Staatsbürgerin geheiratet und die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt. (Der Asylantrag wurde zurückgezogen.)

Bei einer durchgeführten Hauserhebung sei der unmittelbare Nachbar der Eheleute befragt worden und dieser habe angegeben, die österreichische Gattin zu kennen, diese habe aber einen österreichischen Lebensgefährten namens "F", den Beschwerdeführer habe er noch nie gesehen.

Am 26. September 2005 seien sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau einvernommen worden. Dabei sei es zu zahlreichen, näher beschriebenen Widersprüchen das behauptete Zusammenleben betreffend gekommen, worauf die Gattin letztlich zugegeben habe, mit dem Beschwerdeführer eine Scheinehe eingegangen zu sein. Die Ehe sei durch einen Bekannten vermittelt worden, Geld habe sie jedoch abgelehnt. Der Beschwerdeführer sei bei ihr gemeldet, wohne aber nicht bei ihr. Die Ehe sei nie vollzogen worden, es sei ausgemacht gewesen, dass die Ehe nur so lange bestehen solle, bis der Beschwerdeführer das unbefristete Visum habe. Ihr wirklicher Lebensgefährte sei der bereits bei der Hauserhebung vom Nachbarn genannte "F".

In seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2005 habe der Beschwerdeführer das Eingehen einer Scheinehe bestritten, er habe mit seiner Frau eine richtige Ehe führen wollen, es habe sich jedoch herausgestellt, dass sie geglaubt habe, keine Ehe mit ihm führen zu müssen. In der Stellungnahme vom 16. Februar 2006 habe der Beschwerdeführer wieder das Vorliegen einer Scheinehe, die zwischenzeitig auch geschieden worden sei, bestritten. Dass die erstinstanzliche Behörde keinen Antrag auf ein Ehenichtigkeitsverfahren bei der Staatsanwaltschaft gestellt habe, beweise, dass auch sie nicht von einer Scheinehe ausgehe.

In der Berufung habe der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass ein Vollzug des Geschlechtsverkehrs keine Voraussetzung für eine gültige Ehe sei. Seine Gattin habe im Scheidungsverfahren zugegeben, dass die eheliche Gemeinschaft aufgelöst sei, was bedeute, dass sie bestanden habe. Das Aufenthaltsverbot sei mit einer Strafe gleichzusetzen.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass auf Grund der dargelegten Umstände die Erstbehörde zutreffend zu dem Schluss gelangt sei, dass der Beschwerdeführer eine Ehe eingegangen sei, ohne ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu führen, und sich zur Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen habe. Die diesbezüglichen Angaben der Ehefrau seien schlüssig, nachvollziehbar und durchaus glaubwürdig, dies insbesondere hinsichtlich der aufgezeigten Widersprüche in den niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und der Ehefrau. Letztlich habe auch kein erkennbarer Grund bestanden, warum die Ehefrau den Beschwerdeführer wahrheitswidrig derart schwerwiegend belasten sollte. Für den Beschwerdeführer hingegen sei das Eingehen der Scheinehe der nahezu einzige Weg gewesen, eine Niederlassungsbewilligung für Österreich zu erlangen. Des Weiteren habe er ein ausgeprägtes Interesse daran, den Sachverhalt in einem für ihn günstigen Licht darzustellen. Auch wenn der Vollzug des Geschlechtsverkehrs die Gültigkeit der Ehe nicht beeinflusse, so sei dem - unbestrittenen - Umstand, dass es zwischen den Eheleuten zu keinem solchen gekommen sei, im gegebenen Zusammenhang doch Bedeutung zugekommen. Dass die Erstbehörde kein Ehenichtigkeitsverfahren bei der Staatsanwaltschaft angeregt habe, vermöge hingegen keinen zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstand darzustellen.

Das Aufenthaltsverbot stelle - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch keine Bestrafung dar.

Die belangte Behörde sei zu dem Schluss gelangt, dass der in § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG normierte Sachverhalt verwirklicht sei und die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 leg. cit. - im Grunde des § 60 Abs. 1 leg. cit. gegeben gewesen seien.

Der Beschwerdeführer sei geschieden, familiäre Bindungen bestünden zu seinem Bruder, mit dem er nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Sorgepflichten oder sonstige familiäre Bindungen bestünden nicht. Ein allfälliger Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei zulässig, da er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, zur Verhinderung von Scheinehen - dringend geboten sei. Das dargelegte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers widerspreche diesen öffentlichen Interessen gravierend. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG.

