VwGH 2008/22/0032

VwGH2008/22/003228.8.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des DM in W, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Februar 2005, Zl. 314.079/2- III/4/04, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §19 Abs5;
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §20 Abs1;
FrG 1997 §8;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §19 Abs5;
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §20 Abs1;
FrG 1997 §8;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der (im August 1987 geborene) Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, beantragte am 16. Mai 2002 die erstmalige Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "für jeglichen Aufenthaltszweck, insbesondere aber Zusammenführung mit Familienangehörigen und Schulbesuch". Sein Vater und die Großeltern seien verstorben, der Aufenthalt seiner Mutter unbekannt. Deshalb sei dem Onkel, der im Antragszeitpunkt bereits über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung verfügte, mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 31. Oktober 2001 die Obsorge für den Beschwerdeführer übertragen worden.

Dieser Antrag wurde im Instanzenzug mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 14 Abs. 2, 20 Abs. 1 Fremdengesetzes 1997 (FrG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer noch nie im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels für die Republik Österreich gewesen sei, weshalb ein Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung vorliege. Seinen eigenen Angaben zufolge sei er im Jahr 2001 in das österreichische Staatsgebiet eingereist und seit dieser Zeit hier aufhältig. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG seien Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Lägen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG 1997 vor, könne der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung auch im Inland gestellt werden.

Das Berufungsschreiben enthalte "eine Behauptung humanitärer Gründe im Sinne des § 10 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997, und liegt keine Anregung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen, gemäß § 10 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 vor". Eine Überprüfung im Sinne des § 10 Abs. 4 FrG sei allerdings von Amts wegen durchgeführt worden.

Mit seinen Anträgen begehre der Beschwerdeführer einerseits die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" mit seinem in Österreich lebenden Onkel und andererseits eine solche für "jeglichen Aufenthaltszweck". Gemäß § 20 Abs. 1 FrG sei Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern solcher Fremder, die rechtmäßig auf Dauer niedergelassen seien, auf Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern sie ein gültiges Reisedokument besäßen und kein Versagungsgrund wirksam werde. Wie aus § 20 Abs. 1 FrG eindeutig hervorgehe, sei der Familiennachzug ausschließlich auf Ehegatten und deren minderjährige Kinder beschränkt. Der Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit dem Onkel" sei nicht vorgesehen. Mangels Vorliegens arbeitsmarktrechtlicher Voraussetzungen komme auch keine Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Erwerbstätigkeit in Betracht. Da kein anderer Aufenthaltszweck geeignet sei bzw. angestrebt werde, könne auch kein humanitärer Aspekt gemäß § 10 Abs. 4 FrG zum Tragen kommen. Eine Inlandsantragstellung könne daher gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz FrG von Amts wegen nicht zugelassen werden.

Gemäß § 14 Abs. 2 FrG hätte der Beschwerdeführer somit seinen Antrag vor der Einreise vom Ausland aus stellen müssen. Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung dieser Bestimmung auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Fall im Hinblick auf den Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde nach den Vorschriften des (am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen) FrG zu beurteilen ist.

Der Beschwerdeführer verfügte unbestrittenermaßen noch nie über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Die belangte Behörde wertete seinen Antrag daher zutreffend als solchen auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels, näherhin unter Berücksichtigung seiner Angaben zum angestrebten Aufenthaltszweck auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.

Angesichts der gegenüber der erstinstanzlichen Behörde am 22. Juli 2003 getätigten Angaben des Beschwerdeführers, er halte sich seit seiner im Jahr 2001 erfolgten Einreise im Bundesgebiet auf, erweist sich die Beurteilung der belangten Behörde, dass es sich im vorliegenden Fall um einen im Inland gestellten Antrag handelte, als unbedenklich.