Bei der gemäß § 66 Abs. 2 leg. cit. durchzuführenden Interessenabwägung sei zu bedenken, dass der Beschwerdeführer auf keine maßgebliche Integration in Österreich verweisen könne, stütze sich doch sein bisheriger Aufenthalt auf einen kurzfristig gültigen Sichtvermerk, einen Asylantrag, den er zurückgezogen habe, und letztlich auf das dargestellte Fehlverhalten. Letzteres gelte auch für die vom Beschwerdeführer eingegangenen Beschäftigungsverhältnisse. Die ihm insgesamt zuzusprechende Integration könne daher keinesfalls als gewichtig gewertet werden. Angesichts der nicht ausgeprägten familiären Bindungen sei das dem Beschwerdeführer zu unterstellende Interesse an einem Weiterverbleib in Österreich gering. Dem gegenüber stehe das hohe öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keineswegs schwerer wögen als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an seinem Verlassen und Fernbleiben des Bundesgebietes. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 66 Abs. 2 leg. cit. als zulässig.

Mangels besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei nicht gegeben gewesen.

Hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes habe sich die belangte Behörde veranlasst gesehen, dieses in Übereinstimmung mit § 63 Abs. 1 FPG mit nunmehr zehn Jahren zu befristen. Das Eingehen einer Scheinehe zur Umgehung der maßgeblichen, die Zuwanderung nach Österreich regelnden Vorschriften stelle einen eklatanten Rechtsmissbrauch dar, der das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in immer schwerer wiegendem Ausmaß gefährde. Angesichts des dargestellten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers einerseits habe auch unter Bedachtnahme auf seine aktenkundige Lebenssituation andererseits vor Ablauf der nunmehr festgesetzten Frist nicht erwartet werden können, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen zuwiderläuft.

Nach § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.

2. Gegen die Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe bringt die Beschwerde lediglich vor, dass ein objektives Verfahren zur Begründung des von der belangten Behörde vermuteten Vorliegens einer Scheinehe fehle, da kein Ehenichtigkeitsverfahren durchgeführt worden sei.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Beurteilung der belangten Behörde, dass eine Scheinehe vorliege, nicht voraussetzt, dass die Ehe für nichtig erklärt worden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0285).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, dass die Angaben der Ehefrau über das Vorliegen einer Scheinehe schlüssig, nachvollziehbar und hinsichtlich der Widersprüche mit den Angaben des Beschwerdeführers durchaus glaubwürdig seien. Er behauptet nicht einmal, dass jemals ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt worden sei. Wenn die belangte Behörde angesichts der im angefochtenen Bescheid dargestellten Ermittlungsergebnisse zur Überzeugung gelangte, dass die Ehe zu dem Zweck geschlossen worden sei, um einen Aufenthaltstitel und damit eine beschäftigungsrechtliche Bewilligung erlangen zu können, und die Ehegatten kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt hätten, so begegnet diese Beweiswürdigung der belangten Behörde im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Kontrollbefugnis (vgl. etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.

Das Eingehen einer Ehe zum ausschließlichen Zweck, fremdenrechtlich oder ausländerbeschäftigungsrechtlich bedeutsame Berechtigungen zu erlangen, stellt eine gravierende Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2006/18/0470), weshalb auch gegen die weitere Beurteilung der belangten Behörde, dass angesichts des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keine Bedenken bestehen. Daran vermag auch das Beschwerdevorbringen, dass der Beschwerdeführer sowohl strafrechtlich als auch verwaltungsstrafrechtlich unbescholten sei, nichts zu ändern.

3. Ebenso begegnet die Interessenabwägung der belangten Behörde im Grunde des § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG keinem Einwand, und genügt es, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid zu verweisen.

4. Entgegen dem diesbezüglich nicht näher konkretisierten Beschwerdevorbringen liegt das gegenständliche Fehlverhalten noch nicht so lange zurück, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme nicht mehr gerechtfertigt wäre.

5. Auch mit dem gegen die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes gerichteten Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gemäß § 63 Abs. 1 FPG darf ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 und 12 bis 14 leg. cit. unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Nach der hg. Judikatur ist ein Aufenthaltsverbot, das nicht unbefristet erlassen werden kann, für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 19. Juni 2008).

Der Beschwerdeführer hat sich in seinem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf die von ihm geschlossene Scheinehe berufen, um rechtsmissbräuchlich eine Niederlassungsbewilligung und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen. In Anbetracht dieses Fehlverhaltens kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Auffassung vertreten hat, dass ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen der mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Gültigkeitsdauer erwartet werden könne.

6. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

7. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 4. Juni 2009

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