Die belangte Behörde stützte ihre abweisende Entscheidung u. a. auch auf § 20 Abs. 1 FrG. Nach dieser Bestimmung ist Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern solcher Fremder, die rechtmäßig in Österreich auf Dauer niedergelassen sind, auf Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern sie ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, der im Gesetz genannte Familiennachzug dürfe nicht auf Ehegatten und deren minderjährige Kinder beschränkt werden. Durch die Übertragung der Vormundschaft auf seinen Onkel, dem auch für ihn die Obsorge zukomme, sei jener den leiblichen Eltern annähernd gleichgestellt. Der Beschwerdeführer sei somit Familienangehöriger der Kernfamilie seines Vormundes.

Wie der Verwaltungsgerichtshof allerdings bereits dargelegt hat, ist ein Vormund nicht einem leiblichen Elternteil im Sinne des § 20 Abs. 1 FrG gleichzustellen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 16. Februar 2001, Zl. 99/19/0067, mwH). Dass der Beschwerdeführer Neffe eines bereits bei Antragstellung auf Dauer niedergelassenen Fremden, dem für ihn die Obsorge übertragen wurde, ist, führte demnach nicht zur Anwendung des § 20 Abs. 1 FrG.

Dennoch ist die Beschwerde im Ergebnis berechtigt. Die belangte Behörde wäre nämlich - das Fehlen eines Versagungsgrundes vorausgesetzt - verpflichtet gewesen, im Wege einer Ermessensentscheidung die vom Beschwerdeführer in seinen Anträgen ins Treffen geführten Gründe (Anwesenheit des Onkels, der über ihn die Obsorge ausübt, im Bundesgebiet) einem zu ihrer Verwirklichung tauglichen Aufenthaltszweck (hier: "Privat") zu subsumieren. Die im Beschwerdefall erkennbar unrichtige Benennung des angestrebten Aufenthaltszweckes, der für (minderjährige) Kinder gar nicht in Frage kommenden Familiengemeinschaft mit ihrem Vormund bzw. ihrem Onkel, also eine bloße Fehlbezeichnung des Aufenthaltszweckes, hinderte die Behandlung des Antrages des Beschwerdeführers im Rahmen der gemäß § 19 Abs. 5 FrG festgesetzten Quote nicht (vgl. dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 16. Februar 2001, Zl. 99/19/0067; im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die erstinstanzliche Behörde - obgleich sie diesen Aufenthaltszweck im Verfahren nicht in Betracht zog - die den Beschwerdeführer betreffende Antragsabweisung in der Fremdeninformationsdatei mit dem Aufenthaltszweck "Privat" zur Speicherung brachte).

Die belangte Behörde war daher gehalten, in Anwendung der §§ 8 und 19 FrG eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob dem Beschwerdeführer im Rahmen der Quote für Private eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen war (vgl. neuerlich das einen ähnlich gelagerten Fall betreffende hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2001, Zl. 99/19/0067, sowie das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1999, 98/19/0236).

Da der Aufenthaltszweck "Privat" grundsätzlich nicht von vornherein ungeeignet erscheint, durfte die belangte Behörde eine Abwägung der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstände (Lebensmittelpunkt des die Obsorge ausübenden Onkels im Bundesgebiet, Mutter unbekannten Aufenthalts, Vater und Großeltern, die zuletzt für den Beschwerdeführer sorgten, verstorben) nicht außer Acht lassen. Da beim vorliegenden Sachverhalt nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass eine Würdigung dieser Umstände das Vorliegen humanitärer Gründe im Sinne des § 10 Abs. 4 FrG und damit die Zulässigkeit der Inlandsantragsstellung ergeben hätte (die belangte Behörde hat sich damit nicht auseinander gesetzt und das Vorliegen humanitärer Gründe allein mit dem Fehlen eines geeigneten Aufenthaltszweckes verneint), kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ein zwingender Versagungsgrund vorgelegen wäre.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das über den dort vorgesehenen Pauschalsatz hinausgehende Mehrbegehren war abzuweisen.

Wien, am 28. August 2008

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